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Kleiner Paragleiter (Max Berger) vor großem Berg (K2). Foto: Juan Carlos San Sotero|Portrait Max Berger I bergundsteigen.blog||Max Berger mit Schirm am Fuß des K2 I bergundsteigen.blog|Rucksack Packen vor dem K2
28. Sep 2019 - 15 min Lesezeit

Im Gespräch mit Max Berger

Für bergundsteigen hat Max Berger in den letzten Jahren immer wieder Beiträge geschrieben, die durchaus polarisiert haben. Der Bergführer und Petzl-Österreich-Chef ist seit Jahrzehnten nicht nur für seine alpinen Unternehmungen – heuer wurde ein Projekt, an dem er beteiligt war, für den Piolet d’Or vorgeschlagen – bekannt, sondern auch für sein umfangreiches Fachwissen, das er immer offen und direkt formuliert. Als Bergführer war Max heuer erstmals an zwei Achttausendern unterwegs und natürlich haben wir die Gelegenheit genutzt und nachgefragt, wie es ihm im Karakorum so gegangen ist.
Kompetente Unterstützung beim Zusammenpacken. © Max Berger

Max, wo liegen deine alpinen Wurzeln?

Eigentlich komme ich vom Klettern und Eisklettern, Schneestapfen finde ich eher weniger spannend.

Das sagst du jetzt nur, weil du gerade von Pakistan zurückkommst. Was hast du dort gemacht?

Ich war am Broad Peak und K2 unterwegs und bin von beiden Bergen – nicht vom Gipfel – mit dem Gleitschirm hinuntergeflogen.

Mit 50 Jahren erstmals zu einem Achttausender. Midlife-Crisis?

Nein, nur zum Klettern werd ich langsam einfach zu schwach … So war ich als Bergführer für einen kommerziellen Anbieter unterwegs und habe eine Gruppe zu diesen zwei Achttausendern begleitet.

Warum bist du nicht „privat“ unterwegs gewesen?

Prinzipiell hätte ich schon privat gehen können, aber der ganze logistische Aufwand dazu ist hoch und das wollte ich mir nicht antun. Auf den K2 wollte ich schon vor 30 Jahren hinauf und die Kombination mit dem Broad Peak zum Akklimatisieren war ideal.

Mit welchen Erwartungen bist du gestartet?

Jeder, der zu einem Achttausender startet, hat natürlich das Ziel, den Gipfel zu erreichen; als Bergführer bist du erfolgreich, wenn die Teilnehmer deiner Gruppe dorthin kommen. Aber mich hat genauso das Drumherum an den hohen Bergen interessiert: Wie ist die Stimmung dort, welche Menschen sind unterwegs und am meisten, ob ich von dort oben auch mit dem Gleitschirm starten kann.

Max Berger mit Schirm am Fuß des K2. © Max Berger

Was ist das Besondere, von diesen Höhen mit dem Schirm herunterzufliegen?

Ich kombiniere Bergsteigen und Fliegen bei uns in den Alpen, und dasselbe im Karakorum oder Himalaya umzusetzen, ist natürlich ein großer Reiz. Jean-Marc Boivin ist 1988 mit einem Gleitschirm vom Gipfel des Everest gestartet, ein weiterer Franzose ist vom Broad Peak geflogen, aber sonst sind solche Flüge recht selten. Auch deswegen, weil das Material erst in den letzten Jahren wirklich klein und leicht geworden ist und es sich davor niemand antun wollte, einen riesigen Gleitschirm hinaufzutragen.

Mein Schirm war ein ca. ein Kilogramm schwerer Dudek „Run & Fly“ mit 18 m2 und als Gurtzeug habe ich meinen Klettergurt verwendet. Dieser „Singlskin“-Schirm hat natürlich andere Eigenschaften als ein normaler Gleitschirm, ist aber auch bei uns aufgrund des Gewichts ideal zum Herunterfliegen nach Bergtouren.

Vorab. Wie ist dieser Ausflug letztendlich ausgegangen?

