bergundsteigen 131 cover
Magazin Abo
Klettern im Einklang mit dem Zyklus. Foto: Leni Rischpler
07. Juli 2025 - 12 min Lesezeit

Klettern im Einklang mit dem Zyklus

Wie beeinflusst der weibliche Zyklus Leistungsfähigkeit und mentale Stärke beim Klettern? Und wie lässt sich das Training darauf abstimmen? Sportklettertrainerin Leni Rischpler über den aktuellen Forschungsstand, Hormonschwankungen und die Chancen zyklusorientierten Kletterns

Beim Klettern gibt es Tage, an denen einfach alles passt: Leisten fühlen sich griffiger an als sonst, das Selbstvertrauen ist hoch, und auch mental scheint einen nichts aus der Balance zu bringen. Doch ebenso gibt es Phasen, in denen schon leichtere Routen zu Pump in den Armen führen, der Fokus fehlt, die Angst präsenter ist als sonst und sich jeder einzelne Zug einfach nur schwer anfühlt. Ernährung, Regeneration oder der allgemeine Trainingszustand spielen hierbei zweifellos eine Rolle – für Kletterinnen kommt jedoch ein weiterer, oft übersehener Aspekt hinzu: der weibliche Zyklus.

Auch im Klettern lange ein Tabuthema: Der weibliche Zyklus. Foto: Leni Rischpler
Im Klettern lange ein Tabuthema: Der weibliche Zyklus. Foto: Leni Rischpler

Zyklus und Leistung: Was die Forschung sagt

In der Öffentlichkeit galt das Thema lange als Tabuthema. Die Sportwissenschaft beschäftigt sich jedoch schon lange damit. Erste Studien über den Zusammenhang zwischen dem weiblichen Zyklus und der Leistungsfähigkeit entstanden bereits in den 80er Jahren. Die Wissenschaftlerinnen Charlotte Fridén, Ann-Louise Hirschberg und der Wissenschaftler Tore Saartok untersuchten beispielsweise bereits 1987 in einer Längsschnittstudie mit hormoneller Kontrolle, wie sich die Muskelkraft und Ausdauer während des Menstruationszyklus verändern. Dabei zeigte sich, dass die Maximalkraftwerte während der Ovulationsphase tendenziell höher waren, während in der Lutealphase eine erhöhte subjektive Erschöpfung berichtet wurde (Die vier Phasen des Zyklus werden später ausführlich erläutert).

Die kanadische Sportmedizinerin Dr. Constance Margaret Lebrun trug wenige Jahre später die Ergebnisse aus insgesamt 20 Studien der 80er Jahren zusammen und ergänzte diese mit eigenen Untersuchungen. Sie kam hingegen zu dem Ergebnis, dass sich kaum allgemeingültige Aussagen über die Auswirkungen des weiblichen Zyklus treffen lassen und eine individuelle Betrachtung der Frauen notwendig ist. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020, die alle bisher vorliegenden Studien zum Thema „Leistung in Abhängigkeit vom Zyklus” ausgewertet hat.

Die Auswirkungen des Zyklus sind stark individuell

Viele Studien vergleichen Daten zu einem Messzeitpunkt und zwischen Personen. Dabei wurden die Zyklusphasen selbst mit wenig validen Methoden bestimmt. Die Ergebnisse der Studien machen deutlich, dass ein personenbezogener Ansatz in der Forschung wichtig und notwendig ist, um den Verlauf des Zyklus und die variable Leistungsfähigkeit innerhalb einer Person verstehen zu können. 

Die neuere Studie Empow’her (INSEP, 2022–2024) verfolgt genau diesen Ansatz: Über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten wurde bei 130 französischen Spitzensportlerinnen untersucht, wie sich die Phasen des Menstruationszyklus auf die sportliche Leistungsfähigkeit auswirken. Die ersten Studienergebnisse belegen, dass eine zyklusangepasste Trainingssteuerung zur Leistungsoptimierung und besseren Belastungsverträglichkeit beitragen kann. Allerdings zeigen die Ergebnisse auch hier große Unterschiede in der individuellen Wahrnehmung. Die vollständigen Ergebnisse aus den Untersuchungen sind bisher nicht veröffentlicht worden. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es heute zwar Studien mit signifikanten Zusammenhängen zwischen dem weiblichen Zyklus und der körperlichen Leistungsfähigkeit gibt, der Effekt aber individuell sehr verschieden und nicht pauschal auf alle Sportlerinnen übertragbar ist. Es ist zwar allgemein anerkannt, dass der weibliche Zyklus die Leistungsfähigkeit beeinflussen kann. Doch wie genau, bei wem und in welchem Ausmaß – das ist bisher nicht wissenschaftlich belegt.

