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Fabian Buhl in der Route „Déja“ (8c+) im Rätikon, der er 2019 die erste freie Begehung abringen konnte.
21. Sep 2022 - 9 min Lesezeit

Climb first, talk later

Soziale Medien hatten in den letzten Jahren enormen Zulauf. Für viele sind sie zum wichtigsten messbaren Tool geworden, die gekletterte Linie oder der Berg sind heute zweitrangig. Sie stehen im Schatten des produzierten Media-Contents und wie er schlussendlich von Sponsoren ausgeschlachtet werden kann.

Bilder sagen mehr als tausend Worte; doch sie können verändert oder gestellt sein – sie stehen oft nicht in Korrelation zur Wirklichkeit und der wahren Leistung. Blender haben jede Möglichkeit, sich selbst zu verherrlichen, obwohl die Leistung am Berg eher dubios oder sogar lächerlich ist. In den Zeiten analoger Medien hätte der Zeitschriften-Redakteur solche Selbstdarsteller gar nicht erst berücksichtigt. Durch profundes Wissen über die Szene hätte er am Ende des Monats nur über die wichtigsten Begehungen und Leistungen berichtet.

Heutzutage, zu Zeiten von Instagram und ähnlichen Plattformen, kann jeder Nutzer seine eigene Version der Geschichte darlegen. Die Wahrheit kann verzerrt werden, Übertreibungen und Fakes sind an der Tagesordnung, eine narzisstische Epidemie breitet sich aus und verseucht mit einer Unzahl von nichtssagenden Selfies die Medienlandschaft: Hauptsache, es sieht steil und wild aus.

Portrait von Fabian Buhl beim Klettern.
Portrait von Fabian Buhl beim Klettern.

Es stellt sich die Frage, was zuletzt übrigbleibt, der Boom in sozialen Medien und die damit einhergehende Selbstverherrlichung oder der Untergang der Magazine und ihrer Redakteure? Klar ist nur, dass ehrlicher und guter Journalismus der Verlierer sein wird. Selbstvertrauen ist im Alpinismus mindestens genauso wichtig wie das richtige Material. Dieses Vertrauen in sich und in seine eigenen Stärken ist zwingend notwendig, um große Linien zu klettern, doch das heißt noch lange nicht, dass man sich selbst zu ernst nehmen sollte.

Es stellt sich die Frage, was zuletzt übrigbleibt, der Boom in sozialen Medien und die damit einhergehende Selbstverherrlichung oder der Untergang der Magazine und ihrer Redakteure?

Fabi Buhl

Zahlreiche Führungspositionen in der Outdoorindustrie sind von Personen besetzt, denen der Bezug zum Alpinismus fehlt, weswegen es ihnen immer schwerer fällt, wahre Leistung von gepushter Scheinleistung zu unterscheiden. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns auf sehr dünnem Eis bewegen, wenn wir in Zukunft die Scheinleistung von „Fotoshooting-Expeditionen“ den wahren Highlights vorziehen.

"Heutzutage, zu Zeiten von Instagram und ähnlichen Plattformen, kann jeder Nutzer seine eigene Version der Geschichte darlegen."
„Heutzutage, zu Zeiten von Instagram und ähnlichen Plattformen, kann jeder Nutzer seine eigene Version der Geschichte darlegen.“ „Die Essenz des Alpinismus liegt darin, den eigenen Visionen und Überzeugungen zu folgen, und zwar mit voller Hingabe – also keine Postings ohne wahre Leistung.“

Alpinismus ist seit jeher eine gefährliche und schwer zu vermittelnde Aktivität, und er war es bereits bevor alle 4000er der Alpen um 1900 erstbestiegen waren. Bergsteigen ist ein privilegiertes Tun, das viel Geld und Unterstützung verlangt, und außerdem ist es egoistisch. Im Himalaya wird alles noch gefährlicher, noch teurer und noch fragwürdiger. Unzureichendes Equipment sowie ungenaue Wettervorhersagen und das Gipfelfieber im Kampf um die vierzehn Achttausender haben viele das Leben gekostet. Heutzutage haben wir Hightech-Material, einen detaillierten Wetterbericht und einen innovativen, schnelleren Kletterstil.

All diese Faktoren haben den Alpinismus sicherer gemacht. Unvorhergesehene Situationen werden dank Satellitentelefon und modernen Tools wie GPS-Geräten minimiert. Heutzutage können wir im Vergleich zu früher deutlich weiter gehen und klettern und die Grenzen unserer Sicherheit weit verschieben, ehe wir wirklich exponiert sind. Wir sehen heute dauernd Live-Berichterstattung aus dem Basislager, die jedoch in keinster Weise die wirklichen Umstände eines Versuches am Berg widerspiegelt. Vielmehr erleben wir belanglose Selbstdarstellung und Marketingarbeit aus einem entlegenen Ort. Die wirklich großartigen Leistungen und bahnbrechenden Erstbegehungen werden auch heute noch deutlich nach ihrer Realisierung veröffentlicht, nämlich erst dann, wenn die Protagonisten ihre Gedanken gesammelt haben und das Erlebte verarbeitet haben.

