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die „Zauberflöte“ im Langental||||||||Adam Holzknecht in „Legrima” am Langkofel|Adam in „Legrima”.|Adam Holzknecht in „Amore e Ombra".|Alex Walpoth in „Amore e Ombra"|Frëit dl mond
09. Feb 2021 - 5 min Lesezeit

Gedanken zur Ethik des Eiskletterns

Diskussionen um alpine Ethik sind meinem Empfinden nach seltener geworden. Über das Klettern im Eis werden sie fast gar nicht geführt. Dank sozialer Medien sind wir so informiert wie niemals zuvor. Beinahe in Echtzeit scheinen Erstbegehungen, aktuelle Verhältnisse und spektakuläre Fotos auf unseren Bildschirmen auf. Eigentlich beste Voraussetzung, um uns eine Meinung zu bilden und gewisse Tendenzen zu hinterfragen. 

E(i)s ist alles erlaubt, oder? Akzeptanz und Gleichgültigkeit

Stattdessen sind wir unkritischer denn je. Alles wird akzeptiert, was freilich auch positive Seiten hat: So kann jeder klettern, wie er will. Akzeptanz und Gleichgültigkeit liegen jedoch nahe beieinander und in letzter Zeit wird der Alpinismus meiner Meinung nach von Letzterem geprägt. Im Grunde erkennen wir in dieser Entwicklung den allgemeinen Zeitgeist wieder. Der Individualismus hat einen hohen Stellenwert erlangt und führt dazu, dass wir Kritik oft auf persönlicher Ebene auffassen. Dabei ist es mir nur wichtig, ein paar Gedanken loszuwerden und jeden zur Selbstreflexion einzuladen. Einiges, was ich folgend kritisiere, habe ich nämlich selber auch schon gemacht.

Eis ist eine faszinierende Materie und Sinnbild für die Vergänglichkeit auf dieser Welt. Es lehrt uns, dass die Natur stets im Wandel und jeder Augenblick anders ist. Der Zyklus aus Entstehen und Schmelzen findet zwar jedes Jahr statt, spielt sich aber immer unterschiedlich ab. Für uns Eiskletterer und Eiskletterinnen nimmt daher die Beobachtung eine zentrale Rolle ein. Nicht jeder Moment ist perfekt zum Klettern; im Gegenteil, die wenigsten sind es. Dies fordert von uns Geduld und die Bereitschaft zum Verzicht. Doch sind wir dazu wirklich imstande? Oder geben wir der Anziehung der Senkrechten, der Aussicht auf raschen Erfolg allzu oft nach? Gewisse Eisfälle kann man nur alle paar Jahre klettern. Es lohnt sich definitiv, so lange zu warten; die Genugtuung wird dann ungleich größer sein.

Adam Holzknecht in „Legrima” am Langkofel. Erstbegangen vom 7. bis 8. Jänner 2013 mit Hubert Moroder. Adam hat 10 Jahre darauf gewartet, dass die Linie genug Eis zum Klettern aufweist. In jener Form hat sich „Legrima“ seither nicht mehr gebildet.

Viele neue Eisrouten

In den Dolomiten sind in den letzten Jahren bis zum Winter 2019/20 viele neue Eisrouten entstanden. Hat sich besonders viel Eis gebildet? Vermutlich. Gewiss wurde auch gut beobachtet und man hat bestimmte Linien entdeckt, die selten so viel Eis aufwiesen. Rechtfertigt das aber den recht großzügigen Einsatz von Bohrhaken, wie in vielen Fällen geschehen? Könnte es nicht sein, dass die Linie bereits nächstes Jahr so viel Eis aufweist, dass sie mit Eisschrauben allein vernünftig sicherbar ist?

Adam in „Legrima”. Kurz vor dem Biwak in der Wandmitte.

Ich will mich jedoch nicht nur auf das leidliche Thema Bohrhaken versteifen, sondern versuchen, das Eisklettern ganzheitlicher zu betrachten. Der Trend geht eindeutig in Richtung mehr Sicherheit und dies finde ich überaus positiv. Wenn wir uns fragen, wie wir das Risiko reduzieren wollen, gehen die Meinungen jedoch auseinander. Ich denke, größere Sicherheit finden wir nur in uns selbst, indem wir unsere Fähigkeiten, Ansprüche und Motivationen reflektieren. In den sozialen Medien jedoch kehren wir alles nach außen. Es kommt zu Verzerrungen, weil wir uns mit den Augen der anderen be- trachten. Teilweise denken wir nicht, „was will ich“, sondern „was kommt gut an“? Man könnte jetzt natürlich auch argumentieren, gut ankommen will ich ja „selbst“, es geht also schon um meine eigenen Wünsche; aber dennoch verkommt dann das Klettern nur zum Mittel, um soziale Anerkennung zu gewinnen. Genau dies sollte meiner Meinung nach auf keinen Fall passieren, da müssen wir mit uns selbst kritisch umgehen.

