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bergundsteigen im Gespräch mit Philipp Brugger und Simon Messner|bergundsteigen im Gespräch mit Philipp Brugger und Simon Messner|bergundsteigen im Gespräch mit Philipp Brugger und Simon Messner|bergundsteigen im Gespräch mit Philipp Brugger und Simon Messner
19. Feb 2017 - 12 min Lesezeit

bergundsteigen im Gespräch mit Philipp Brugger und Simon Messner

Philipp Brugger und Simon Messner, ihr seid zwei Bergsteiger der „jungen Generation“, die (noch) nicht so bekannt sind. Wer seid ihr und was macht ihr?

Philipp Brugger Das ist gar nicht so leicht zu beschreiben, weil sich bei mir in den letzten Jahren und besonders auch in den letzten Monaten viel verändert hat: Zuerst war ich ein Wettkampfsportler im Bereich Skibergsteigen und Berglauf bzw. Trail-Running. Mittlerweile bin ich viel mehr beim Bergsteigen, möchte die Berge entdecken und widme mich dem Alpinismus mit seinen Abenteuern. Ich laufe zwar immer noch gerne Rennen, aber wenn mir Simon schreibt, dass an diesem Wochenende die Verhältnisse an den Grandes Jorasses gut sind, dann würde ich lieber mit ihm nach Frankreich fahren. Wettkämpfe sind immer noch Teil von mir, aber die Prioritäten haben sich geändert.

Simon Messner Ich bin hauptberuflich Student der Molekularbiologie und schreibe gerade meine Masterarbeit im Bereich der Epigenetik. (Nachdem er die fragenden Blicke der Interviewer bemerkt, folgt die Erklärung) Dabei geht es vereinfacht gesagt darum, ganz flexibel Gene „aus- und einzuschalten“. Zum Alpinklettern bin ich eher spät mit ungefähr 15 Jahren gekommen, danach erst zum Sportklettern und in den letzten Jahren habe ich für mich das Bergsteigen im klassischen Zuschnitt entdeckt. Beim Alpinismus, der mich jetzt begeistert, fasziniert mich das Abenteuer – wobei dieser Abenteuerbegriff ist einfach schon so abgelutscht, dass ich ihn gar nicht gerne in den Mund nehme. Mir gefällt es einfach, sich zu „exponieren“ – das trifft es da wohl am besten.

Was heißt hier eher spät …? Ich habe mit 23 meine erste Alpintour gemacht. Das war die Mayerlrampe am Großglockner 2014. Meine Eltern haben eigentlich vom Alpinismus „keinen Plan“, waren aber sportlich aktiv und so habe ich meinen ersten Berglauf schon mit sieben Jahren gemacht, wobei die Motivation ganz von mir ausging. Am Ende der Wettkampfsaison habe ich dann mit Kollegen angefangen, steile und lange Touren zu gehen und auch steile Abfahrten – z.B. die Monte-Rosa-Ostwand – zu machen. Wobei wir hier im Nachhinein gesehen ziemlich riskant unterwegs waren: Wir hatten zwar ein Seil mit, wussten aber nicht wirklich, was wir damit anfangen sollten.

Bergsteigen hat für mich in der Kindheit bzw. ganz lange Zeit überhaupt keine Rolle gespielt. Mich haben Reiten und v.a. das Fischen viel mehr begeistert – Klettern war zu dieser Zeit kein Thema.

Für uns steht ihr stellvertretend für eine junge Generation an Bergsteigern, die mit Erstbesteigungen und – oft schnellen – Wiederholungen klassischer Ziele auf sich aufmerksam machen. Was sind eure persönlichen Ziele?

(schüttelt den Kopf) Keine Ahnung. Für mich geht es darum, das konditionelle und skitechnische Fundament, das ich mir über die Jahre erarbeitet habe, um eine klettertechnische Komponente zu erweitern. Für mich wäre es schon reizvoll, auch höhere Berge in Angriff zu nehmen, unter dem Motto: „schnell und leicht“. Gerade mit sehr guter Kondition kann man hier viel erreichen und das macht mir auch Spaß – doch es muss unkompliziert und ohne riesigen Aufwand möglich sein. Dabei bin ich beim Bergsteigen auch nicht wirklich leidensfähig und deshalb muss ich einfach einmal schauen, was geht.

Dabei geht es für mich nicht um einen Wettstreit, denn am Berg ändert sich alles so schnell, dass die Leistungen ohnedies kaum zu vergleichen sind: An manchen Tagen muss man umkehren, weil es einfach nicht passt, und an anderen Tagen klappt alles wie geplant. Wenn die Grundvoraussetzungen so unterschiedlich sind, kann es gar keinen echten Wettstreit geben. 

