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21. Mrz 2020 - 7 min Lesezeit

COVID-19 #2: Simon Gietl

„Fühl dich stark, aber nicht unsterblich“. Simon Gietl zu seiner aktuellen Situation im Ahrntal/Südtirol

„Grias enk, mein Name ist Simon Gietl und ich bin Alpinist und Bergführer aus Leidenschaft. Die Berge haben mich in ihren Bann gezogen. Sie faszinieren und inspirieren mich und halten immer wieder neue Herausforderungen für mich bereit. Ich lebe meinen Traum als Alpinist und bin einfach glücklich, wenn ich in den Bergen unterwegs sein darf.“

So wird man von Simon Gietl auf seiner Homepage begrüßt. Simon lebt mit seiner Familie im Ahrntal und in den Bergen ist er seit einiger Zeit nicht mehr. Via Facebook hat er sich recht früh Gedanken zur von COVID-19 hervorgerufenen Situation gemacht und aufgerufen, zusammenzuhalten und zu Hause zu bleiben. Wir haben Simon gestern gefragt, wie es ihm geht und was ihn beschäftigt.

Foto: Archiv Gietl

Simon, was machst du gerade?

Ich bin mit der Familie im Garten bei uns daheim in Luttach (Ahrntal/Südtirol). In der Früh war ich im Keller auf dem Griffbrett und hab zwei Stunden eine Trainingssession gemacht und danach war ich zu Hause mit der Familie unterwegs. Wir haben das Glück, einen schönen Garten zu haben, und sind in den letzten Tagen viel dort im Freien gewesen; das Wetter war so warm, dass wir auch oft draußen gegessen haben. Jetzt gerade zünden wir ein kleines Feuer an, weil ja Frühlingsanfang ist, und genießen gemeinsam den Abend.

Foto: Archiv Gietl

Wie alt sind deine Kinder?

Meine zwei Buben sind vier und sieben Jahre alt und gehen in den Kindergarten bzw. die Schule. Seit gut zwei Wochen sind sie zu Hause, d.h. wir bekommen die Aufgaben und machen dann „Heimunterricht“. Ich habe das Glück, dass meine Frau Sandra Kindergärtnerin ist und die Schweigermama, die gleich nebenan wohnt Lehrerin – so geht das recht gut.

Wie ist die Stimmung bei euch?

Die Bewegungseinschränkungen sind schon enorm, werden aber gut befolgt. Wobei ich nur das beurteilen kann, was bei uns im Dorf passiert, weil ich mich natürlich an die Regeln halte.

Ich sehe vieles an der aktuellen Situation aber mehr als Chance, denn als Verpflichtung. Wir werden die Situation nur in den Griff bekommen, wenn wir alle am gleichen Ende des Seiles ziehen. Deswegen ist es wichtig und richtig, dass wir uns alle entsprechend verhalten.

Dabei ist mir schon klar, dass ich und meine Familie sich in einer glücklichen Lage befinden: Wir sind jung, haben ein gutes Immunsystem und sind gesundheitlich fit. Trotzdem haben wir eine Verantwortung, v.a. jenen Menschen gegenüber, die diese Privilegien nicht haben. Wir wissen, dass es Glück war, dass wir hier weniger stark betroffen sind als z.B. die Menschen in der Lombardei, von wo täglich sehr ernste und traurige Nachrichten kommen. Aber auch bei uns in Südtirol kommen die Krankenhäuser ans Limit.

Vor diesem Hintergrund ist es für mich übrigens überhaupt kein Thema, jetzt irgendein alpines Projekt anzugehen oder am Berg unterwegs zu sein – wenn ich weiß, wie ernst die Lage im ganzen Land ist? Deswegen ist es wichtig, dass möglichst viele bekannte Profis zu Hause bleiben und Vorbild für alle Amateur- und Hobbysportler sind.

Spürst du wirtschaftliche Konsequenzen?

Bei mir sind einige Vorträge abgesagt worden, was natürlich nicht optimal ist, aber die werden alle irgendwann nachgeholt werden. Daneben sind mir natürlich Führungstage ausgefallen, aber mein Glück – oder Pech, je nachdem, wie man es sieht – ist, dass ich Anfang April mit einem Freund nach Brasilien zu einer Kletterexpedition fliegen wollte. Um mich darauf vorzubereiten, habe ich extra bis drei Wochen davor keine Führungen mehr angenommen und jetzt hat mich das eigentlich vor einem größeren wirtschaftlichen Schaden bewahrt. Nach Brasilien werden wir fahren, wenn das Leben wieder in normalen Bahnen läuft.

Auch hier habe ich ganz einfach Glück gehabt und mir werden jetzt nicht – wie leider vielen Bergführerkollegen – die wichtigen Einnahmen von der ganzen Skihochtourensaison fehlen. Wer zu 100 Prozent vom Bergführen lebt und auf diese Arbeit angewiesen ist, für den ist das natürlich eine harte Zeit. Fehlen die Einnahmen von diesen wichtigen sieben bis acht Wochen, aber Fixkosten, Haus und Familie müssen finanziert werden, dann kann das schnell existenzbedrohend werden …

Das große Problem ist dabei aber vor allem die Ungewissheit, wie es weitergeht, wann sich alles wieder normalisiert. Jeder wird – auch psychisch – besser damit umgehen, wenn er von vorneherein weiß, dass es jetzt einen Monat einen Lockdown geben wird. Das kann jeder überbrücken. Aber den Druck zu haben, nicht zu wissen, wie es weitergeht und ob und wie man alles finanzieren kann oder wie die berufliche Zukunft ausschaut, das bereitet vielen echte Bauchschmerzen.

