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18. Mai 2022 - 4 min Lesezeit

Verhauer: Warum Kommunikationsprobleme fatale Folgen haben können

Julius Kerscher über ein altbekanntes Kommunikationsproblem beim Alpinklettern, das fatale Folgen haben kann.

Wir klettern in Seilschaft in stark strukturiertem Gelände. Kurz nach Seillängenauftakt geht es um eine Kante. Somit außer Sicht meines sichernden Partners klettere ich Richtung Crux in steiler Platte. Kein entspanntes Stehen – wackelig bereits gilt es, den seitlich gerade so erreichbaren Haken einzuhängen. Konzentration, einen Halbseilstrang aufnehmen. Mit seitlich weit ausgefahrenem Arm ein Klippversuch – doch zu wackelig.

Julius Kerscher in der Nordost-Verschneidung (Hoffmann-Schrank) am Predigtstuhl im Wilden Kaiser. Foto: Carola Enzesberger.

Erneutes Positionieren, das Seil sinkt ab. Ich nehme wieder einen Halbseilbogen auf, schwungvoll, zum Klippen – und höre aus Richtung des mich nicht sehenden Sicherers ein freudiges „Seil frei!“. Zu diesem Zeitpunkt, nach 30 Metern Klettern, sind noch 25 bis 30 Meter freies Seil im Rennen, also ein Rutschfahrtgutschein über die komplette Platte. Nach Begreifen, was los ist, laute Klarstellung Richtung Sicherungspartner. Er installiert die Partnersicherung schnell wieder. Nix passiert …

Aus Fast-Unfällen lernen

Der asymmetrische Durchhang, das klärten wir gemeinsam am nächsten Stand, wurde als Standsignal durch plötzlichen „Seilfunk“ interpretiert. Zuvor hatte es immer Ruf- und Sichtkontakt gegeben. Fehlinterpretation von Seileinzug, Seilrückfluss und danach ein, zwei Meter Durchhang eines Halbseilstranges am Stand. Missverständnis begünstigt durch: mangelnden Sichtkontakt, Unklarheit über Verlauf der Seillänge beim Sichernden, den unsicheren Klipp-Ablauf beim Kletternden und den zusätzlichen Lapsus beider, dass vor Beginn der Kletterei nicht deutlich über die Kommandos gesprochen worden war. Man beachte, dass in diesem Beispiel das mitunter als überflüssig betrachtete Kommando „Seil frei!“ als Problemhinweis sehr hilfreich war …

Der Münchner Julius Kerscher (*1982) ist kein unbeschriebenes Blatt in der Alpinkletterszene: Viele alpine Klassiker und auch einige Erstbegehungen, beispielsweise an der Tiroler Steinplatte, finden sich auf seinem Konto. Inzwischen arbeitet der studierte Mathematiker hauptberuflich als Routenbauer. Und falls er nicht am Schrauben ist, shapet, malt oder zeichnet er.

Was hätte man als erweiterte Check-Routine besprechen sollen? Die klassischen Seilkommandos per Ruf sind doch klar. Aber: Jede*r hat vermutlich schon von irgendeiner „Seilfunk“-Methode gehört. Für den Fall, dass man sich weder sieht noch hört. Oder den Fall, dass man sich sieht, aber nicht rufen will, weil man andere Seilschaften nicht ablenken, sondern lieber im „Silent Mode“ unterwegs sein möchte. So was wie: „Einfach asymmetrisch nur einen Halbseilstrang einziehen“ als Signal für „Stand“. Aber ohne weiteren Zusatz ist das natürlich eine gefahrenträchtig halbseidene Beschreibung.

Der asymmetrische Seileinzug müsste „unmissverständlich“ erfolgen, also mehr als die oft zu beobachtenden knappen drei Meter, mehr Seilstrecke jedenfalls als das Doppelte dessen, was man mal mit einem Halbseilstrang Seil zum Klippen aufnimmt. Mehr auch, als man zum Losschlenzen eines verhangenen Seiles aufnimmt – und das kann eigentlich beliebig viel Seil sein. Dass ein Halbseilstrang mal lockerer ist als der andere, ist bei Halbseiltechnik ohnehin wahrscheinlich, schon durch z. B. einen kleinen Verhänger eines Stranges an einer Felsnase o. Ä.

Eine sicher „unmissverständliche“ Längendifferenz gibt es also nicht – nur die Gewissheit, dass alles unter drei Metern überhaupt nichts sagt. Noch weniger sollte man auf „Silent Modus“ in noch gefährlicheren Varianten wie „dreimal kurz ziehen und wieder fallen lassen“ setzen (das macht man ebenso mal, um ein verhängtes Seil zu lösen). Fazit: Ein bisschen Durchhang eines Halbseilstranges am Stand oder dreimal hin und her heißt gar nix.

„, Stand“ ist ein Kommando, in dessen Folge die Partnersicherung aufgegeben wird. Angesichts des Schadenspotenzials: Wenn man sich nicht sicher ist, ob die Sachlage schon dazu passt und meine Seilpartnerin oder mein Seilpartner tatsächlich Stand hat, warum nicht in dieser doch seltenen Notlage einfach weiter Seil ausgeben durch die weiterhin installierte Partnersicherung? Unter Umständen ist das zeitraubend, nervig, aber eben nicht so gefährlich. Weiter im Sicherungsvorgang bleiben sollte also der eigentliche „Fallback-Plan“ sein, wenn direkte Kommunikation einmal wirklich nicht möglich ist. „Silent Mode“ ist kein Blanko-Fallback-Plan, eher Zierde durch „silentium“ in Situationen, wo man sich sieht, aber die Ruhe am Berg nicht stören möchte.

Juliusʼ Fazit in 5 Punkten

  1. Vor der Tour das Signalprocedere klären.
  2. Rufsignale immer nach dem Schema „, “.
  3. Weniger ist mehr. Nicht „Ah, cool, ich bin gleich am Stahahahand …“ Der Partner hört ggf. nur „Stand“ …
  4. Es hilft, wenn Kletterer und Sichernder Klarheit über die kommende Länge haben. Rechtzeitig kommunizieren, bevor der Sichtkontakt verloren geht.
  5. Für den Fall, dass man sich nicht hört oder sieht: Alles unter drei Metern „Seilfunken” (Einziehen eines Halbseilstranges) ist fehleranfällig. Besser konsequent bis Seilende weitersichern.

Seilfunk ist eine stille Zier, wenn man sich sieht, aber kein Fallback-Plan.

Erschienen in der
Ausgabe #118 (Frühling 22)

bergundsteigen #118 cover