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19. Dez 2018 - 8 min Lesezeit

Blauer Engel

Sehr geehrte Redaktion,

Vorab ein Lob an Ihre hervorragende Arbeit und das ganze bergundsteigen-Team! Die Zeitschrift hat mich lange durch meine Kletterzeit begleitet und mir wertvolle Inputs für meine Tätigkeit als Instruktor Klettern-Alpin und als Routensetzer gegeben. Weiters möchte ich darauf hinweisen, dass nachfolgende Worte nicht (in der Form in der ich sie jetzt schreibe) abgedruckt werden.

Im Folgenden werde ich sehr persönliche Erlebnisse schildern, die für mich und meine persönliche Umgebung nur schwer oder gar nicht verarbeitet wurden.

Anfang August 2017 bekamen wir diese Nachricht von Herrn Hofbauer, den wir bisher nur als kritischen Leserbriefschreiber kannten. Zig mails und mehrere persönliche Treffen später haben wir Markus inzwischen näher kennenlernen dürfen. Vermutlich war er schon vor seinem Eiskletterunfall – bei dem ein Freund starb, er schwerst und seine Freundin kaum verletzt wurde – eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Spätestens nach seinem Auftritt beim Alpinforum 2018, als er eineinhalb Stunden lang mitten auf der Bühne stand und dem Publikum ohne eine einzige Folie seine Geschichte erzählt hat, sind nicht nur wir beeindruckt. So haben wir ihn gebeten, für bergundsteigen diese Geschichte zusammenzufassen und danach einige Fragen zu beantworten.

Mein Name ist Markus Hofbauer, geb. am 16.11.1981 in Wien. Ich habe die HTL für Sporttechnik im TGM (nach einem anderen HTL-Abbruch) mit gutem Erfolg abgeschlossen. Seit diesem Tag – aber auch schon vorher – war mein Leben von Sport geprägt: Früher war es Snowboarden, aber seit einem Jahrzehnt vor allem mit dem Klettern.

Dabei habe ich das Klettern nicht nur als Hobby betrieben, sondern es wurde Beruf und Berufung. Eigentlich tat ich die letzten 10 bis 12 Jahre nichts anderes als Eis- und Alpinklettern bzw. dafür zu trainieren (Sportklettern, Hallenklettern und Drytoolen). Ich habe für den ÖAV auf der Kletteranlage am Flakturm gearbeitet, Kurse gegeben und Routen geschraubt. Kurzum: Ich habe meinen Traum gelebt.

Bis zum 12. Februar 2017. An diesem Tag endeten dieser Traum und beinahe auch mein Leben!

Vorgeschichte

Aber von vorne: Vor drei Jahren lernte ich Ernst und Hannes von der Sektion Burgenland kennen. Genauer gesagt waren sie in Kolm Saigurn unterwegs, genauso wie meine Freundin, Philipp und ich. Wir redeten über Verhältnisse, Alpinismus und so weiter, aber unsere Spuren verloren sich wieder. Bis ich Ernst als Kunden am Flakturm wieder traf – die Gemeinde der Alpinisten ist zwar groß, aber man läuft sich halt immer wieder über den Weg. 

Seitdem verbindet mich nicht nur der Steinbruch in St. Margareten, sondern auch eine große Freundschaft mit den Jungs der ÖAV-Sektion Burgenland. Wir haben dann im Laufe der folgenden Jahre viel Zeit miteinander verbracht, um im Steinbruch ein Drytooling-Gebiet der Extraklasse auf die Beine zu stellen. Dazu haben wir neun Vorstiegsrouten eingerichtet zwischen M5- und D8-. Unser größter Erfolg ist, dass die Fortbildung „Update Drytooling“ von der ÖAV-Akademie im östlichsten Bundesland stattfinden wird! Leider werde ich nicht dabei sein – naja, sagen wir mal nicht als Teilnehmer.

Im Laufe unserer Kurse, Schnuppertage und Drytooling-Sessions lernte ich dann auch Flo kennen.

Sein ausführliches Tourenbuch spricht Bände, leider konnte er seine letzte Tour nicht mehr eintragen.

