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COVID-19
06. Apr 2020 - 5 min Lesezeit

COVID-19 #9: Foto-Webcam

In seinem letzten Blogbeitrag hat der Lawinenprognostiker Christoph Mitterer auf die Bedeutung von Webcams bei der Erstellung des Lageberichtes in Covid-19-Zeiten aus dem Homeoffice hingewiesen. Doch nicht nur andere alpine Experten wie Meteorologen oder Lawinenkommissionen greifen heute standardmäßig auf die Informationen von solchen Webcams zurück, auch für immer mehr Bergsteigerinnen gehört der Blick auf die „Echtzeit-Geländeaufnahmen“ inzwischen zur Tourenvorbereitung und -planung. Und in Zeiten von #daheimbleiben wecken solche Fotos und Videos Sehnsüchte und gewährleisten, dass wir nicht versäumen, wie im Gebirg’ gerade der Frühling einzieht.

Headerfoto oben > 6. April 2020 um 00:00: Foto-Webcam Blick vom Freiwandeck zu Pasterze und Großglockner. Fotolink. Foto: foto-webcam.eu

Webcams gibt es viele und in unterschiedlichen Qualitäten. Vor allem wegen der unglaublich guten Qualität ihrer Aufnahmen hat sich foto-webcam.eu unter Bergsteigern einen Namen gemacht.

Betrieben wird dieser Service von Gerhard Keuschnig und Florian Radlherr. Wir haben bei Gerhard nachgefragt:

Gerhard, kannst du kurz zusammenfassen, was eure Firma genau macht?

Wir bauen und betreiben sogenannte Foto-Webcams, wobei der große Unterschied unserer Kameras zu „normalen“ Webcams die hohe Bildqualität ist. Deshalb setzen wir auf die Spiegelreflextechnik (DSLR, digital single-lens reflex), mit der es möglich ist, rund um die Uhr solche hochwertigen Bilder zu liefern.

Dabei bedienen wir sehr viele Standorte im hochalpinen Bereich und haben uns darauf spezialisiert, diese Kameras autark zu betreiben.

Florian Radlherr und Gerhard Keuschnig von foto-webcam.eu. Foto: foto-webcam.eu

Wer sind eure Kunden?

Unsere Hauptkunden sind in der Tourismusbranche angesiedelt: Skigebiete, Tourismusverbände, Gemeinden, Alpenvereine, Hotels usw. Außerdem arbeiten wir mit verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen zusammen, d.h. mehrere Unis, die ZAMG (Österr. Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) und einige Lawinenwarndienste verwenden ebenso unsere Kameratechnik. In letzter Zeit häufen sich aber auch die Projekte zur Baudokumentation.

Wie viele Standorte habt ihr aktuell und wo finde ich diese im Netz?

In Summe betreiben wir derzeit ca. 290 Kameras. Nicht alle sind öffentlich zugänglich, jedoch die meisten und vor allem die mit den schönsten Blicken.
Die Kameras sind in erster Linie über unsere Webseite www.foto-webcam.eu zu finden und werden auch von diversen Drittanbietern genutzt.

Grundlegend: Was ist eine Webkamera und was ist notwendig, damit sie im alpinen Gelände funktioniert?

Eine Webcam ist eine Kamera, die in periodischen Abständen Bilder produziert, die dann über das Internet abrufbar sind. Für herkömmliche Webcams werden dafür meist IP-Kameras (Internet Protocol Camera = Netzwerkkamera) verwendet, die nicht für Landschaftsaufnahmen, sondern für den Einsatz als Überwachungskameras entwickelt wurden. Das Herzstück einer Foto-Webcam hingegen ist eine Spiegelreflexkamera, die hinsichtlich Lichtstärke, Dynamikumfang, Farbtreue und auch Schärfe alle herkömmlichen IP-Kameras weit hinter sich lässt. Doch oft findet sich gerade dort, wo ein grandioser Blick mit einem potenziellen Kamerastandort wäre, weder ein Stromanschluss noch eine Möglichkeit zur Anbindung ans Internet.

Mit unserem autarken System ist es möglich, auch diese Standorte abzudecken: Mit Hilfe einer kleinen Photovoltaikanlage wird die nötige Energie bereitgestellt, welche die Komponenten mit 12 V versorgt und die Anlage wird auch mit einem ausreichend großen Akku als Puffer ausgerüstet. Somit ist gewährleistet, dass das gesamte System auch bei längeren Schlechtwetterphasen durchgehend betrieben werden kann. 

Die Anbindung an das Internet wird in solchen Fällen mittels WLAN-Richtfunk zu einem entfernten Standort mit Internetanschluss oder über eine Mobilfunkverbindung realisiert.

Autarke Foto-Webcam montiert auf einer Lawinengalerie in Maishofen/Salzburg. Foto: foto-webcam.eu

In welchen Abständen werden die Fotos aufgenommen und können sie auch als „Video“ abgespielt werden?

Unser Standardintervall ist eine Aufnahme alle 10 Minuten rund um die Uhr, wobei jedes beliebige Intervall eingestellt werden kann. 

