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20. Mrz 2020 - 8 min Lesezeit

COVID-19 #1

Gerade habe ich zugehört, wie Riki Daurer von unserem Online-Team ein Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk geführt hat. Wenig überraschend ist es um das Corona-Virus und dessen Auswirkungen auf „den Bergsport“ gegangen, insbesondere darum, was sich gerade so in den sozialen Netzwerken abspielt.

Wie geht es euch in Tirol …?

Dabei wollte Sebastian Nachbar vom BR auch wissen, wie die Stimmung bei uns in Tirol ist, rechnen unsere deutschen Nachbarn doch demnächst auch mit den selben behördlichen Maßnahmen, wie sie seit einigen Tagen bei uns gelten – und die schon zuvor in Italien gesetzt wurden. (Das Bayern Rucksackradio zum Nachhören, Sendung vom 21.3.2020)

Menschen•Berge•Unsicherheit

Zu diesem Thema wurde viel und überall berichtet: in den Medien informieren und diskutieren rund um die Uhr Journalistinnen, Politiker und Experten und in den sozialen Netzwerken geben neben diesen vor allem alle andere ihre Meinung kund. Dabei reicht der Bogen dieser Sichtweisen und Beurteilungen von kompletter Gelassenheit und „Wo ist das Problem?“ bis hin zu wilden Verschwörungstheorien und „Das Ende naht!“ – also wie gewohnt.

Wir beschäftigen uns in diesem und den folgenden Beiträgen mit den Konsequenzen des Covid-19 auf den Bergsport – für die meisten ein Freizeitthema, für einige eine existenzbedrohende berufliche Herausforderung. Auch unsere Partner müssen der aktuellen Situation zurechtkommen, wie uns letzten Montag beim Andruck der Frühlingsausgabe vor Augen geführt wurde. Foto: argonaut.pro

Nun ist es weder unsere Aufgabe noch unsere Kompetenz, jetzt etwas zur Infektionswahrscheinlichkeit, zur Verbreitung und zum Verlauf der Atemwegserkrankung COVID-19 zum Besten zu geben. Okay, warum dann das Ganze? Weil der Untertitel von bergundsteigen „Menschen•Berge•Unsicherheit“ lautet, und während „Menschen & Unsicherheit“ die aktuelle Situation wohl perfekt beschreibt, gibt es unterschiedliche Auffassungen, welchen Stellenwert „Berg“ gerade hat.

Kein Bergsport, aber Spaziergänge

In den Alpen gibt es unter den Bergsteigerinnen dabei ein Süd-Nord-Gefälle, was uns zurück zur Frage führt, wie es uns hier in Tirol aktuell geht. Hier, in der Mitte zwischen Italien und Deutschland, wo in den letzten Tagen die verordneten Maßnahmen sukzessive zugenommen haben (seit vorgestern, 18. März, gilt nicht nur für das Paznauntal, St. Anton und Sölden, sondern für alle Tiroler Gemeinden eine Quarantäneverordnung) und der persönliche Bewegungsspielraum seit dem 15. März aufgrund einer „Verkehrsbeschränkung“ begrenzt wurde.

Die offiziellen Homepages der Landes- und Bundesregierung informieren aktuell und zuverlässig über die aktuelle Situation. www.tirol.gv.at vom 20.3.2020

Seit letztem Sonntag bedeutet das für unser Freizeitverhalten (bergsport-relevantes zusammengefasst):

  • Spazierengehen? Ja, wenn unbedingt notwendig und ohne weitere/neue soziale Kontakte, um die Virusverbreitung einzuschränken.
  • Bergtouren, Wanderungen, Skitouren? Nein, um Ressourcen der Einsatzkräfte zu schonen.
  • Radfahren? Nein, nicht als Freizeitgestaltung.
  • (Zusatzinfo für alle echt hippen Bergsteiger: #Skateboarden? Nein!)

Warum gibt es Einschränkungen im Freizeitverhalten?

Nochmals, weil es hier anscheinend Verständnisprobleme gibt. Diese Einschränkungen in unserem Freizeitverhalten zielen auf zwei Punkte ab:

  1. Die Virusverbreitung einschränken: Deshalb nur alleine oder mit jenen Menschen, mit denen man zusammenwohnt bzw. mit denen man bereits in engem Kontakt ist, spazieren gehen (und alles anderer tun), damit man weder sich selbst noch andere zusätzlich infizieren kann.
  2. Einsatzkräfte und Ressourcen des Gesundheitssystems schonen: Deshalb keine vermeidbaren Aktivitäten mit erhöhtem Verletzungsrisiko und/oder mit erhöhtem Aufwand für Rettung oder Bergung.