Adam Holzknecht in „Amore e Ombra“. 2 Normalhaken auf 5 Seillängen, bisher unwiederholt.

Erstbegehung?

Gleich kritisch sollten wir uns nach vermeintlichen Erstbegehungen die Frage stellen, ob wir auch wirklich die Ersten waren, die über den gefrorenen Wasserfall hinaufgeklettert sind. Von zwei „Erstbegehungen“ im Langental aus dem Winter 2018/19 weiß ich, dass sie mit größter Wahrscheinlichkeit schon viele Jahre vorher geklettert wurden. Warum nicht mit Sicherheit? Weil jene Alpinisten damals weder die Möglichkeit noch das Interesse hatten, ihre Begehungen irgendwo groß zu publizieren. Um ein breites Publikum zu erreichen, reichten nicht wenige Klicks auf dem Smartphone, man musste schon die Fachzeitschrift anschreiben, per Post. Viele gingen da doch lieber wieder klettern, für sich selbst im Stillen.

Der Autor in „Amore e Ombra”. Dankbar vom Lehrmeister mit- genommen worden zu sein.

Teils galt auch die Meinung, dass man beim Eisklettern sowieso keine Erstbegehung machen kann, weil das Eis im Frühjahr schmilzt und die Route nächstes Jahr schon ganz an- ders ausschauen könnte. Dieser alljährliche Wandel wirft wieder die Frage auf, inwiefern der Einsatz von Bohrhaken beim Eisklettern überhaupt gerechtfertigt ist. Wenn eine Linie aus Eis sich ein einziges Mal bildet, der zugrundeliegende Felsen aber für immer mit Bohrhaken übersät bleibt, ist das verhältnismäßig? Vielleicht lässt sich die Route ja schon ein Jahr darauf vollständig auf dem Eis klettern. Die Route „Solo per un altro Hashtag“ in Val Lasties ist ein gutes Beispiel: Sie wurde 2018 mit einem schwierigen Mixed-Einstieg eröffnet, wohingegen die fragile Säule im letzten Winter bis zum Boden gewachsen ist. Besonders ärgerlich: Ursprünglich wurde die Mixed-Seillänge im besten Stil clean eröffnet, aber nur wenige Tage darauf bohrten sich andere Eiskletterer an der gleichen Stelle mit sieben Spit hinauf.

„Frëit dl mond”. Mehrere Sanduhren ermöglichen ein „cleanes“ Abenteuer.

Und jetzt?

Es drängt sich die Frage auf, was wir tun können. Ich denke, wir sollten unseren leichtfertigen Einsatz von Bohrhaken überdenken. Statt der Bohrmaschine kann man auch nur einen Handbohrer mitführen und schon ändert sich die Auffassung, wie viele Bohrhaken wirklich notwendig sind. Außerdem sollten wir mit den Kletternden vor Ort, den Locals, öfters in Kontakt treten. Da bieten uns die sozialen Medien mit ihren zwanglosen Kontaktierungsmöglichkeiten wieder einen großen Vorteil. Ich bin überzeugt, dass wir manche vermeintliche Erstbegehung auch überhaupt nicht publizieren sollten. Somit können die nachfolgenden Alpinisten und Alpinistinnen auch noch das ganz besondere Abenteuer erleben, das nur eine Erstbegehung zu bieten vermag. Natürlich wird der Ärger groß sein, wenn man dann doch einen Haken findet. Aber wenn man das Erlebnis und nicht die mit dem eigenen Namen verknüpfte Neutour in den Vordergrund stellt, wird dieser Ärger sich schnell auflösen.

Gleichermaßen wie das Eis sich jeden Frühling auflöst, um sich im nächsten Winter wieder in einer ganz neuen Form zu bilden. Wir werden das Glück haben, daran klettern zu dürfen. Vielleicht sogar als Erste, wenn wir Geduld aufbringen und lernen, zu beobachten und die Stille zu genießen.

A propos Soziale Medien: Alex Walpoth kann man auch auf Instagram folgen.

Erschienen in der
Ausgabe #113 (Winter 20-21)