Fabian Buhl in der Route „Déja“ (8c+) im Rätikon, der er 2019 die erste freie Begehung abringen konnte.
Fabian Buhl in der Route „Déja“ (8c+) im Rätikon, der er 2019 die erste freie Begehung abringen konnte. (Foto: Heinz Zak)

Der Druck der Sponsoren ist heute so groß, weil es eben zu viele Blender gibt, die dauernd nach Beachtung schreien und sich selbst profilieren müssen. Deshalb ist es zuletzt für alle Alpinisten schier unmöglich geworden, sich der Jagd nach Likes zu entziehen, so gern sie es würden. Genau die Aufmerksamkeit, die man dem Berg widmen sollte, wird darauf verwendet, seinen Social-Media-Auftritt zu verbessern. Dabei sind Fokus und Ideen ausschlaggebend, um visionäre Linien am Berg zu verfolgen.

Die Akzeptanz der Ungewissheit und des Unbekannten sowie die vollkommene Hingabe an das Ziel ist genau das, was es braucht, um große Linien zu klettern. Dies ist schon in Zeiten von Cassin, Buhl oder Messner demonstriert worden. Genau diese Werte aber konkurrieren deutlich mit der narzisstischen Darstellung in den sozialen Medien, die wiederum vor allem die Sponsoren verlangen. Unsere Welt ist heute deutlich besser vernetzt, wir sind mobiler und können jede Destination mit relativ billigen Flügen erreichen. Es verwundert mich also nicht, dass die Intervalle zwischen den Expeditionen der Spitzenalpinisten immer kürzer werden.

„Erst als die Protagonisten wieder zu Hause waren und genügend Zeit gehabt hatten, das Erlebte zu verarbeiten, kam die wohlüberlegte Berichterstattung.“

Es gibt manche, die für ein kurzes Wetterfenster an die entlegensten Orte fliegen. Diese schnelle Taktung ist der Qualität des Alpinismus nicht förderlich. Im Gegenteil, vielleicht ist sie sogar der Grund für zahlreiche Unglücke. Es gibt keinerlei Grund, von einer Bergregion in die nächste zu fliegen, ohne sich wirklich auf die dortigen Verhältnisse einzulassen und diese zu beobachten, um den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. In den 1970er- und 1980er-Jahren waren eine oder maximal zwei große Expeditionen pro Jahr möglich. Folglich waren die Teams gut vorbereitet und auch bereit, mehrere Monate im Basislager zu verbringen.

In dieser Zeit konnten sie die Bedingungen am Berg beobachten und dazulernen, warten und alles vor- bereiten, ehe es dann zum ernsten, finalen Versuch kam. Erst als die Protagonisten wieder zu Hause waren und genügend Zeit gehabt hatten, das Erlebte zu verarbeiten, kam die wohlüberlegte Berichterstattung – üblicherweise aber nur dann, wenn wirklich etwas Bedeutendes geklettert wurde. Es gäbe weniger Probleme, wenn wir folgenden Satz verinnerlichen würden: „Climb first, talk later!“ Heute ist meist schon alles veröffentlicht, bevor die Protagonisten wieder zu Hause sind, und sie selbst befragen sofort die sozialen Medien: Was haben andere in der gleichen Zeit alles geklettert?

Biwak am Gipfel des Cerro Torre.
Fabian Buhl beim Biwakieren am Gipfel des Cerro Torre.

Selbst wenn man bei einem Versuch – vermutlich aus guten Gründen – einen Rückzieher gemacht hat, checkt man, was die anderen in diesem oder jenem Wetterfester in der gleichen Region geleistet haben, ob andere ihr Ding durchgezogen haben oder mehr Glück hatten. Dieser Impuls lässt sich nicht unterdrücken, während man im Gegenzug den eigenen Entscheidungen nicht mehr vertraut: Zu groß ist der Druck, sich zu vergleichen. Daraus und aus dem extremen externen Druck entstehen Selbstzweifel. Doch damit verlieren wir an Selbstbestimmung. Es ist einerseits menschlich, sich zu vergleichen, andererseits hinkt jeder Vergleich beim Tradklettern. Trotz des Bewusstseins, dass Leistungen im Alpinismus gar nicht zu vergleichen sind – weil zu viele unterschiedliche Faktoren sich permanent ändern–, wollen wir uns ständig mit anderen messen.