Am Broad Peak war ich am Gipfel und bin dort vom Lager 3 auf ca. 7.100 m heruntergeflogen. Danach habe ich dann am K2 am Flaschenhals leider umdrehen müssen und bin von der Schulter von ca. 8.000 m ins Basecamp geflogen. Bis auf den K2-Gipfel ist eigentlich alles optimal gelaufen.

Wie ist es dir ohne Sauerstoff in der Höhe gegangen?

Vom körperlichen Zustand her war ich überrascht, wie gut es mir aufgrund der Vorakklimatisation gegangen ist. Ich habe davor sechs Wochen lang in einem Hypoxiezelt geschlafen, in dem der Sauerstoffgehalt der Luft über einen Kompressor auf bestimmte Höhen eingestellt werden kann, und ebenso habe ich unter solchen künstlich hergestellten Bedingungen mit einer Maske auf dem Ergometer trainiert. Je nach über ein Pulsoxymeter gemessener Sauerstoffsättigung wird die Höhe sukzessive „nach oben“ geschraubt.

Dieses „Zelt“ geht über Kopf und Oberkörper und auch weil der Kompressor recht laut ist, muss man sich daran gewöhnen – sechs Wochen lang bzw. mindestens 300 Stunden darunter zu schlafen, ist ein bisschen ein Martyrium …

Rucksackpacken vor dem K2, inklusive Gleitschirm. © Max Berger

Könnte ich diese Methode auch verwenden, wenn ich vom Ruhrpott übers Wochenende den Mont Blanc besteigen möchte?

Klar, genau dieselbe Wirkung. Der Markt ist zweifelsohne da und hier wird sich in Zukunft noch einiges tun. Meiner Meinung nach ist diese Form des Höhentrainings besser, als direkt am Berg zu akklimatisieren, wo ich ja zusätzlich alpine Gefahren usw. habe.

Du warst für Furtenbach-Adventures unterwegs und Lukas hat mit dieser Methode in den letzten Jahren für Aufsehen und Kontroversen gesorgt (vgl. bergundsteigen #104).

Das mag sein, ich kann nur sagen, dass ich bereits voll akklimatisiert und topfit im Basislager angekommen bin – ich hätte dort joggen können. Vierzehn Tage nach meiner Abreise von Österreich bin ich dann ohne Probleme am Gipfel des Broad Peak gestanden: ohne Sauerstoff, ohne Kopfweh, ohne größere Probleme mit dem Atmen. Richtig gemacht, funktioniert diese Vorakklimatisation wunderbar. Lukas ist ein Vordenker und seiner Zeit voraus, seine Methode funktioniert und revolutioniert in gewisser Weise das Höhenbergsteigen – darum sorgt er für Kontroversen.

Du bist bisher auf einigen Sechstausendern und Siebentausendern gestanden. Wie hast du dort die Höhe vertragen?

Ich vertrage die Höhe grundsätzlich recht gut und habe noch nie größere Probleme gehabt, aber so reibungslos wie heuer ist es noch nie gelaufen. Am Gipfelgrat des Broad Peak bist du immerhin über eineinhalb Kilometer auf um die 8.000 Meter unterwegs, was natürlich extrem zehrt, aber für mich problemlos zu bewältigen war. Technisch war der K2 natürlich anspruchsvoller und während der Großteil am Abruzzi-Sporn unterwegs war, habe ich mich mit einem Teilnehmer und seinem Sherpa für die Cesen-Route entschieden.

Wo ihr letztendlich umgedreht habt.

Ja, wir haben am Flaschenhals umgedreht, weil es einfach zu viel Schnee hatte und es zu lawinengefährlich war.

Ein paar Tage später ist ein anderes Team mit über 20 Teilnehmern am Gipfel des K2 gestanden. Zu früh abgebrochen?

Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Zu dem Zeitpunkt, als wir unterwegs waren, war es dort definitiv zu gefährlich und alle haben abgebrochen – ein Weiterkommen war unmöglich, auch weil wir bis zur Brust im Schnee gesteckt sind. Ob das ein paar Tage später besser war, kann ich nicht beurteilen. Ein Sherpateam hat – wie sie selbst bestätigt haben – ein hohes Risiko in Kauf genommen und auf den Gipfel gespurt. Es war vermutlich viel Glück dabei, das Ganze hätte auch fatal enden können …

K2 mit seiner charakteristischen „Schulter“ vom Broad Peak aus fotografiert. © Max Berger

Wurmt es dich aber trotzdem, dass du nicht oben warst?

Wurmen ist der falsche Ausdruck und eigentlich bin ich schon zu alt, als dass ich mir irgendetwas beweisen muss. Aber natürlich, wenn du selber auch gerne den Gipfel erreicht hättest, fragst du dich, „Was wäre gewesen, wenn …“. Aber das ist jetzt halt so.

Andererseits sind ja vor unserem Abbruch drei Lawinen abgegangen, die zwei Menschen verletzt haben. Was nicht wirklich lustig ist, wenn du dann noch von 8.000 m absteigen musst. Aber sie hatten Glück, denn hätten sie sich nicht Hand oder den Ellenbogen, sondern den Fuß gebrochen, dann wären sie wahrscheinlich oben geblieben.

Liegt das Risikolevel an den Achttausendern höher als bei uns?

Na ja, auf Achttausendern wird einfach auf volles Risiko gegangen, da werden Sachen gemacht, die man in den Alpen niemals machen würde. Wer geht z.B. bei uns irgendwo vier Stunden lang unter einem Serac spazieren? Das macht niemand. Genauso wie niemand auf die Idee kommt, einen 50 Grad steilen Hang mit zwei Metern Neuschnee anzuspuren. Bei uns undenkbar, wird das dort einfach toleriert und akzeptiert.

Wird das nur ausgeblendet oder bewusst in Kauf genommen?

Es gibt einige wenige, die dort oben wissen, was sie tun, und die gehen diese Risiken bewusst ein. Der Großteil der zahlenden Kunden hat allerdings recht wenig Ahnung, was um sie passiert, sondern geht einfach der Spur nach.

Apropos zahlende Kunden. Für „echte“ Bergsteiger ist das Expeditionsbergsteigen in kommerziellen Gruppen mit Bergführer, Sherpas usw. aus der Mode gekommen und nur der wahre Alpinstil ohne Sauerstoff kann auf einen Achttausender führen. Wie viele solche kleinen, individuellen Teams waren heuer am Broad Peak und K2 vor Ort?

Am Broad Peak glaube ich gar keines und am K2 vielleicht zwei oder drei. Nur, vom Alpinstil ist das weit weg, denn sobald auf der Route Fixseile installiert und Lager eingerichtet sind, braucht keiner mehr von Alpinstil reden. Mir kann niemand erzählen, dass er dann neben dieser Spur und den Fixseilen spazieren geht – die Infrastruktur der großen Veranstalter wird mitgenutzt.

Fixseil-Salat am K2. © Max Berger

Weit über hundert Permits wurden heuer für den K2 vergeben. Was ist los, wenn man im K2-Basislager ankommt?

Na ja, dort ist echt viel los … Da sind 400 Leute im Basecamp – insgesamt fünf oder sechs kommerzielle Anbieter mit teilweise über 20 Kunden und noch einmal so vielen Sherpas und Hochträgern.

Mit einem solchen kommerziellen Anbieter warst du ja auch als Bergführer unterwegs. Wofür genau bist du engagiert worden?

Der Bergführer ist dort ja nicht Bergführer im klassischen Sinn, wie in den Alpen. Der Bergführer ist der Expeditionsleiter, der Organisator vor Ort, der schaut, dass jeder Kunde seine Sachen mit dabei hat, dass genug Sauerstoff vorhanden ist, dass die Sherpas genug Gas zum Kochen haben, dass bei schlechter Wetterprognose nicht gegangen wird, dass die beste Route ausgewählt wird, und der wie in unserem Fall auch abbricht.

