Kälteschutz durch Genvariante: Manche frieren anders
Sie hat die Kälte schon immer geliebt. Die Alpinistin Angela VanWiemeersch wuchs in Detroit, Michigan, auf und tanzte schon in jungen Jahren als wettkampforientierte Eiskunstläuferin über das horizontale Eis. Verschiedene Umwege verschlugen sie schließlich nach Ouray, wo sie ihre Leidenschaft fürs Bergsteigen entdeckte – vor allem aber für das vertikale Eis. Inzwischen kann VanWiemeersch auf eine beachtliche Liste von (Erst-)Begehungen zurückblicken: von Eisfällen im Zion National Park (u.a. First Ascent Last Man Standing – WI6 PDW Zion National Park, Utah) über Expeditionen bis hin zu Mixed-Routen in Alaska (u.a. First Ascent of Thicker Than Thieves – VI 5.8R A14 M5 7,300-feet – Mt. Hayes, Alaska; Ham & Eggs – WI4+ M4 3,000-feet – Mooses Tooth, Central Alaska Range (solo)).

VanWiemeersch wusste schon immer, dass sie gut mit Kälte kann – und offenbar auch besser als viele Menschen um sie herum: „Beim Eisklettern habe ich früh bemerkt, dass ich meine Körpertemperatur besser regulieren kann als viele andere. Oft gebe ich Freunden eine meiner Kleidungsschichten ab oder wärme ihre kalten Füße an meinem Bauch – und ja, das macht man, wenn die Zehen gefährlich kalt werden“, erklärt die Eiskletterin.
Wegen einer anderen Stoffwechselstörung, die sie inzwischen unter Kontrolle hat, empfahl ihr ein Neurologe einen Gentest zu machen. Der Test bestätigte ihre Vermutung: Ihr Körper geht mit Kälte anders um. Aufgrund einer Genvariante fehlt VanWiemeersch ein spezielles Protein namens α-Actinin-3. Dies führt dazu, dass ihre Muskeln bei Kältereizen energetisch effizienter arbeiten: Statt durch erschöpfendes Zittern Wärme zu erzeugen, stabilisiert ihr Körper die Kerntemperatur durch einen erhöhten Muskeltonus.
Das Protein, das uns zittern lässt
Normalerweise ist das Protein α-Actinin-3 Teil des Skelettmuskels und befindet sich in den sogenannten Z-Scheiben der Fast-Twitch-Muskelfasern, die für schnelle und kräftige Bewegungen zuständig sind. Die Z-Scheiben wirken wie kleine Trennwände, die die Muskelfasern in funktionale Abschnitte unterteilen, damit sie sich zusammenziehen und dadurch Bewegung erzeugen können. Das α-Actinin-3 ist dabei ein zentraler Bestandteil dieser Z-Scheiben.
Studien haben jedoch ergeben, dass weltweit etwa 1,5 Milliarden Menschen eine Variante des Gens ACTN3 besitzen. Diese Variante führt wiederum zu einem vollständigen Mangel des Proteins α-Actinin-3 in der Muskulatur.
Das heißt: Bei etwa jedem Fünften fehlt das Protein. Dieser Mangel verursacht keine Muskelerkrankungen, beeinflusst aber die Muskelkraft: Menschen ohne dieses Protein sind in Sportarten schlechter, in denen schnelle und kraftvolle Muskelkontraktionen erforderlich sind, wie zum Beispiel Kraftsport oder Sprintdisziplinen. Durch das fehlende Protein verändert sich nämlich die Zusammensetzung der Muskelfasern: Das Verhältnis verschiebt sich zugunsten der langsameren Muskelfasern (Slow-Twitch), die effizienter, aber weniger explosiv arbeiten.