Wir können mit absoluter Sicherheit sagen, dass die höhere Expeditionszahl pro Jahr auch zu mehr Unfällen führt. Wenn am Ziel einer Reise die Bedingungen nicht passen, wird hastig an einen alternativen Ort gewechselt – nur um etwas Verwertbares für die (sozialen) Medien zu produzieren. Ich habe diese Erfahrung vor einiger Zeit in Kanada gemacht. Ich fühlte solchen Druck und solche Zweifel in mir aufkommen, war so davon getrieben und besessen, dass ich wiederholt meine eigenen Entscheidungen infrage stellte. Ich war fremdbestimmt.

Ich fühlte solchen Druck und solche Zweifel in mir aufkommen, war so davon getrieben und besessen, dass ich wiederholt meine eigenen Entscheidungen infrage stellte.

Fabi Buhl

Dann realisierte ich, dass nur mein schwacher Geist den Ängsten nicht widerstehen konnte – vielleicht wollte ich nur einen kleinen Selbstwert-Boost in Form von Likes. Gott sei Dank erkannte ich es! Ich machte mir klar, dass ich nach Kanada gekommen war, nur um Spaß zu haben und zu klettern – und vor allem wieder gesund nach Hause zu kommen. Jeder, der zu dieser Zeit in den Rockies unterwegs war, wusste, dass der Schneeaufbau eher schlecht war. Nichtsdestotrotz versuchten wir immer und immer wieder, Schwieriges zu klettern, jedes Team auf verschiedenen Routen – bis Hansjörg Auer, David Lama und Jess Roskelley in der Lawine starben (siehe bergunsteigen #114).

Fabian Buhl beim ersten Gleitschirmflug vom Cerro Torre nach selbstständigem Aufstieg.
Fabian Buhl beim ersten Gleitschirmflug vom Cerro Torre „by fair means“. Schon zuvor gelang Paragleitern der Flug vom Gipfel, allerdings brachte sie ein Helikopter rauf.

Erst nach dem schrecklichen Unglück akzeptierte die ganze Community, die sich gleichzeitig in Canmore befand, dass die Bedingungen definitiv zu schlecht waren. Der Unfall berührte mich zutiefst und rüttelte mich wach. Er zeigte mir, dass sicher unterwegs zu sein und Spaß zu haben das Wichtigste ist. Soziale Medien wollen nur den Ruhm und den Erfolg. Wenn du einmal nicht mehr im Rampenlicht stehst, wird dich die newsgeile Welt sehr schnell ersetzen. Aus Sicherheitsgründen sollten wir also nur für uns selbst und niemand anderen klettern!

Je öfter du in den Bergen etwas riskierst, umso wahrscheinlicher ist es, dass dir etwas passiert, egal wie vorsichtig du bist. Das ist reine Stochastik. Irgendwann wird ein komplett unvorhersehbarer Unfall passieren und du wirst Opfer der Statistik – die objektiven Gefahren fordern ihren Tribut! Es gab schon mal eine Generation, die sich fast komplett selbst ausgelöscht hat: Alex MacIntyre, Jean-Marc Boivin, Jean-Christophe Lafaille, Jerzy Kukuczka und viel andere starben in einer Zeit des Umschwungs, als beim „Abenteuer Alpinismus“ plötzlich mehr Geld im Spiel war.

Je öfter du in den Bergen etwas riskierst, umso wahrscheinlicher ist es, dass dir etwas passiert, egal wie vorsichtig du bist.

Fabi Buhl
Fabian Buhl zeigt sich nachdenklich über den größer werdenden Einfluss sozialer Medien auf die Leistung am Berg.
Fabian Buhl zeigt sich nachdenklich über den größer werdenden Einfluss sozialer Medien auf die Leistung am Berg.

Doch obwohl der Alpinismus seither deutlich sicherer wurde (mit besseren Wettervorhersagen, neuen Tools, mehr Know-how), wurden weitere Alpinisten Opfer ihres eigenen Drucks. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Es ist in den letzten Jahren zu viel Tragisches passiert! Wir haben einen großen Teil der Top-Alpinisten verloren: Marc-André Leclerc, Ueli Steck, David Lama, Hansjörg Auer, Kyle Dempster … Wir sind dabei, die tragische Ära von Boivin und MacIntyre zu wiederholen! Es ist endlich an der Zeit, unseren Zugang zu den Bergen, unsere Haltung und unsere Motivation zu hinterfragen. Wir sollten auf unsere innere Stimme mehr geben als auf Likes, inkompetente, nichtssagende Medien einfach ignorieren!

Wir dürfen unsere Sponsoren zufriedenstellen, aber die Essenz des Alpinismus liegt darin, den eigenen Visionen und Überzeugungen zu folgen, und zwar mit voller Hingabe – also keine Postings ohne wahre Leistung. Wenn „Climb first, talk later!“ unsere Richtlinie wird, dann hätten wir viele Probleme nicht und mehr Spaß an unserem Tun. Vermutlich wäre dieser Zugang zum Alpinismus auch deutlich sicherer!


Titelfoto: Heinz Zak

Erschienen in der
Ausgabe #119 (Sommer 22)

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