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28. Sep 2022 - 17 min Lesezeit

How to Bigwall (1/3): Planung & Material

Alpinklettern hat mit Bigwall-Klettern ungefähr so viel gemeinsam wie das Steuern eines Sattelschleppers mit dem Lenken eines SUV. Man bewegt sich zwar in der Vertikalen aufwärts, aber die Art und Weise, die logistischen Herausforderungen und auch die Techniken sind grundlegend verschieden. In dieser dreiteiligen Artikelserie wollen wir euch das kleine Bigwall-Einmaleins näherbringen: Worauf kommt es bei der Planung und Durchführung einer Bigwall-Begehung an? Welches Material verwendet man und wie werdet ihr der PIG, also dem Haulbag, am besten Herr – oder Frau?

„Location, Location, Location.“ Mit diesem Slogan einer amerikanischen TV-Produktion motiviert man nicht nur zukünftige Wohnungsbesitzer, sondern auch Bigwall-Kletterer, die auf der Suche nach den schönsten Plätzen für ihr Portaledge einige Mühen auf sich nehmen. Selten geht es ihnen dabei um die schönsten Kletterbewegungen. Oft warten Schrubb-Kamine, brüchige Techno-Längen und schweißtreibende Kämpfe mit dem viel zu schweren Haulbag.

Wenn die Mädels und Jungs, die nicht vorm ersten Biwak aufgeben, dann aber abends weit über dem Talgrund ihre Gedanken schweifen lassen und den Tag mit ein paar Bier und Musik ausklingen lassen, wissen sie warum. Schon allein die Namen der besten Biwakplätze – Island in the Sky, Wino Tower, Cyclops Eye usw. – lassen darauf schließen, dass diese Orte etwas ganz Besonderes sind. Dieser langsame und daher intensive Genuss eines spektakulären Ortes ist wohl am ehesten der gemeinsame Nenner, auf den sich die vielfältigen Erfahrungen rund ums Bigwall-Klettern bringen lassen.

Dreierseilschaften können beim Bigwallen ein echter Vorteil sein, vorausgesetzt jeder weiß, was er zu tun hat.

Vor dem Start

Diese dreiteilige Artikelserie befasst sich mit den Herausforderungen, die uns bei mehrtägigen Unternehmungen in großen Wänden erwarten. Wir konzentrieren uns dabei auf die Standardvariante des Big-Wall-Kletterns, also auf klassische Aid-Routen am El Capitan, wie Zodiac (C2), Mescalito (C3) oder Native Son (A4). Auf technische Besonderheiten von Bigwall-Routen, die (größtenteils) frei geklettert werden, wie die Nose oder Salathé, gehen wir nicht näher ein.

Am Anfang steht also die Routenwahl. Beim technischen Klettern gilt meistens: Je öfter etwas geklettert wird, desto leichter wird es. Brüchige Felspartien werden ausgeräumt, Risse werden gesäubert, Bohrhaken kommen hinzu und Gebrauchsspuren am Fels weisen den Weg. Auch können mobile Sicherungsmittel leichter gesetzt werden, weil sogenannte „Pin Scars“ durch das häufige Schlagen und Entfernen von Haken entstehen. Wer wenig Übung im Umgang mit Steigleitern hat, wird sich im flacheren Gelände deutlich wohler fühlen, selbst wenn der Schwierigkeitsgrad etwas anderes vermuten lässt! Beim Haulen gilt: Wenn es lang und flach ist, leidet nicht nur der Haulbag! Umgekehrt ist es beim Seilmanagement und den Biwakplätzen: Je steiler, desto wichtiger ist es, gut organisiert zu sein.

Ähnlich wie bei klassischen alpinen Routen in den Alpen spielen neben der Schwierigkeit natürlich auch die Länge, Zustieg, Abstieg und der Routenverlauf eine Rolle bei der Entscheidungsfindung für oder gegen eine Bigwall-Route. Vor allem Routen mit Quergängen und schlechten Rückzugsmöglichkeiten erhöhen die erforderlichen seil- und klettertechnischen Fähigkeiten enorm. Üblicherweise sind Topos von Bigwall-Routen auf den ersten Blick sehr unübersichtlich. Da wir es häufig mit Routenlängen jenseits der 15 Seillängen zu tun haben, wird die Route in zwei oder drei Segmente aufgeteilt und nebeneinander dargestellt.