Mit Tabus brechen: Über Menstruation beim Sport sprechen

In den letzten Jahren hat das Thema Zyklus und Sport vor allem deswegen neuen Schwung bekommen, weil Sportlerinnen mit dem Tabuthema gebrochen und offener über ihre Menstruation sprechen. Trotzdem ist es noch lange nicht im Trainingsalltag von Spitzensportlerinnen angekommen: Nach einer Studie unter norwegischen Elite-Langläuferinnen und -Biathletinnen sprachen nur rund ein Viertel mit ihren Trainern über den Zyklus. Wurden sie von einer Frau trainiert, waren es immerhin 44 Prozent.

Auch das Institut für angewandte Trainingswissenschaft IAT setzt sich mit der im Jahr 2022 gegründeten Projektgruppe „Frauen im Leistungssport” für das Brechen einstiger Tabus ein und unterstützt weitere Untersuchungen über die Auswirkungen des weiblichen Zyklus. Im Podcast Blut, Schweiß und Training sprechen sie offen über das einstige Tabu-Thema. 

Nur ein Viertel spricht mit ihren Trainern über den Zyklus

Beste Zeit für Onsight-Versuche, harte Boulder oder Projekte sind in der Ovulationsphase. Foto: Leni Rischpler
Beste Zeit für Onsight-Versuche, harte Boulder oder Projekte sind in der Ovulationsphase. Foto: Leni Rischpler

Sportklettern und der Zyklus

Inzwischen ist das Thema auch bei Kletterinnen angekommen. Gerade beim Klettern – einem Sport, der körperliche Kraft mit mentaler Stärke vereint – kann dieser Zusammenhang entscheidend sein. Und dafür muss man keine Wettkampf-Athletin sein: Schon bei ambitionierten Breitensportlerinnen kann sich der Zyklus bemerkbar machen.

Im Folgenden wird beleuchtet, wie sich Klettereinheiten an den Zyklus anpassen lassen, wann sich schwierige Projekte besonders lohnen und wann es sich gut anfühlen kann, bewusst kürzer zu treten.

Der Zyklus – mehr als nur die Periode

Viele Frauen setzen den Zyklus ausschließlich mit der Menstruation gleich. Dabei handelt es sich lediglich um den Beginn eines komplexen hormonellen Prozesses, der in vier Phasen abläuft und individuell unterschiedlich stark wahrgenommen wird. Die Hormone Östrogen und Progesteron spielen dabei eine zentrale Rolle: Sie beeinflussen nicht nur das körperliche Wohlbefinden, sondern auch Motivation, Stimmung, Schlafqualität, Energielevel und sogar das Schmerzempfinden.

Persönliche Erfahrung

Die Autorin Leni Rischpler ist Trainerin C Sportklettern und ausgebildete Yoga-Lehrerin (RYT 200). Foto: Leni Rischpler
Die Autorin Leni Rischpler ist Trainerin C Sportklettern, ausgebildete Yoga-Lehrerin und betreibt zusammen mit Máté Matolsci die Kletterschule climBe in München. Foto: Leni Rischpler

Mir persönlich war lange nicht bewusst, dass sich mein Zyklus nicht nur auf mein allgemeines Wohlbefinden, sondern auch auf meine körperliche und mentale Leistungsfähigkeit beim Klettern auswirkt. Während und nach meiner Ausbildung zur Yoga-Lehrerin habe ich mich intensiver mit dem Thema Zyklus auseinandergesetzt. Mit zunehmendem Alter (etwa ab Mitte 30) und steigendem Schwierigkeitsgrad beim Klettern habe ich den Zusammenhang dann auch an meinem eigenen Körper immer deutlicher gespürt. Es gibt Tage, an denen ich deutlich mehr Kraft aufbringen kann und über mehr Ausdauer verfüge. An anderen Tagen hingegen fühle ich mich nicht nur schwächer, sondern auch viel ängstlicher.

Routen, die ich kurz zuvor durchsteigen konnte, fühlen sich plötzlich erheblich schwerer an. 

Was genau passiert also in den verschiedenen Zyklusphasen, und wie können sich die Hormone auf die Leistungsfähigkeit und mentale Stärke von Frauen auswirken? 