Wer also der Meinung ist „Klar gehe ich Bergsteigen, weil ich halte zwei Meter Abstand zu den anderen und stecke niemanden an“, hat auf den zweiten Punkt vergessen. Falls etwas passiert und man geborgen werden muss, steht man dann aber noch vor der Herausforderung, zu seinen Rettern ebenfalls die zwei Meter Abstand einzuhalten. Wer es schafft, noch etwas weiter zu denken, kann sich die Frage stellen, was passiert, wenn dann eine Heli-Crew oder Bergrettungs-Ortsstelle positiv getestet wird oder wie sehr man sich dann auf die Einlieferung ins nächste Krankenhaus, die OP und den anschließenden Aufenthalt mit Besuchsverbot freut – und wer wirklich empathisch ist, kann sich die begeisterten und verständnisvollen Gesichter des ganzen medizinischen Personals vorstellen, wenn du auftauchst und erzählst, dass du durch die Tour an der frischen Luft dein Immunsystem stärken wolltest …

Diese Maßnahmen gelten aber nicht nur für Tirol, sondern für ganz Österreich. Wer auf die Homepage des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus geht, bekommt dort folgende komprimierte Information, aus welchen drei Gründen man seit 18. März sein Haus verlassen darf:

  • Berufsarbeit, die nicht aufschiebbar ist.
  • Dringend notwendige Besorgungen (Lebensmittel, Medikamente).
  • Anderen Menschen zu helfen.

Auf der Seite des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz werden mit Stand 19. März die drei oben genannten Punkte wiederum durch folgenden ergänzt:

  • Bewegung im Freien alleine (z.B.: Laufen gehen, spazieren gehen) und mit Menschen, die im eigenen Wohnungsverband leben, oder wenn ein Abstand von mindestens 1 Meter zu anderen Menschen sichergestellt

Somit scheinen die weiter oben zusammengefassten Empfehlungen von Tirol die Sachlage recht gut zu beschreiben – kein Bergsport, aber Spaziergänge –, was auch den Hausverstand zufriedenstellt. Oder auch nicht, denn hier scheiden sich die Geister einiger Bergsportler.

Wie reagieren die Bergsteiger in Tirol & Österreich

Einige haben bereits vor der Schließung der Tiroler Skigebiete und des Inkrafttretens der Verkehrsbeschränkungen am Sonntag, 15. März, beschlossen, auf ihre alpinen Tätigkeiten zu verzichten.
Viele waren noch am Samstag oder Sonntag unterwegs, um dann ihre Skier einstweilen in den Keller zu stellen und sich an die ausgegebene Verordnung zu halten; einige haben ihren geplanten Klettertag auch abgebrochen, als sie am Sonntagvormittag von den neuen Maßnahmen erfuhren.
Vergleichsweise wenige Bergsportlerinnen haben dann das schöne Wetter am Montag genutzt, um auf Tour unterwegs zu sein, und mit dem Verlauf der Woche haben diese Aktivitäten dann weiter abgenommen. Vermutlich auch, weil ab Wochenanfang immer mehr österreichische Institutionen und Vereine wie Bergrettung, Naturfreunde, Alpenverein etc. klare Empfehlungen zum Verzicht von alpinen Aktivitäten kommuniziert haben.

Zusammenfassend haben die Verordnungen und/oder der Hausverstand der Tiroler Bergsteiger dazu geführt, dass „vermutlich“ nur noch wenige im alpinen Gelände unterwegs sind (v.a. seit am Dienstag, 18. März, das Überschreiten der Gemeindegrenzen untersagt wurde; außerhalb von Tirol sind in Österreich lt. Berichten v.a. lokal noch mehr Menschen unterwegs, der Trend dürfte in den letzten Tagen aber nach unten gegangen sein).