Auch die Schwierigkeitsbewertungen bewirken beim durchschnittlichen „Euroalpinisten“ erstmal Fragezeichen und Naserümpfen, da üblicherweise drei Bewertungen pro Tour angegeben werden. Das von uns gewählte Beispiel „Tribal Rite“ hat zum Beispiel die Schwierigkeit VI 5.8 A3+. Das bedeutet, dass es zum Klettern der Route mehrerer Tage bedarf und über lange Strecken technisch geklettert werden muss (VI). Die maximale Kletterschwierigkeit zum Freiklettern ist 5.9 (UIAA 6-), dafür sind die technisch zu kletternden Längen sehr anspruchsvoll (A3+). Das Topo von Tribal Rite mit zahlreichen Erklärungen (Glossar am Ende) findet ihr im nächsten Bild. Eine Übersicht über die Schwierigkeitsbewertung befindet sich am Ende des Artikels.

Topo der Route Tribal Rite VI 5,8 A3+, FA von Walter Rosenthal, Tom Carter und Alan Bard.

Material beruhigt

Das gilt nicht nur für die technische Ausrüstung. Wer etwas mehr Material und Verpflegung mitnimmt, hat in der Wand keinen Stress, und kann das Bigwall-Abenteuer in vollen Zügen genießen. Viel zu viel ist natürlich auch nicht sinnvoll. Die Kunst ist, so viel wie nötig und so wenig wie möglich dabei zu haben, damit man noch schnell genug vorankommt. Dementsprechend wichtig ist die Planung: Wie viele Tage wird man in der Wand verbringen? Wie viel Essen und Trinken braucht man? Wie viel Material? Und wo schläft man?

Üblicherweise rechnet man zwischen drei und fünf Liter Wasser pro Tag und Person. Je nachdem, ob man sich in einer schattigen Wand befindet (eher drei Liter) oder den ganzen Tag in der Sonne grillt. Beim Wasser zu sparen, ist ein typischer Anfängerfehler und ergibt keinen Sinn, auch wenn man sich dadurch ein paar Kilo Gepäck spart. Besser man rechnet mit ein bis zwei zusätzlichen Tagen in der Wand und entledigt sich des überschüssigen Wassers gegen Ende der Tour, als dass man nach der Hälfte der Tour realisiert, dass man die letzten zwei Tage Durst leidet.

Beim Material gilt Ähnliches wie beim Wasser: Der aus mangelnder Ausrüstung resultierende Zeitverlust ist oft enorm. Vor allem von den ‚leichten‘ Gegenständen, wie Karabinern, Beaks und kleinen Cams, kann man eigentlich nicht genug dabei haben. Hierzu mehr im dritten Teil der Serie. Bigwall-Klettern muss nicht wehtun! Wer´s gerne gemütlich angeht, plant etwas mehr Zeit ein, packt genug Sonnencreme und Gaumenfreuden ein und kann in Ruhe haulen und klettern – ein perfekter Campingurlaub. Grundsätzlich ist es praktisch, alles in Säcke (Drysack o. Ä.) zu packen, die am Stand oder im Portaledge aufgehängt werden können.

Wer je ein Abendessen und Frühstück in einen Sack gibt, muss nur abends im Haulbag wühlen. Alles, was wichtig ist, sollte mit einer dünnen Reepschnur gesichert werden können oder in doppelter Ausführung dabei sein. Wer 100 oder mehr Kilogramm die Wand raufzieht, möchte nicht in die Lage kommen, dass das einzige Feuerzeug der Schwerkraft zum Opfer fällt. Tipp! Vor allem in durchgehend steilen Routen ist es sinnvoll, einen nicht ganz vollen oder sogar leeren Haulbag mitzunehmen. Das erleichtert das Umpacken.

Menschliche Grundbedürfnisse

Beim Essen ist alles gut, was nicht im Haulbag zu Matsch werden kann und mit heißem Wasser zu einer Mahlzeit wird. Plant man mehrere Tage in der Wand ein, so sollte man auch an das seelische Wohl denken! Leckerlis (die nicht schmelzen), Bier oder andere Genussmittel je nach Belieben sind nach ein paar Tagen mindestens so wichtig wie die Bohnen aus der Dose. Das bringt uns schon zum nächsten Thema, dem Verrichten der Notdurft in der Wand. Statt am Portaledge zu balancieren, bewährt es sich, im Sitzen in eine Flasche zu machen und diese auszuleeren. Bei größeren Geschäften braucht es mehr Logistik. Am Standplatz sein Geschäft zu machen oder gar in die freie Luft zu sch***, ist verständlicherweise ein absolutes No-Go!