Ausgabe 123 Hitze Frauen in den Bergen

Hintergrundartikel: Frauen in den Bergen aus medizinischer Sicht. Wie sich der Zyklus, die Menopause und Schwangerschaft beim Höhenbergsteigen auswirken

Die vier Phasen des Zyklus und ihre Wirkung auf das Klettern

Der weibliche Zyklus dauert zwischen 22 und 35 Tagen und unterteilt sich in vier Phasen: 

1. Menstruation (Tag 1–5)

Der Zyklus beginnt mit dem Abfall des Progesteronspiegels und dem Beginn der Menstruation. Viele Frauen erleben dabei Unterleibsschmerzen, ein Gefühl der Erschöpfung und geringere Leistungsfähigkeit. Auch ohne spürbare Schmerzen ist der Körper in dieser Phase mit einem hohen Energieaufwand beschäftigt – die Regeneration steht im Vordergrund.

Auswirkungen aufs Klettern: Leichte Bewegungen wie Yoga oder entspanntes Klettern in einfachen Routen können jetzt wohltuend sein und gegebenenfalls krampflösend wirken. Frauen sollten in dieser Zeit auf ihren Energiehaushalt achten und Rücksicht auf ihren Körper nehmen – wenn sie sich gut fühlen, spricht nichts gegen ein anspruchsvolles Training.

2. Follikelphase (Tag 6–12)

Während die Eizelle heranreift, steigt der Östrogenspiegel. Serotonin und Dopamin sorgen für ein Stimmungshoch. Viele Frauen fühlen sich vital, selbstbewusst und leistungsstark – eine Art „innerer Frühling“.

Auswirkungen aufs Klettern: Jetzt ist eine ideale Phase für kontrolliertes Krafttraining. Aufgrund des weiter steigenden Östrogens befinden sich Frauen jetzt im anabolen Stoffwechsel: Das Training hat mehr Effekt, und der Muskelaufbau fällt leichter. Zudem ist die Motivation in dieser Phase meist hoch, was das Training noch leichter von der Hand gehen lässt. 

Klettern im Einklang mit dem Zyklus. Foto: Leni Rischpler
Kontrolliertes Krafttraining und Muskelaufbau in der Follikelphase. Foto: Leni Rischpler

3. Ovulationsphase (Tag 12-14)

Der Eisprung ist die Peak-Phase: Östrogen, Testosteron und Glückshormone erreichen ihren Höhepunkt. Frauen fühlen sich in dieser Zeit stark, konzentriert und mutig – perfekte Voraussetzungen für Höchstleistungen!

Auswirkungen aufs Klettern:
Beste Zeit für schwere Onsight-Versuche, harte Boulder oder Durchstiegsversuche in Projekten. Das Ausgeben von Maximalkraft fällt Kletterinnen in dieser Phase besonders leicht. Vorsicht ist jedoch geboten: Die hohe Östrogenkonzentration kann die Bänder weicher machen und das Verletzungsrisiko beim Sport und damit auch beim Klettern leicht erhöhen. Gutes Aufwärmen und eine saubere Technik sind in dieser Phase deshalb besonders wichtig. 

4. Lutealphase (Tag 15–28):

Nach dem Eisprung dominiert das Hormon Progesteron. Es steigert die Körpertemperatur, verlangsamt den Kohlenhydratstoffwechsel und kann zu Wassereinlagerungen führen. Viele Frauen berichten von Energiemangel, Heißhunger, Reizbarkeit und emotionaler Sensibilität. Die psychische Beeinträchtigung in dieser Zeit kann für einige Frauen so belastend sein, dass man von einer Prämenstruelle Dysphorische Störung (PMDS) spricht. Diese Störung, die sich zum Beispiel durch Stimmungslabilität, depressive Verstimmung sowie deutlichen Energieverlust, Brustspannen oder Konzentrationsschwierigkeiten auszeichnet, wurde inzwischen auch im ICD-11 als eigenständige Diagnose aufgenommen.

Auswirkungen aufs Klettern:
Technisch oder mental fordernde Routen fühlen sich in dieser Phase oft schwerer an – vor allem im Kontrast zum gerade erst erreichten Leistungspeak. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt für lockeres Klettern oder aktive Regeneration. In dieser Zeit können Frauen ihre Ausdauer trainieren, indem sie beispielsweise Routen, die unterhalb ihres Limits liegen, mehrfach hintereinander klettern oder eine mittelschwere Route nach oben klettern und eine etwas leichtere Route abklettern. Frauen sollten in dieser Zeit das Training nicht zu hart planen, ihr Körper arbeitet ohnehin schon auf Hochtouren. 