Besonders gut in Ausdauer, schlecht im Sprinten
Das hat auch Angela VanWiemeersch beobachtet: „Ich scheine lange Ausdauerbelastungen besser bewältigen zu können als viele meiner Freunde – war allerdings nie gut im Sprinten.“ Vielleicht liegt es am mangelnden Training, vermutlich aber eher an der Genvariante, wie ebenso die Wissenschaft vermuten lässt: „Eine Muskelbiopsie hat bestätigt, dass ich deutlich mehr langsam zuckende Muskelfasern (Slow-Twitch) habe“, so die Eiskletterin.
Die veränderte Faserzusammensetzung beeinträchtigt zwar die Effizienz bei schnellen, kraftvollen Bewegungen, ermöglicht aber eine höhere Leistungsfähigkeit bei Ausdauersportarten und lässt gleichzeitig Menschen tatsächlich anders auf Kälte reagieren: Statt stark zu zittern, wird die Muskelspannung leicht erhöht (Muskeltonus). So wird Wärme erzeugt – ohne jedoch viel Energie zu verbrauchen. „Wie der Mechanismus genau funktioniert, spüre ich nicht bewusst“, sagt VanWiemeersch. „Ich bemerke jedoch, dass ich erst sehr spät anfange zu zittern, wenn ich stark auskühle. Während des Aufstiegs trage ich oft nur einen Sport-BH, während meine Freundinnen schon lange Ärmel, Jacken, Handschuhe und Mützen anhaben.“

Männer, Mäuse und ein fehlendes Protein
Die Ergebnisse, die den Zusammenhang zwischen einem Mangel an α-Actinin-3 und einer verbesserten Kältetoleranz aufzeigen, stammen von einem Forschungsteam rund um die Wissenschaftlerin Dr. Victoria Wyckelsma. Sie untersuchten, wie die Genvariante sowohl bei jungen Männern als auch bei Mäusen die Reaktion auf Kälte beeinflusst.
In einem Teil ihrer Studie bestimmte das Forschungsteam zunächst den Genotyp über einen Bluttest und ließ anschließend elf Teilnehmer des Genotyps RR (also mit Protein) und acht Teilnehmer des Typs XX (ohne dieses Protein) Eisbaden. Die jungen Männer stiegen bis zum Hals in ein 14 Grad kaltes Wasserbad. Dabei blieben Versuchsteilnehmer jeweils 20 Minuten im Wasser, stiegen für zehn Minuten heraus – und wiederholten dies bis die Körpertemperatur auf 35,5 °C sank oder 120 Minuten erreicht waren.
Die Ergebnisse bestätigten ihre Annahme: Menschen ohne α-Actinin-3 hielten die Körperkerntemperatur signifikant besser als Menschen, die das Protein hatten. Der Abfall der Körpertemperatur war bei den XX-Genotyp-Teilnehmern (also ohne Protein) nur halb so schnell wie bei den RR-Teilnehmern (mit Protein). Darüber hinaus beobachteten die Forscherinnen und Forscher, dass der Abfall der Hauttemperatur in beiden Gruppen ähnlich blieb und auch die Herzfrequenz in beiden Gruppen gleich anstiegt. Die Versuchsteilnehmer ohne das Protein konnten ihren Körper bei akutem Kältestress demnach besser schützen – ohne jedoch einen erhöhten Energieverbrauch (wie etwa durch intensivere Stoffwechselprozesse) aufzuweisen.
Die Kälteresistenz der XX-Teilnehmer sei, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, also nicht durch einen erhöhten Energieverbrauch zu erklären, sondern müsse vielmehr auf eine muskuläre Anpassung, wie eine effizientere Steuerung des Muskeltonus, zurückzuführen sein.
Von Mäusen und Muskeln
In einem zweiten Experiment wurde untersucht, wie Mäuse mit und ohne das ACTN3-Gen auf Kälte reagieren. Dazu wurden zwölf Wochen alte weibliche Mäuse bei entweder 30 oder 4 Grad Celsius gehalten. Wie im ersten Experiment zeigten – in diesem Fall Mäuse – ohne α-Actinin-3 eine bessere Kältetoleranz. Der bessere Umgang mit Kälte konnte auch hier nicht durch andere Faktoren wie braunes Fettgewebe, das als klassischer Wärmeproduzent bekannt ist, erklärt werden. Stattdessen wird die Wärme auch bei den jeweiligen Mäusen direkt in den Muskeln produziert. Das heißt: Mäuse ohne α-Actinin-3 halten ihre Körperkerntemperatur primär über die Muskulatur und nicht durch ihr Fettgewebe stabil.