Nachsteiger cleant eine Seillänge in der Pacific Ocean Wall, VI, A3+, 5.9. Der Haulbag hängt frei und wird vom Nachsteiger bei Erreichen des Standplatzes raufgezogen. Foto: Tom Evans

Die Lösung bietet die sogenannte Poop Tube. Ein, in etwa 40– 50 cm langes, gut verschließbares Plastikrohr mit mindestens 10 cm im Durchmesser, das man unter dem Haulbag befestigt. Tipp! Die Verwendung von Kaffeefiltern erhöht die Trefferquote! Anleitungen zum Selberbasteln der Tubes findet man im Internet. Und zum Schluss noch ein Praxistipp: Um den Seilpartner zu schonen und die Erlebnisqualität zu steigern, empfiehlt es sich, sein „Geschäft“ dann zu verrichten, wenn der Vorsteiger am nächsten Stand angekommen und gesichert ist. Ob es ein Portaledge braucht oder nicht, hängt stark von der Route ab. Viele Bigwalls bieten immer wieder die Möglichkeit komfortabler Biwakplätze.

Klassiker wie die Nose oder Salathé sind aber in der Regel stark frequentiert. Das bedeutet, dass die klassischen Biwakplätze häufig bereits besetzt sind und man deshalb trotzdem andenken sollte, ein Portaledge mitzunehmen. Obwohl Portaledges auch ohne Matte bequem sind, lohnt es sich doch, eine einzupacken. Ob aufblasbar oder lieber Schaumstoff, ist dabei egal. Der letzte Schrei sind aufblasbare Portaledges, die Schnelligkeit, Einfachheit und Komfort versprechen.

Wir hatten noch nicht die Möglichkeit, diese zu testen, glauben aber fest daran, dass sie ihren starren Geschwistern in Sachen Gewicht, Komfort und Aufbaukomplexität weit voraus sind. Für welches Modell man sich auch entscheidet – es ist essenziell, dass man sein Portaledge kennt und auch im unbequemsten Hängestand in der Lage ist, dieses zusammenzubauen, ohne einen Nervenzusammenbruch zu riskieren!

Tipp! Wenn die Route überhängt und Wetter und Wind es zulassen, gibt es keinen Grund, das Portaledge morgens zusammenzupacken. Dann befestigt man es wie eine Flagge an der Haulline und kann sich zum Sichern bequem niederlegen. Spätestens zum Schlafen möchte man den Gurt ausziehen. Auch wenn das Portaledge nach ein paar Tagen in der Wand recht absturzsicher wirkt, empfiehlt es sich, zumindest eine breite Bandschlinge als „Swami Belt“ anzulassen. Erstens, weil Portaledges kaputtgehen können, und zweitens, weil müde Menschen beim Pinkeln schon mal das Gleichgewicht verlieren. Aber das Thema hatten wir bereits.

Von Seilen, Schnüren und Sicherungsgeräten

Bei den Seilen hat sich ein Setup aus einem robusten Einfachseil zum Klettern und einem Statikseil und einer kürzeren Reepschnur (20–30 Meter) zum Haulen bewährt. Zu beachten ist, dass jeder Meter Seil, den man dabeihat, in Ordnung gehalten werden muss. Vor allem bei Wind kann zu viel Seil einiges an Mühe bereiten. Das Seil in den Haulbag zu stopfen ist nur dann eine gute Idee, wenn beim Herausziehen des Seils nichts aus dem Haulbag fallen kann. Das Kletterseil sollte über einen möglichst hohen Mantelanteil verfügen, da es dadurch robuster und besser für mehrtägige Einsätze geeignet ist.

Ultraleichte Einfachseile sind für die Verwendung beim Bigwallen nicht sonderlich geeignet. Ein neues, solides 10-mm-Seil mit hohem Mantelanteil ist wesentlich sinnvoller. Das Statikseil hingegen sollte möglichst leicht, aber dennoch dick genug sein, um es bei Bedarf zum Jümarn verwenden zu können. Dünne Dyneemaleinen mit hohen Haltewerten, aber schwachem Polyamidmantel sind sehr mit Vorsicht zu genießen! Ein Mantelbruch beim Jümarn würde im Totalabsturz des Kletterers resultieren. Reine Dyneemaleinen ohne Mantel wären durchaus denkbar – das eingeschränkte Handling (schlechte Knotbarkeit) und der hohe Preis sprechen aber dagegen. Klassische statische Kern-Mantel-Polyamid-Seile mit einem Durchmesser von 9–10 mm haben sich am besten bewährt, da sie universell einsetzbar sind und zum Haulen und Vorfixieren von Seillängen gleichermaßen gut geeignet sind.