Wie hat der klassische Tagesablauf ausgeschaut?

Am Berg hat bei uns – und bei den meisten anderen Anbietern – jeder Kunde seinen eigenen Sherpa, der eigentlich sein Bergführer ist. Dieser ist nicht nur Träger und Teekocher, sondern gibt den Ton an und muss sich mit seinem Kunden koordinieren: Wann wird gestartet, wann wird umgedreht, wann muss Notfallsauerstoff verwendet werden, im schlimmsten Fall versorgt er ihn mit seinem Notfall-Kit etc., etc.

Ohne Sherpa läuft also gar nichts, mein Job ist es, die Gesamtübersicht zu bewahren.

Am Broad Peak sind von den vier Teilnehmern eine übrig geblieben: einer wollte nur akklimatisieren, zwei haben sich gesundheitlich nicht fit genug gefühlt und haben den Aufstieg abbrechen müssen. Prinzipiell sind die Teilnehmer mit ihrem Sherpa am Berg eigenständig und nicht fix gemeinsam als Gruppe unterwegs. Die Sherpas verwenden grundsätzlich Sauerstoff am Gipfeltag, denn für sie ist das ganz einfach Arbeit – und sie sind gerade vom Everest gekommen.

Man hat den Eindruck, dass sich die kommerziellen Anbieter untereinander nichts schenken. Wie war die Zusammenarbeit zwischen den Teams?

Das hängt immer von den Menschen vor Ort ab. Ich bin mit allen gut ausgekommen und wir haben gut zusammengearbeitet, gemeinsam versichert und uns gegenseitig ausgeholfen. Das hat super funktioniert.

Bespricht man sich auch taktisch, um Staus usw. zu vermeiden?

Freilich. Man stimmt sich natürlich ab, wer z.B. wann zum Gipfel startet. Problematisch wird es dann, wenn es nur ein kurzes Wetterfenster gibt, weil dann klarerweise jeder die Chance nutzen möchte. Bei uns war das aber kein Thema und wir sind wie ausgemacht gestaffelt unterwegs gewesen – ansonsten kann man am K2 auch nicht so viele Leute bewegen.

Konkurrenz und Streiterei hat es bei uns in keinster Weise gegeben, aber ich weiß, dass es oft ganz anders zugeht. Wenn die Veranstalter und Bergführer nicht miteinander können oder wollen, dann wird auch gegeneinander gearbeitet. Aber das ist ja nicht anders als in den Alpen und überall sonst im Leben.

Hast du einen Unterschied zwischen den westlichen und asiatischen Veranstaltern feststellen können?

Grundsätzlich waren alle sehr gut organisiert. Der Unterschied ist, dass asiatische Veranstalter viel mehr Leute mitnehmen. Im Gegensatz von vier bis sechs, waren dort 20 Kunden und mehr dabei. Auch was die Auswahlkriterien betrifft, gibt es – unter allen Anbietern – Unterschiede: manche nehmen z.B. zum K2 nur Kunden mit, die bereits am Everest waren oder einen gewissen Tourenbericht nachweisen können, andere nehmen jeden mit und das sieht man bereits im Basislager.

Handy-Selfie am Broad Peak. © Max Berger

Welche Voraussetzungen sind als Bergführer für die hohen Berge also gefragt?

Das Wichtigste sind gewisse Führungsqualitäten oder besser gesagt Durchsetzungsvermögen, weil sonst bist du verkauft. Das fängt bei den Trägern an – ohne klare Worte kommt der vielleicht schon oder nicht und verlangt vielleicht die doppelte Gage oder auch nicht –, das geht weiter beim Küchenpersonal, das einfach seine Arbeit ordentlich machen muss, und bei den Sherpas, die auch nicht machen können, was sie gerade wollen. Wir hatten ein exzellentes Team von Sherpas und Küchenmannschaft, bei uns hat alles perfekt geklappt.