Ich sehe mich als Teil einer jungen Szene, die rausgeht, um am Berg etwas zu erleben. Persönlich möchte ich bis zum Sommer mein Studium abschließen und dann ist die Bergführerausbildung in Südtirol mein Ziel. Bergsteigen an sich ist für mich eine fortlaufende Entwicklung, bei der jede neue Tour auf der letzten Tour aufbaut und zur nächsten Tour führt. Im Herbst möchte ich nach Nepal fahren, um ein Projekt in einer bislang unbestiegenen Wand zu probieren; dabei ist es mein primäres Ziel, neue Erfahrungen zu sammeln. 

Ich sehe es als Chance unserer Generation, mit besserer – weil leichterer – Ausrüstung und gutem Wetterbericht etwas Tolles umzusetzen, das früher wesentlich schwieriger war. Mit den „Eisgeräten“ von früher ist es definitiv viel schwieriger – wenn nicht unmöglich –, richtig schwere Wasserfälle zu klettern. Allerdings liegt der Schlüssel sicher in der Planung und einer guten Vorbereitung, wobei nach wie vor die kreative Idee entscheidend ist. Mit Philipp rede ich oft über die Ausrüstungsentwicklung, was die Leistungen der Vergangenheit umso mehr hervorhebt. Der Nebeneffekt der leichten Ausrüstung ist aber auch, dass sie nicht so lange hält …

Warum möchtest du in die Bergführerausbildung?

Das habe ich schon seit ca. vier Jahren im Kopf. Ich kann es mir nicht vorstellen, immer im Labor zu bleiben, und mein Ziel ist tatsächlich nicht nur die Ausbildung zu machen, sondern auch als Bergführer zu arbeiten. Ich sehe das ganz pragmatisch und weiß, dass die Arbeit hart ist, wenn man davon leben möchte – aber ich finde es reizvoll und interessant. 

Welche Unterschiede bemerkt ihr, wenn ihr als Seilschaft unterwegs seid, oder anders gefragt: Stimmt es wirklich, dass Philipp am Einstieg immer eine Stunde warten muss und Simon alles vorsteigt?

(lacht) Wir haben im Grunde genommen die gleiche Philosophie und uns taugt das klassische Bergsteigen einfach irrsinnig gut. Jeder von uns hat andere Stärken. Das nützen wir aus und so ergänzen wir uns auch perfekt, ohne eine Konkurrenz aufzubauen. Den Zustieg spurt oft Philipp und ich klettere dann die schweren Seillängen. So profitieren wir voneinander und jeder gewinnt. Wir agieren als Seilschaft und das funktioniert so gut. Das Gemeinsame steht bei uns beiden klar im Vordergrund.

Jeder von uns hat ja auch andere Seilschaftspartner, aber gerade in letzter Zeit haben wir viel gemeinsam gemacht. Die Tour am Eiger vor wenigen Wochen z.B. hätte ich auch mit niemand anderem klettern wollen als mit Simon. Er ist für mich der ideale Tourenpartner und wir haben auch schon wieder gemeinsame Projekte im Auge. Ich bin oft ängstlicher oder zurückhaltender und horche immer sehr auf meinen Bauch und mein Gefühl.

In den ersten Jahren war ich auch viel ängstlicher und bin sehr oft umgekehrt. Das Bauchgefühl ist schon wichtig, aber wenn man schon einmal vor Ort ist, dann sollte man auch die sich bietenden Chancen nutzen. Deshalb reden wir sehr viel miteinander, besprechen die Situationen und entscheiden dann gemeinsam. Zwei Meinungen sind einfach besser als Einzelentscheidungen. (denkt nach) … wobei wir noch nie eine wirklich ernste Situation meistern mussten.

Was bedeutet das Bergsteigen für dich, Philipp?

Intensiveres Leben. Ich muss mich nur um die Wand, den Seilpartner und die Tour kümmern. Der ganze Alltagsschmarrn hat hier keine Bedeutung.

Und für dich, Simon?

Konzentriertes Leben. Teilweise vielleicht auch Flucht aus dem Alltag. Am Berg sind Erlebnisse möglich, die anderen Menschen nicht zugänglich sind. Und es ist auch gar nicht nötig, dass es andere Menschen verstehen.

Auch nicht, wenn ihr an die Nachvollziehbarkeit aus dem Blickwinkel eurer Sponsoren denkt?