Unfall

Und damit komme ich zu jenem folgenschweren Tag, der ein Leben beendete und viele weitere zerstörte:

Eigentlich suchte ich einen Kletterpartner für den 11. Feber dieses Jahres. Weil keiner so recht Zeit hatte, rief ich auch noch Flo an, mit dem ich bis dahin nur im Steinbruch gedrytoolt bin. Doch leider ging es ihm samstags nicht aus, aber er fragte mich wie es mit dem Sonntag ausschaut. Da wollte ich mit meiner Freundin Daniela in das Eisklettergebiet Blue Box (Hintere Tormäuer/Erlaufboden/Niederösterreich) fahren, doch ich sagte, er könne gerne mitkommen. Womit das Schicksal seinen Lauf nahm.

Wir trafen uns dann an besagtem Sonntag, dem 12. Februar 2017, gegen 9:00 Uhr in Traisen und fuhren mit unserem Auto gemeinsam weiter. In Erlaufboden packten wir bei -4 Grad unsere Sachen ein und gingen die 15 bis 20 Minuten in den Kessel der Blue Box. Wie zu erwarten war startete Flo mit seiner Bombenkondition vorne weg und Daniela ließ es sich nicht nehmen, ihm auf den Schritt nachzulaufen. Da ich nicht ins Schwitzen geraten wollte und auch nichts gestohlen hatte, ging ich mein Tempo und kam ein paar Minuten nach den beiden in der Blue Box an. Das Eis war traumhaft und so viel, wie ich es noch nie gesehen hatte. Sogar die Linie Blauer Engel war noch dicker geworden wie 11 Tage zuvor, als ich sie mit Ernst gegangen war, und so beschlossen wir, dort einzusteigen.

Wir richteten uns her, besprachen den Ablauf und wer vorsteigen möge. Da Daniela an ihren Steigeisen herumgebastelt hatte und ich keine übertriebenen Ambitionen an meinem 30sten Eistag in dieser Saison hatte, nahm Flo das scharfe Ende des Seils an sich und kletterte über den Vorbau zum Fuß der Säule. Dort sicherte er uns nach und als wir ankamen, besserte Daniela den Bohrhakenstand nach, wir gaben Flo die nagelneuen Laser-Speed-Light Eisschrauben und er freute sich über das lässige Material.

Im Folgenden sicherte ich vom Körper und Flo kletterte die rechte WI 6 Variante des Blauen Engels, der sein Todesengel werden sollte, schnell und souverän. 

Er hatte sechs Eischrauben gesetzt und war gerade in leichteres Gelände vorgestoßen, als es ein „Knacken“ gab und sich die etwa 25 Meter hohe Eissäule des Blauen Engels mit ihren ca. 100 Tonnen der Schwerkraft ergab (bei ca. -3 Grad Lufttemperatur).

Über die nächsten paar Sekunden kann ich nichts sagen, da mir ein Kühlschrank großer Eisbrocken das Becken zertrümmerte und ein weiterer kopfgroßer Brocken den Helm. Als ich wieder zu mir kam, ließen mich die Schmerzen beinahe wieder ohnmächtig werden, aber ich konnte mich soweit besinnen, dass ich das komplett durch das Sicherungsgerät durchgelaufene Seil – das vehement an meinem Gurt zog – abschneiden wollte. Da mein Messer auf der rechten Seite hing und mein rechter Arm nicht mehr zu gebrauchen war, gab mir Daniela ihr Messer. Damit schnitt ich das Seil ab. 

Dann versuchte ich irgendwie eine Position zu finden, in der die Schmerzen halbwegs erträglich waren. Ich fand sie nicht! Danach erinnere ich mich nicht mehr an viel, außer dass Flo, der gerade eben noch 30 m über mir war, nun 40 m unter mir in teils autogroßen Eistrümmern lag. Tot.

Ich erinnere mich auch noch, dass ich all meine Konzentration darauf verwenden musste, nicht ohnmächtig zu werden, und an das Geräusch des Helikopters! Die Idee zu sterben kam mir nicht. Ich wusste, dass ich auf der Intensivstation aufwachen würde …

Intensiv, Reha & Amputation

Und so war es dann auch. Die erste Erinnerung von der Intensivstation war, als sie mir den Tubus entfernten. Allerdings war das erst 14 Tage nach dem Unfall: nach vielen bangen Stunden meiner Angehörigen und nach einer überlebten Lungenentzündung, die es nach über 100 Blutkonserven als Transplantationsreaktion dazu gab. Dazwischen war ich schon mal munter, allerdings erinnere ich mich daran nicht. Das lag vermutlich an den Opiaten oder dem sonstigen „guten Zeug“, das sie einem einflößen.