Warum wir mehr braunes Fett brauchen
Forscherinnen und Forscher vermuten, dass der Mangel des Proteins häufiger wurde, als Menschen in kältere Klimazonen einwanderten. Das Fehlen von α-Actinin-3 könnte demnach aus evolutionärer Sicht sinnvoll gewesen sein, um sich an harsche Winter in nördlichen Breitengraden anzupassen.
Was aber, wenn wir eben nicht zu den 1,5 Milliarden Menschen gehören und beim Skitourengehen und Eisklettern schlichtweg zittern und leiden? Neben teuren Daunenprodukten mit hoher Cuin-Zahl können wir uns jedoch auch von innen anpassen – und zwar mit braunem Fett.
Anders als weißes Fett ist braunes Fettgewebe nicht für die Speicherung von Energiereserven zuständig. Stattdessen hilft es, die Körpertemperatur aufrechtzuerhalten und erzeugt Wärme, wenn es kalt ist. Dieser Prozess wird zitterfreie Thermogenese genannt: Die Zellen des braunen Fettgewebes können Fettsäuren und Glukose oxidieren und diese Energie in Wärme umwandeln. Verantwortlich dafür sind zahlreiche Mitochondrien (Zellorganellen), die auch die bräunliche Farbe des „guten“ Fetts hervorrufen.
Befinden wir uns in einer kalten Umgebung, wird der Blutfluss zum braunen Fettgewebe erhöht, um mehr Sauerstoff und Nährstoffe zu liefern. Daraufhin beginnen die Mitochondrien wie kleine Heizkraftwerke, Fettsäuren zu oxidieren und Wärme freizusetzen. So verbrennt braunes Fett aktiv Kalorien, um den Körper warm zu halten.

Kalt werden, um warm zu werden
Studien zeigen, dass wir durch wiederholte Kältereize wie Eisbaden oder kalte Duschen die Aktivität von „braunem“ Fett steigern können. Neben positiven Effekten auf Stoffwechselprozesse, die Psyche und das Immunsystem haben Forscherinnen und Forscher immer wieder beobachtet, dass Menschen, die regelmäßig in eiskaltes Wasser tauchen, mehr braunes Fettgewebe entwickeln und sich ihr Körper dadurch verändert.
Durch die Kälte wird weißes Fettgewebe zwar nicht direkt ersetzt, aber es entstehen sogenannte beige Fettzellen. Diese verhalten sich wie braunes Fett und tragen dazu bei, dass wir uns im Winter wärmer fühlen. Die gesteigerte Produktion von temperaturregulierendem Fett trainiert dann den Körper, sich selbst effizienter zu wärmen.
Laut Forschung seien durchschnittlich elf Minuten Kaltwasserbaden pro Woche ideal. Das ist zwar eine Herausforderung, doch der Körper profitiert ganzheitlich: Neben der Aktivierung braunen bzw. beigen Fetts werden stimmungsaufhellende Neurotransmitter wie Endorphine, Dopamin und Serotonin ausgeschüttet sowie Noradrenalin, das Energie und Wachsamkeit steigert. Also würden wir nicht nur weniger frieren, sondern wären gleichzeitig zufriedener und gesünder.

Angela VanWiemeersch wuchs in Detroit auf und war bis in ihre späten Teenagerjahre wettkampforientierte Eiskunstläuferin. Nach einem abgebrochenen Modestudium veränderte eine lange Reise ihr Leben: Sie verkaufte alles und durchquerte per Anhalter, Paddelboot und Segel ganz Nordamerika – vom Arktischen Ozean bis zum Panamakanal. In Kalifornien entdeckte sie das Eisklettern und zog nach Ouray. Seither klettert sie anspruchsvolle Eis- und Mixedlinien – vom Ouray Ice Park über Erstbegehungen im Zion National Park bis zu alpinen Touren in Alaska.
Quellen
Victoria Wyckelsma u.a.: Loss of α-actinin-3 during human evolution provides superior cold resilience and muscle heat generation. American Journal of Human Genetics. 108/3, 2021, 369-532
Henver Brunetta u.a.: IF1 is a cold-regulated switch of ATP synthase hydrolytic activity to support thermogenesis in brown fat. The Embo Journal. 43, 2024, 4870-4891
Susanna Søberg u.a.: Altered brown fat thermoregulation and enhanced cold- induced thermogenesis in young, healthy, winter-swimming men. Cell Reports Medicine, 2/10, 2021
Pirkko Huttunen u.a.: Winter Swimming Improves General Well-Being. International Journal of Circumpolar Health, 63/2, 2004, 140−44