Mentale Stärke und hormonelle Schwankungen

Die mentale Verfassung spielt beim Klettern eine zentrale Rolle. Selbstvertrauen, Fokus und der konstruktive Umgang mit Angst gehören zu den Grundvoraussetzungen für gutes Klettern. Hormonelle Veränderungen können diese mentale Balance jedoch stören – insbesondere in der Lutealphase und während der Menstruation. 

Insbesondere in der Lutealphase kann die Stimmung sinken

Typische Begleiterscheinungen:

  • Reizbarkeit 
  • Grübelneigung 
  • Ängste oder Unsicherheiten 
  • reduzierte Frustrationstoleranz
  • geringere Motivation

Gerade in Phasen, in denen die körperliche Kraft ohnehin reduziert ist, können mentale Belastungen stärker wirken und ein größeres Angstempfinden als gewöhnlich auslösen. Das Wissen darüber hilft: Wenn Frauen bewusst ist, dass sich ihre mentale Stärke zyklusbedingt verändern kann, können sie sensibler mit sich selbst umgehen – ein erster Schritt zu mehr Selbstakzeptanz und mentaler Resilienz. Auch das offene Ansprechen in der Seilschaft kann hilfreich sein. Wenn der Seilpartner oder die Seilpartnerin weiß, dass die Kletterin in der aktuellen Phase mit stärkeren Ängsten konfrontiert ist, können achtsame Bemerkungen wie „Ich bin bei Dir” besonders unterstützend wirken. 

Während Angst die Leistung mindern kann, verhilft eine gesteigerte Motivation gegebenenfalls zu Höchstleistungen. Hier gibt es Erkenntnisse aus Studien, die belegen, dass Athletinnen zum Zeitpunkt des Eisprungs eine größere Trainings- und Wettkampfmotivation zeigen als in der Follikel- oder Lutealphase. Auch ein gesteigertes Risikoverhalten konnte um den Eisprung herum nachgewiesen werden. Hierfür wurde die Testosteronkonzentration im Speichel gemessen, was darauf schließen lässt, dass die gesteigerte Testosteronkonzentration rund um den Eisprung mit der Risikobereitschaft korreliert. Das kann bei Onsight- oder Durchstiegsversuchen beim Klettern durchaus leistungsfördernd sein. 

Höheres Risikoverhalten durch gesteigertes Testosteron

Fünf Trainingstipps: Klettertraining an den Zyklus anpassen

  1. Auf den Körper hören
    So wie nicht jede Frau ihren Zyklus gleich empfindet, wird auch nicht jeder Zyklus mit den gleichen Empfindungen erlebt. Wichtig ist, dass Kletterinnen lernen, ihre individuellen Reaktionen wahrzunehmen. Eine Zyklus-App kann dabei helfen, wiederkehrende Muster zu erkennen.
  2. Das Training zyklusbewusst planen
    Kletterinnen können ihre starke Phase (Follikel- und Ovulationsphase) gezielt für anspruchsvolle Projekte, intensives Krafttraining oder mentale Herausforderungen nutzen. In der Lutealphase und während der Menstruation kann ein Fokus auf Technik, Mobilität und Regeneration sinnvoller sein.
  3. Selbstzweifel vermeiden
    Wenn sich Kletterinnen in bestimmten Phasen „nicht wie sonst“ fühlen, sollten sie nicht sofort ihre Fähigkeiten hinterfragen. Der Grund liegt oft im Hormonhaushalt – nicht bei der Person selbst.
  4. Tipp für das Projektieren
    Kletterinnen, die kurz vor dem Durchstieg eines schweren Projekts stehen, sollten den nächsten Versuch idealerweise in der Ovulationsphase planen – hier sind sie am leistungsfähigsten und mental oft am stabilsten.
  5. Keine Angst vor Pause
    Regeneration ist Training. Wenn der Körper in der Menstruationsphase Ruhe braucht, sollten Kletterinnen ihm diese gönnen – ohne schlechtes Gewissen.

Fazit: Der Zyklus als Begleiter

Klettern im Einklang mit dem Zyklus bedeutet nicht, sich von Hormonen beherrschen zu lassen – es bedeutet vielmehr, achtsam mit den eigenen Ressourcen umzugehen. Wer seine körperlichen und mentalen Hoch- und Tiefphasen versteht, kann nicht nur gezielter trainieren, sondern auch mit mehr Mitgefühl, Klarheit und Selbstbewusstsein an Projekte herangehen. Der weibliche Zyklus ist kein Hindernis – er ist ein natürlicher Rhythmus, den wir für uns nutzen können.


Literatur