Und die Situation breitet sich ja immer noch aus. In Italien ist, ausgehend von der Lombardei, das Virus mit allen Begleiterscheinungen Schritt für Schritt zu uns gekommen und wurde in Österreich immer noch belächelt oder zumindest nicht ernst genommen – dabei hätte man sich schon denken können, dass es am Brenner keinen Halt macht. Was ich mitbekomme, wird in Österreich die Lage inzwischen ebenfalls sehr ernst genommen und auch Deutschland wird sich langsam bewusst, was auf sie zukommt.

Weil du vorher gefragt hast, wie es mit meinen Sponsoren weiterläuft. Hier bin ich mit allen Firmen in Kontakt, weil wir an einigen Produkten weiterarbeiten. Was passiert ist und was ich bemerkenswert finde, dass mein Hauptsponsor Salewa eine kluge Entscheidung getroffen hat: Sie haben begonnen, Schutzmasken bzw. -bekleidung zu produzieren. Ein solches soziales Engagement und das ähnliche Mindset eines Sponsors freut und bestätigt einen natürlich sehr.

Geht bei euch noch jemand Skitour oder Bergsteigen?

Also wenn du bei uns noch Skitouren gehst und jemand bekommt das mit, dann bist du für alle einfach nur ein Idiot. Weil wenn sich alle an etwas halten, warum soll das einer nicht tun. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass die Leute das kapieren.

Ich war letztes Jahr in Pakistan auf Expedition und das Wetter war – so wie letzte Woche bei uns – wunderschön und es wären ideale Verhältnisse gewesen; wäre es nicht viel zu warm geworden, sodass wir die ganze Zeit nur im Basislager herumsitzen konnten. So ähnlich ist es mir die letzten Tage vorgekommen.

Der ganz große Unterschied ist aber, dass ich jetzt bei den Menschen bin, die mir am wichtigsten sind. Mit ihnen jetzt Zeit verbringen zu können ist schön und eine große Chance, auch wenn ich in die Zukunft schaue.

Bist du trotzdem voll am Trainieren?

Ich glaube, ich habe überhaupt noch nie so viel Griffbrett-Training absolviert wie in den letzten drei Wochen. Ich habe mittlerweile sogar angefangen jeden Tag zu dehnen – was ich auch schon lange nicht mehr gemacht habe.

Ein Tipp für alle, die glauben, es ohne Berge zu Hause nicht aushalten zu können?

Ich verstehe das prinzipiell, weil ich derselbe bin und meinen Ausgleich brauche. Ich kann schon einmal zwei Tage stillsitzen und nichts tun, aber irgendwann habe ich das Bedürfnis, mich wieder zu quälen und zu spüren, dass ich müde werde. Deswegen ist mir mein kleiner Kellertrainingsraum wichtig: Da ist zwar nicht viel drinnen, aber allein mit einem Griffbrett kann man sich relativ fit halten.

Außerdem ist es gar nicht so schlecht, einmal zur Ruhe zu kommen und schätzen zu lernen, welche Lebensqualität wir normalerweise haben. Ich schaue auch gerne alte Fotos an und erinnere mich an die vielen Erlebnisse der letzten Jahre.

Das fällt mir allerdings leichter als vielen anderen, denn bei uns im Tal ist das Virus nicht so präsent und wir haben genügend Platz, einen Garten usw. Wenn ich mir vorstelle, mit meiner Familie in Mailand im fünften Stock zu wohnen, in einer kleinen Wohnung ohne einen Flecken Grün, dann kann ich jetzt leicht reden – dagegen ist es bei uns wie im siebten Himmel. 

Foto: Archiv Gietl

Warum steht auf deinem Griffboard „Fühl dich stark, aber nicht unsterblich“?

In meinem zweiten Kletterjahr habe ich einen Kletterunfall gehabt und musste einige Zeit pausieren. Als ich wieder mit dem Training beginnen konnte, habe ich diesen Satz, ohne viel nachzudenken, gleich groß auf meine Kletterwand geschrieben – als deutliche Erinnerung, dass ich das niemals vergesse. Dieser Satz ist mir wichtig und begleitet mich seither.

Aktuell passt er auch gut: Man darf sich jetzt nicht von Angst lähmen lassen und aufgeben, sondern muss im Rahmen seiner Möglichkeiten handeln und „stark“ sein. Ebenso wie am Berg ist bei COVID-19 aber klar, dass es nicht immer nur „die anderen“ trifft, sondern es auch einen selbst erwischen kann.

Egal ob wir jetzt in Südtirol, Österreich, Deutschland oder wo auch immer leben, wir werden die aktuelle Krise nur gemeinsam meistern können. Ich glaube, das ist der einzige Weg.