„Vermutlich“ deshalb, weil wir primär nur von jenen Ski-/Bergtouren etwas mitbekommen, die im Freundeskreis unternommen werden (in meinem Umfeld ist tatsächlich niemand mehr unterwegs), die beobachtet werden (da waren doch diese Webcams …) oder deren Akteure sie selbst in den sozialen Netzwerken posten. Die Reaktionen auf solche „Ich-war-gerade-auf-Skitour-und-es-war-super“-Postings sind unterschiedlich und hängen von der Gruppe, sprich dem Mikrokosmos, ab, in dem sie verbreitet werden. Wie wir seit einigen bergundsteigen-Beiträgen zu dem Thema wissen, entscheiden letztendlich die Leserinnen mit ihren Interaktionen, wie gut oder vernichtend ein Post und dessen Autorin im sozialen Netz punktet.

Bei uns in Tirol – und meiner Wahrnehmung nach inzwischen in ganz Österreich – generiert man mit solchen Beiträgen kaum noch Likes, sondern wird eher „entfreundet“ oder gar aus einigen Gruppen geworfen; zu dominant sind die Profile und Posts mit den Hashtags #StayHome, #DahoamBleiben, #StayTheFuckHome, #Bleibahoam usw. zusammen mit recht klaren Ansagen, dass es jetzt darum geht, die Einsatzkräfte und Ressourcen des Gesundheitssystems zu schonen. Diese „Spielverderber-Postings“ kommen diesmal – im Vergleich zu ähnlichen Appellen, z.B. bei Lawinengefahrenstufe 4 keine Skitouren zu unternehmen – aber interessanterweise nicht hauptsächlich von den Wochenend-Breitensportlern, sondern besonders vehement von Profisportlern und Berufsbergsteigern wie Bergführerinnen oder Heli-Crews.

Die internationale Vereinigung der Bergführerverbände haben dieses Foto mit #Stayathome und #COVID19 auf Facebook gepostet, das von vielen Bergführerinnen geteilt wird.

Während Organisationen wie z.B. der Internationale Bergführerverband mit seinem inzwischen auf Facebook von Bergführern oft geteilten Foto „Less exposition means less danger #STAYATHOME protect not only yourself but everyone around you“ reagiert haben, als sie es am Montag, 16. März, online gestellt haben, hat z.B. der Profibegsteiger Simon Gietl agiert und am Freitag davor via Facebook sehr sympathisch dazu aufgerufen, zu Hause zu bleiben.

… und in Südtirol?

Simon Gietl lebt in Südtirol, wo sich der Spaß schon länger aufgehört hat und die Menschen andere Sorgen haben, als Bergsteigen zu gehen. Wer dort in den letzten ca. 10 Tagen Fotos von seiner Ski-/Klettertour gepostet hat, wurde von der Community weder mit Anerkennung noch Prestige belohnt, sondern hat ziemlich klare Absagen bekommen.

Simon Gietl, Südtiroler Profibergsteiger, hat ebenfalls via Facebook diese Nachrict geteilt, zusammen mit #ichbleibezuhause und #zusammensindwirstark

Verschärfend kommt die italienische Rechtslage dazu, die einen Verstoß gegen das seit 10. März geltende Dekret (das zuletzt am 17. März verschärft wurde) zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit strafrechtlich (!) ahnden kann. Wird im besiedelten Raum mit einer solchen Anzeige anscheinend mit viel Augenmaß umgegangen, darf ein Bergsportler, der z.B. nach einem Unfall von der Bergrettung/dem Heli geborgen wird, ziemlich sicher mit entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Mehr zu diesem Thema in den nächsten Tagen von der Juristin Margareth Helfer.

Stefan Steinegger vom AVS hat es heute in einem Telefongespräch auf den Punkt gebracht:
„Österreich liegt laut Expertenmeinung 10 bis 14 Tage hinter Italien – vor zwei Wochen haben bei uns auch nicht alle Bergsteiger die Lage so ernst genommen wie heute. Man hat es aber auch nicht besser gewusst …“

PS: Wir haben uns bemüht die verordneten Maßnahmen und Dekrete chronologisch und inhaltlich korrekt wiederzugeben – was sich als nicht trivial herausgestellt hat, da tw. auch die amtlichen Quellen unterschiedliche Informationen geben und laufend upgedatet werden. Bitte selbst die Lionks auf Aktualität checken.

Demnächst: Die Situation in der Schweiz und Deutschland sowie die Empfehlungen der alpinen Vereine und Organisationen.