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15. Jan 2024 - 2 min Lesezeit

Gescheiter(t)? Über das Scheitern beim Bergsteigen

Das Scheitern gilt in der Gesellschaft wie im Bergsteigen häufig als der ultimative Schiffsbruch. Das muss sich ändern.

„Nur wer mal gescheitert ist, kann auch gescheiter werden.“

In dem wunderbaren Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ ist der noch wunderbarere Jack Nicholson Insasse einer Nervenheilanstalt. Eines Tages behauptet Nicholson alias Randle McMurphy, er werde jetzt diesen riesigen Hydrotherapietisch aus Marmor aus dem Boden reißen, durch die Wand werfen und dann in die Bar gehen, um die Endspiele der Baseballmeisterschaft anzusehen. Natürlich passiert McMurphy das, was man gemeinhin als Scheitern bezeichnen würde.

Er kriegt das zentnerschwere Ding keinen Zentimeter vom Boden weg. Am Ende quittiert er seine Mühen mit dem Satz: „Aber wenigstens habe ich es versucht, verdammt nochmal, wenigstens das.“ Wenn heute jemand scheitert, ist das gemeinhin negativ konnotiert, es ist ein Ausdruck für Misserfolg, vor allem im deutschsprachigen Raum (s. auch Artikel „Schlecht gelaufen?“). Laut dem Internetlexikon Wikipedia bezeichnet Scheitern bei Schiffen gar das Zerschellen an einem Hindernis, also den ultimativen Crash.

Jack Nicholson Film: "Einer flog über das Kuckucksnest"
Der Film hat zwar auf den ersten Blick nichts mit Bergsteigen zu tun, auf den zweiten Blick aber sehr wohl.

Nur die wenigsten kommen auf die Idee zu sagen: „Aber wenigstens hat er es versucht, verdammt nochmal, wenigstens das“, wenn ein selbstbewusster Politiker vor einer Wahl Kanzler werden will und letztlich doch nur Zweiter wird, wenn ein Fußballteam sich den Weltmeistertitel zum Ziel setzt und dann im Achtelfinale hängen bleibt – oder wenn ein junger Bergsteiger für eine Solo-Erstbesteigung an einen großen Berg im Himalaya fährt und schon wenige Meter über dem Basislager umdrehen muss.

Innovation needs failure!

Dabei begreifen viele das Scheitern als Lernprozess, nach dem Motto: Nur wer mal gescheitert ist, kann auch gescheiter werden. So gibt es inzwischen etwa etliche Bücher über die Schönheit des Scheiterns oder auch das „Museum of Failure“, welches sich in Ausschnitten sogar im Internet recht leicht besuchen lässt. Vorgestellt werden darin beispielsweise das Taco Phone von Nokia, eine Mischung aus Spielkonsole und Mobiltelefon, auf der allerdings wirklich gute Spiele fehlten.

Oder der DeLorean, jener offenbar viel zu lahme Sportwagen, der durch den Film „Zurück in die Zukunft“ Geschichte schrieb. Ebenfalls dabei sind fettfreie Pringles für Chipsgenuss ohne Reue, wobei die Reue letztlich nur anders aussah: Der synthetische Fettersatz Olestra war ein Garant für, nun ja, den ständigen Toilettenbesuch. Das heißt keineswegs, dass all diese Exponate als überflüssig betrachtet werden.

Vielmehr lautet die Grundidee des Museums: Innovation needs failure! Innovation braucht das Scheitern. Insofern wäre es endlich an der Zeit, auch dem Misserfolg am Berg ebenso viel Platz zu widmen wie all den Heldengeschichten über die Hillarys, Habelers und Honnolds, und zwar als Basis für den Coup. Denn am Ende des Films „Einer flog über das Kuckucksnest“ reißt der bis dahin stillste von McMurphys Mitinsassen das Waschbecken übrigens aus dem Boden, wuchtet es durchs nächste Fenster und wandert in die Nacht. Und das nur deshalb, weil es ein anderer vor ihm schon einmal versucht hat.

Erschienen in der
Ausgabe #122 (Frühling 23)

bergundsteigen #122 cover