Als der Tubus weg war, konnte ich auch das erste Mal sprechen. Ich fragte nach Flo, allerdings wusste ich selbst, dass er tot sein müsste. Dann wurde mir erzählt, dass ich nur mit Müh und Not zusammengeflickt werden konnte, dass ich viel Glück hatte und als eines von zwei Wundern gelte, die jedes Jahr im Universitätsklinikum St. Pölten passieren.

Ein kurzer Auszug aus dem unfallchirurgischen Erstbericht: gerissene Bauchaorta, Serienrippenbrüche rechts 1-9, erste Rippe links gebrochen, Brustwirbelkörper 12 gebrochen, Blasenruptur, Darmverletzungen, gebrochene Speiche rechts mit massivem Kompartment streck- und beugeseitig, Absplitterung in der Halswirbelsäule, Schädelhirntrauma, zertrümmertes Becken, 32 Grad Körpertemperatur. Zweifelsohne hatte ich sehr viel Glück, eine perfekte Rettungskette und die besten Ärzte.

Ich war dann insgesamt sechs Wochen auf der Intensivstation, weitere sieben Wochen im Krankenhaus und nochmals sieben Wochen auf Reha im Weißen Hof, bevor es wieder zurück ins Krankenhaus ging. Nach über fünf Monaten war ich dann zum ersten Mal wieder daheim. Zu Nikolaus 2017 wurde dann der rechte Arm amputiert und knapp ein Monat später der künstliche Darmausgang zurückoperiert. Damit sollten zumindest die Krankenhausaufenthalte hinter mir liegen.

Heute

Unlängst habe ich mir die Fotos vor und vom Unfall angesehen. Ich würde wieder in die Säule einsteigen. Es gab für mich keinen Grund dafür, sie bei den herrschenden Verhältnissen nicht zu klettern. Und wenn diese Säule damals zusammenbrechen konnte, dann kann jede Säule zusammenbrechen!

Es bleibt die Erkenntnis, dass Säulen Schweine sind und dass man beim Bergsteigen alles richtigmachen und trotzdem sterben kann. Es bleibt ein Restrisiko und es kann tödlich sein! Trotzdem bin ich eisklettern, bergsteigen und klettern gegangen und ich werde es wieder tun! Die Natur kann einem so viel geben, aber auch sehr viel nehmen.

Warum schreibe ich diese Zeilen? Warum lebt der Mensch? Warum bleiben manche daheim und andere riskieren ihr Leben für die Eroberung des Nutzlosen? Warum stürzen manche Eissäulen ein und andere nicht?

Es gibt Fragen ohne Antworten und Antworten ohne Fragen.

Es gibt Dinge, die nicht zu ändern sind, und je eher man diese akzeptiert, desto schneller kann man in die Zukunft schauen und die Dinge angehen, die zu ändern sind!

Das ist die Erkenntnis, die ich aus diesem Unfall ziehe und deshalb schreibe ich auch diese Zeilen.

Und bis zu einem gewissen Grad auch, um den Unfall zu verarbeiten.

Chronologie

Zur Übersicht der zeitliche Ablauf:

  • 12. Februar 2017 Unfall
  • 6 Wochen Intensivstation
  • 7 Wochen Normalstation
  • 8 Wochen Reha
  • 1 Woche Krankenhaus
  • 1 Woche daheim
  • 8 Wochen Reha
  • 6. Dezember 2017 Amputation rechte Hand
  • 9. Januar 2018 Stoma-Rück-OP
  • 12. Mai 2018 erster Wettkampfstart A-Cup Saalfelden
  • 18. Mai bis 8. Juni 2018 Reha Pirawath
  • 24. Juni 2018 österreichischer Meister AU-2
  • 29. Juni bis 5. Juli 2018 Cevedale 
  • 1. August 2018 erster Arbeitstag beim Sport Bergfuchs (seitdem geringfügig beschäftigt)
  • 6.-16. September 2018 Paraclimbing WM in Innsbruck (6. Platz)
  • 22. September 2018 Landesmeisterschaft
  • 18. November 2018 erstes Mal Drytoolen bis M5 toprope

Erschienen in der
Ausgabe #106