Enden tut es bei der größten Herausforderung: seine Teilnehmer, die zahlenden Kunden, richtig zu lenken. Das sind meistens Menschen mit viel Geld, sehr erfolgreich in ihrem Beruf und gewohnt, zu bestimmen. Dort müssen sie verstehen, dass nicht sie bestimmen können, sondern dass es jemanden gibt, der ihnen hilft, dass sie zu ihrem Erfolg kommen.

Das ist doch ein Klischee: die reichen Business-Alphas, die sich mit der Trophäe eines Achttausenders schmücken möchten.

Na ja, aber das sind die Tatsachen. Die Bergsteiger, die sich ihren Lebenstraum erfüllen und jahrelang zusammensparen, sind tatsächlich sehr dünn gesät.

Was muss ich als Teilnehmer mitbringen, um bei einer solchen Expedition dabei sein zu können?

Das Wichtigste ist, dass du fit bist und – wie soll ich sagen – du den starken Willen hast, auf den Gipfel zu kommen und bereit bist, dabei zu leiden.

Spaß macht das keinen großen?

Ganz ehrlich: Der Spaßfaktor ist dabei ganz weit hinten eingereiht, zählen tut schlussendlich der Erfolg.

Hat es dir irgendwann auch voll getaugt?

Es ist schon cool, wenn du vorneweg am K2 an der Cesen-Route Richtung Gipfel unterwegs bist. Dann bist du zwar erschöpft vom Spuren und gefordert, aber hast doch diesen inneren Antrieb, hinaufzukommen. 

Und das ist der Unterschied zu einem „Nicht-Bergsteiger“, dem es nur darum geht, zu Hause erzählen zu können, dass er „oben“ war.

Aber ein guter Expeditions-Bergführer zeichnet sich dadurch aus, dass er seine Kunden auf den Gipfel bringt und nicht selber lustig unterwegs ist.

Am Broad Peak haben wir ja eine erfolgreiche Teilnehmerin gehabt und am K2 haben wir leider abbrechen müssen. Vielleicht muss ich erklären, dass ich am Broad Peak ja kurzfristig eingesprungen bin, weil der eingesetzte Bergführer vor Ort krank wurde und ausgeflogen werden musste. An sich war es meine Rolle, am K2 nach dem Rechten zu schauen.

War das für dich jetzt eine einmalige Erfahrung oder sieht man dich demnächst wieder als Bergführer an einem Achttausender?

Ich kann mir gut vorstellen, das unter gewissen Voraussetzungen wieder zu machen. Zumindest weiß ich jetzt, was auf mich zukommt.

Nun kursieren Geschichten von Kunden, die im Basislager zum ersten Mal lernen, wie sie ihre Steigeisen anziehen und den Jümar ins Fixseil einhängen müssen. Wohl etwas übertrieben?

Ganz so schlimm ist es nicht, aber bei manchen ist die Bergerfahrung tatsächlich, ich sage einmal, sehr begrenzt.

Blick vom Lager 3 am Broad Peak hinüber zum K2. © Max Berger

Aber die haben natürlich keine Chance zum Gipfel zu kommen …

… die haben genauso die Chance, dass sie zum Gipfel kommen. Mit dem nötigen Willen, dem Sherpa, der Spur, den Fixseilen ist vieles möglich.

Aber die verwenden dann alle Sauerstoff?

Die meisten schon. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass jemand, der superfit ist, aber wenig Ahnung vom Bergsteigen hat, trotzdem ohne Sauerstoff den Gipfel eines – auch hohen – Achttausenders erreicht.

Das Problem ist, dass der Grat zwischen Erfolg und Desaster ein sehr schmaler ist. Vor allem, wenn ich nicht genau weiß, was ich mache. Wir müssen uns nur an die Tragödie von 2008 am K2 erinnern, wo mehrere Bergsteiger nach ihrem Gipfelsieg nicht mehr absteigen konnten, da ein herabfallender Serac die Fixseile zerstört hatte – letztendlich starben dann, auch aufgrund anderer Unfälle, in zwei Tagen elf Menschen.