Zusätzlich zu den Bildern können auch Videoclips in HD-Qualität gespeichert werden. Das macht aber nur an Standorten Sinn, wo sich auch tatsächlich etwas bewegt …

15. März 2020 um 8:00 Uhr: Der letzte Tag vor den Covid-19-Verkehrsbeschränkungen scheint genial gewesen zu sein und am Aufstieg zum Glockner war um 8:00 noch wenig los, aber dann … Blick von der Erzherzog-Johann-Hütte (Adlersruhe, 3.454 m) zum Großglockner (Fotolink). Foto: foto-webcam.eu
8:10 Uhr: Fotolink. Foto: foto-webcam.eu
9:00 Uhr: Fotolink. Foto: foto-webcam.eu
15. März 2020 um 10:10 Uhr: Spielt man mit den Foto-Webcam-Fotos im Player auf foto-webcam.eu, kann man die Skibergsteiger bei ihrem Aufstieg bis zum Glocknerleitl im Zehn-Minuten-Intervall verfolgen bzw. auch tage-, monats- und jahresweise das Wetter und die Verhältnisse abrufen. Blick von der Erzherzog-Johann-Hütte (Adlersruhe, 3.454 m) zum Großglockner (Fotolink). Foto: foto-webcam.eu

Eure Webcams beeindrucken besonders durch die Qualität der Nachtaufnahmen, man kann z.B. die Wolkenbedeckung wunderbar mitverfolgen. Wie schafft ihr das?

Wie schon erwähnt sind noch sehr viele Überwachungskameras im Umlauf, die als Webcam „missbraucht“ werden und somit das gewünschte Ergebnis einfach nicht liefern können. Wir setzen ausschließlich auf die Spiegelreflextechnik, damit entstehen auch bei schlechten Lichtverhältnissen und vor allem auch in der Nacht qualitativ hochwertige Bilder. Mit der Möglichkeit der Langzeitbelichtung und mit verschiedenen ausgeklügelten Verfahren, die wir über unsere Software steuern, sind solche Ergebnisse möglich.

26. November 2019 um 21:00 Uhr: Blick vom Skigebiet Zettersfeld/Osttirol in die Lienzer Dolomiten (Fotolink). Foto: foto-webcam.eu
31. März 2020 um 20:40 Uhr: Blick vom Tegelberghaus (1.707 m)/Oberallgäu Richtung Füssen, Schwangau und den Forggensee (Fotolink.) Foto: foto-webcam.eu

Welche relevanten Infos können Bergsteigerinnen aus euren Aufnahmen ablesen?

Zum einen sieht man auf den ersten Blick, wie die Witterungslage vor Ort aussieht, und zum anderen kann man – aufgrund der hochauflösenden Bilder – auch aktuelle Verhältnisse wie Schneelage, Wegbeschaffenheit usw. am Berg recht gut beurteilen. Daneben sind die Lufttemperatur und teilweise – wenn Messstationen in der Nähe sind – auch weitere Wetterdaten wie Luftfeuchtigkeit und Windstärke/-richtung in die Aufnahme eingeblendet.

6. April 2020 um 14:00 Uhr: Die Verhältnisse am Glockner, während dieser Beitrag erstellt wird – aktueller geht’s nicht mehr. Blick von der Erzherzog-Johann-Hütte (Adlersruhe, 3.454 m) zum Großglockner (Fotolink). Foto: foto-webcam.eu

Auf eurer Homepage gibt es ein „Best of“ eurer Webcam-Fotos. Welche Besonderheiten, die von den Kameras eingefangen wurden, sind Deine persönlichen Favoriten?

Da gibt es ganz, ganz viele … Sehr beeindruckend sind natürlich immer die Blitzfotos, hier ein paar Beispiele:

25. Juni 2016 um 21:50 Uhr: Blick vom Dobratsch (2.166 m)/Villacher Alpen nach Westen ins Gailtal. (Fotolink). Foto: foto-webcam.eu
19. Mai 2015 um 01:00 Uhr: Blick vom Hohen Kasten (1.793 m)/Appenzeller Alpen nach Südosten ins Rheintal (Fotolink). Foto: foto-webcam.eu
6. August 2018 um 21:00 Uhr: Blick vom Skigebiet Zettersfeld/Osttirol in die Lienzer Dolomiten (Fotolink). Foto: foto-webcam.eu

Kannst du uns sagen, was Installation und Betrieb einer Webcam ungefähr kosten?

Die Kamera im Edelstahlgehäuse kostet 2.600 Euro und der Betrieb monatlich 35 Euro. Je nach Standort können aber noch verschiedene zusätzliche Komponenten (Mechanik, Verkabelung usw.) notwendig sein.

Abschließend: Was erwartet uns in diesem Bereich in der Zukunft?

Unsere Technik wird ständig optimiert und weiterentwickelt. Zum Beispiel haben wir kürzlich eine Low-Power-Version der Foto-Webcam entwickelt, die sich derzeit aber noch im Testbetrieb befindet: Bei ihr findet die gesamte Technik in unserem Standardgehäuse Platz und es wird nur ein ganz kleines Solarmodul für die Stromerzeugung benötigt.

Gerade im Testbetrieb: kleine Low-Power Foto-Webcam. Foto: foto-webcam.eu