Außer mir kennt kaum jemand meine Touren oder meine Tourenberichte. Ich habe eine Facebook-Seite, auf der ich das eine oder andere poste, und mit Adidas habe ich einen guten Firmenpartner, der mir viele Freiheiten lässt. Das empfinde ich als großes Glück. 

Ich habe mein Hobby zum Beruf machen können und habe durch den Sport auch den Beruf bekommen. Mein Arbeitgeber Gecko ist sehr entgegenkommend und versteht meine Leidenschaft und mein Sponsor Salomon ist perfekt einverstanden damit, was ich mache. Er verlangt nur, dass ich meine Aktivitäten teile, egal ob es ein Trailrun ist oder eine alpine Aktion. Deshalb habe ich zwei Facebook-Seiten: eine Sportlerseite, wo ich meine Unternehmungen poste, und eine private Seite.

Bei uns im Skitourenrennsport ist es mit dem ganzen Sponsoring ja teilweise extrem: Da kleben sich Leute, die weit weg von der Spitze sind, ein Abziehbild von Powerbar auf den Helm, nur damit die Leute glauben, dass man ein Profisportler ist. Das ist insgesamt gesehen natürlich lächerlich.

Ein eigenes Thema sind dann noch die Blogger, von denen manche fast alles tun würden, um von einer Firma unterstützt zu werden, d.h. dann vor allem kostenlos Material zu bekommen.

Ich finde das auch lächerlich: Das ganze „Geposte“ mit dem Bergsteigen nicht unbedingt gut. Weniger ist, wie so oft, mehr.

Was wäre, wenn ihr keine Sponsoren mehr hättet?

Unsere Einstellung würde sich nicht ändern und wir würden auch alles gleich machen. Das wäre dann schwieriger und anstrengender, weil wir mehr arbeiten müssten. In der Folge würde es auch länger dauern, bis die angestrebten Ziele realisiert werden könnten. Die Leidenschaft wäre aber die gleiche.

Ein guter Sponsor schafft mehr Möglichkeiten. Und obwohl es heute viel leichter und vor allem billiger ist, weltweit bergsteigen zu gehen, hilft einem die Unterstützung der Firmen sehr.

Wohin entwickelt sich das Skibergsteigen als Wettkampf?

Das Skibergsteigen entwickelt sich in erster Linie weg vom Skibergsteigen. Das Bergsteigen sollte man eigentlich überhaupt streichen, weil es nichts mehr damit zu tun hat. Die meisten Athleten sind auch gar nicht mehr in der Lage, bergsteigerische Schwierigkeiten selbstständig zu meistern. Interessante und herausfordernde Rennformate scheitern nicht zuletzt daran, dass die Veranstalter berechtigte Angst vor der Haftung haben. Selbst die großen hochalpinen Veranstaltungen wie die Patrouille des Glaciers oder die Trofeo Mezzalama sind von den Rahmenbedingungen her komplett abgesichert: Die Teilnehmer müssen nur noch laufen. Außerdem ist in den Regelwerken alles so festgelegt, dass ein Risiko möglichst ausgeschlossen wird. Diese Entwicklung ist natürlich nachvollziehbar, aber schade. 

Es gibt bei den Athleten natürlich auch sehr gute Alpinisten, aber viele Skibergsteiger können nicht einmal eine gute Spur anlegen oder haben kaum Ahnung von Berg, Schnee und Lawinen. Es ist legitim, irgendwo schnell hinaufzulaufen, aber man sollte doch auch über das Gelände, in dem man sich bewegt, Bescheid wissen.

Für mich ergeben sich daraus allerdings auch Vorteile, weil ich Projekte wie z.B. die schnellste Begehung des Piz Bernina realisieren kann: Das ist für einen klassischen Wettkampf-Skibergsteiger zu schwierig und für einen superfitten Alpinisten zu wenig technisch. 

Wohin entwickelt sich der Alpinismus?

Ein Beispiel: Wir konnten bei unserer Erstbegehung in der Lüsener Fernerkogel Nordwand im November 2016 das Phänomen feststellen, dass – sobald es im Internet war – unzählige Seilschaften kamen und die Tour gemacht haben. Nach der Erstbegehung haben wir uns gedacht, das wird niemand wiederholen, weil die Linie zwar schön, aber der Zustieg einfach zu lang ist. Tatsächlich scheint vielen Leuten oft die Kreativität zu fehlen und sie laufen lieber den gebahnten Wegen nach; und wenn es „eingepickelt“ und ausgestattet ist, lässt sich alles auch viel leichter wiederholen. 