Ähnliches hätte auch heuer passieren können: eine weitere kleine Lawine, welche die Fixseile mitreißt, und die Leute darüber sind blockiert …

Ist das den Teilnehmern klar?

Nein, die sind ahnungslos glücklich. Die meisten haben keine Ahnung, welche Gefahren und Risiken in den Bergen – nicht nur auf den hohen – auf sie warten. Ein Großteil der Kunden geht am Fixseil der Spur nach und denkt nicht weiter nach.

Nimmst du das gelassen zur Kenntnis oder verspürst du als „gewachsener“ Bergsteiger und Bergführer das Bedürfnis, hier etwas zu ändern?

Nein, da gibt es nichts zu ändern. Das ist unsere Zeit. Diese Achttausender-Expeditionen sind ein Geschäftsmodell und grundsätzlich hat jeder das Recht, dass er auf einen Berg hinaufgeht. Es gibt definitiv nichts zu ändern, außer für dich selber zu entscheiden, ob du dabei mitmachst oder nicht. Wenn nicht, darfst du zu keinem Achttausender gehen.

Vor allem einige Oldstars sagen, dass das dann mit Bergsteigen nichts mehr zu tun hat.

Da bin ich zu 100 Prozent der gleichen Meinung. Achttausender-Bergsteigen ist nicht „Bergsteigen“ im klassischen Sinn. Sicher kann man eine neue Route suchen oder schwierige Anstiege wiederholen, aber sobald du auf die klassischen Anstiege triffst, hast du die ganze installierte Infrastruktur. Hier kannst du als individueller Bergsteiger nichts bewegen.

Aber es ist nichts anderes als das, was „wir Bergführer“ in den Alpen erfunden haben. Wir bringen Leute auf den Mont Blanc, auf den Glockner, aufs Matterhorn, die selber nicht fähig wären, dort hinaufzukommen. Dazu werden Fixseile und Eisenstangen montiert und die Hüttenreservierung muss neuerdings als Permit vorgezeigt werden. Wird die Schweizer Seite zu teuer, wechselt man beim Matterhorn auf die italienische. Es passiert auf den Achttausendern also weder etwas Exotisches, Abartiges oder moralisch Verwerfliches. Es passiert genau das, was wir in den Alpen gutheißen.

Der K2 aus ungewohnter Perspektive. © Max Berger

In den elitären Kreis der Achttausender-Besteiger aufgenommen zu werden, ist zweifelsfrei ein Höhepunkt deiner alpinen Karriere.

Ganz und gar nicht. Ich habe viele andere Sachen gemacht, die mir persönlich mehr wert sind. Ok, die beiden Paragleitflüge waren exzellent, die waren schon etwas vom Besten, was ich bisher gemacht habe.

Aber bergsteigerisch ist ein Achttausender nicht wirklich etwas, auf das man stolz sein muss. Das kann ich jetzt natürlich leicht sagen. Was aber schon verblüffend ist, ist nach wie vor das Medienecho nach einem Achttausender – das ist unglaublich. Die ganzen anderen Sachen, die ich sonst so gemacht habe und die wesentlich schwieriger und anspruchsvoller waren, haben keinen Menschen interessiert.

Zum Beispiel als wir – Hansjörg Auer, Much Mayr, Guido Unterwurzacher und ich – im letzten Jahr in Indien einen 6.050 m hohen „Unknown Peak“ in Nordindien auf einer tollen Linie erstbestiegen haben und dafür sogar für den Piolet d’Or nominiert wurden.

Für mich zählt dieser Berg vom Erlebniswert her wesentlich mehr als der Broad Peak: keine Menschenseele, keine Träger, keine Unterstützung, totales Neuland und mit gleichgesinnten Freunden unterwegs. Das ist einfach ein ganz anderes Bergsteigen.

Nichtsdestotrotz üben diese hohen Berge auf mich irgendwie eine magische Anziehungskraft aus.

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Die Fragen stellte Peter Plattner.

Titelbild: Juan Carlos San Sotero
Fotos: Archiv Berger

Erschienen in der
Ausgabe #108