Viele haben keine eigenen Ideen und machen am liebsten das, was alle machen. Wir waren auch heuer am Eiger sehr überrascht, dass niemand unterwegs war, obwohl die Verhältnisse sehr gut waren. Immer wenn in der Vergangenheit aber jemand wie z.B. Ueli Steck eine seiner Begehungen veröffentlichte, wurde die Nordwand regelrecht überrannt. Man könnte den Eindruck bekommen, dass viele Alpinisten von heute mit gepacktem Rucksack vor dem Computer sitzen und dann auf einen Startschuss, sprich Posting, warten. Die Wände und Touren werden nicht gemacht, sondern nachgemacht. Mir persönlich ist das egal, ich beobachte es nur und wundere mich.

Dasselbe konnten wir auch bei der Diagonalen am Schrammacher beobachten: Sobald eine Begehung bekannt wird, kommen die Massen, und dann wird es auch gefährlich, wenn mehrere Seilschaften hintereinander in einer alpinen Route unterwegs sind. Außerdem tauchen auch Seilschaften auf, die eigentlich nur deshalb hinaufkommen, weil es eine Spur gibt oder die Absicherung vorhanden ist. Ich kann darüber aber lachen, da es mir um mein persönliches Erlebnis geht, und was andere machen, ist deren Ding.

Möchtet ihr euch von der „alten Generation“ unterscheiden?

Hut ab vor den vorherigen Generationen. Wieso sollten wir uns von den „Alten“ unterscheiden wollen? Im Grunde suchen wir doch nach demselben wie die Pioniere von damals, nur eben in einer anderen Zeit. Ich möchte nur für mich eine gewisse Eigenverantwortung in Anspruch nehmen dürfen, und das auch in Zukunft.

Ich bin ich und ich sehe es als Inspiration, was Leute wie Paul Preuss oder andere damals mit ihren Möglichkeiten gemacht haben. Und ich mache heute einfach mein Ding.

Wie ist der Frauenanteil in der jungen Alpingeneration?

Ja, es gibt schon einige gleichaltrige Bergsteigerinnen, aber in den großen Touren sieht man nicht wirklich viele. Schade eigentlich!

Vielleicht sind Frauen doch einfach intelligenter und nicht so risikofreudig. Das Ganze war schon immer männerdominiert – und das ist auch bei uns „Jungen“ nicht anders.

Gibt es irgendetwas, das ihr noch loswerden möchtet?

Es wäre schön, wenn einem nicht permanent auf die Finger geschaut, nicht alles bewertet und jede Kleinigkeit beurteilt wird. Die Leute, auch die Bergsteiger, sollen auf sich selber schauen und nicht immer andere ausbessern. In der Anonymität der sozialen Medien gibt heute jeder seinen Senf ab, redet bei Dingen mit, von denen er selbst keine Ahnung hat, und verurteilt andere Bergsteiger aus dem warmen Wohnzimmer heraus. Am Berg ist jeder frei und kann tun, was er will!

Auch ich würde mir wünschen, dass die Leute mehr bergsteigen gehen und weniger darüber reden oder kommentieren, was andere machen. Außerdem sollte jeder seine Eigenverantwortung wahrnehmen!

Ein Anliegen ist uns auch, dass wir als junge Generation erkennen müssen, dass die unberührten Wände nicht technisch erschlossen werden sollen, weil wir uns dadurch das Potenzial der Zukunft verbauen – aber auch das ist bereits ein „alter Hut“.   

Simon Messner / Philipp Brugger

alter 26 / 25

wohnort  Innsbruck / Sistrans

heimat Meran / Sistrans

beruf  Student & Freelancer bei Messner Mountain Movie / Ich habe einen Job bei Gecko, arbeite aber nicht viel ☺

freundin verpartnert / zufrieden

drogen Pueblo gewuzelt & Cafè / Snus Swedish Match

trainingspensum durchwachsen / 15 -20 Stunden pro Woche

sicherungsgerät  Grigri & Reverso / Reverso

mittelbreite 78 / Rennski 68,5 & Tourenski 79

bindung so a Dynafit / Gignoux

leidenbereitschaft vorhanden / ausbaufähig

tourenproviant Zirbentschurtschensirup & CliffBar / Mars & CocaCola oder Bachwasser

literatur Robert Steiner: Selig wer in Träumen stirbt / Fernsehzeitschrift

führerschein Ja, aber kein Auto / Ja, und Citroen C4, 120 PS

seillänge So kurz wie möglich, so lange wie nötig: von RadLine bis zum normalen 60er-Strick 

getränk Cafe / Bier

pulsmesser & ruhepuls nein & keine Ahnung / nie & 32

Erschienen in der
Ausgabe #98