Die Reepschnur benötigen wir immer dann, wenn es eine Führung des Haulbags vom unteren oder seitlichen Standplatz braucht, z.B. bei Quergängen. Das Statikseil durch ein dynamisches Seil zu ersetzen, ist nur empfehlenswert, wenn man solo unterwegs ist, weil ein feststeckender Haulbag damit oftmals leichter über ein Hindernis manövriert werden kann. Die Kraftübertragung ist beim Haulen mit Statikseilen aber wesentlich besser. Alles zum Thema Haulen im zweiten Teil der Artikelserie (bergundsteigen 3/2022). Beim Losklettern lohnt sich ein schneller Partnercheck! Vor allem die Haulline sollte gecheckt werden, ob diese auch am Gurt des Vorsteigers hängt.

Viele Klettergurte verfügen über einen sogenannten Haul-Loop auf der Rückseite. Er wird leider häufiger für Chalkbags verwendet als für die Haulline. Zu beachten ist, dass der Haul-Loop von manchen Herstellern (sinnloserweise) besonders stabil in den Gurt genäht wird. Sollte jedoch der Haulbag am Stand abhandenkommen (ist schon passiert), überlebt das der Vorsteiger nicht, wenn er die Line nicht rechtzeitig aushängt. Es ist also besser, die Haulline so zu befestigen, dass sie im Fall des Falles vom Gurt gerissen wird. Wenn die Seillänge sehr schräg oder überhängend ist, kann eine vergessene Haulline viel Zeit kosten.

Tipp: Damit nicht das ganze Gewicht des Statikseils am Gurt hängt, befestigt es der Sichernde mittels HMS (Halbmastwurfsicherung) am Stand und kann bei Bedarf einige Meter Seil aus dem HMS-Karabiner ziehen. Gesichert wird standardmäßig mit Grigri oder einem anderen Halbautomaten. Da knifflige, technische Seillängen durchaus etwas länger dauern können, bieten Halbautomaten ein wirkliches Plus an Komfort und Sicherheit. Dann geht’s los! (Den technischen Aspekten und dem verwendeten Material beim Techno-Klettern widmen wir uns im dritten und letzten Teil unserer Bigwall-Serie in bergundsteigen 4/2022.)

Am Standplatz angekommen

Egal für welche Konstruktion man sich entscheidet: Es lohnt sich, mindestens zwei „zentrale“ Punkte zu haben, die weit genug (in etwa einen Meter) horizontal voneinander entfernt sind. In beliebten Routen stecken an fast allen Ständen zwei bis drei solide Bohrhaken in passendem Abstand, so dass ein solcher Aufbau schnell hergestellt ist. Ist der Standplatz aufgebaut, zieht die Vorsteigerin das Restseil rauf und fixiert es am Stand mittels Mastwurf. Die Selbstsicherung erfolgt traditionell mittels Daisychain. Anschließend wird das Setup zum Haulen aufgebaut. Für welches System man sich entscheidet, hängt maßgeblich vom Gewicht des Haulbags ab. Mehr dazu im nächsten bergundsteigen (3/2022). Um Missverständnisse zu vermeiden und kein Schreikonzert in der Wand zu veranstalten, empfiehlt es sich, die Haulline erst einzuziehen, wenn a) der Standplatz fertig ist, b) das Seil für den Nachsteiger fixiert ist und c) alles bereit ist zum Haulen. Wird die Haulline eingezogen, so weiß der Nachsteiger, dass er sich mit den Jümars ins fixierte Kletterseil hängen kann. Der untere Standplatz kann langsam abgebaut werden. Sobald das Haul-Seil gespannt ist, wird der Haulbag gelöst und der Nachsteiger jümart hoch und „cleant“ die Seillänge.

Für den Vorsteigenden bieten sich nun zwei Optionen:

1. Haulen und Führungswechsel vorbereiten

Diese Variante ist dann notwendig, wenn der Nachsteiger die nächste Länge klettern soll oder wenn zu zweit gehault werden soll, was bei sehr schweren Haulbags und vor allem, wenn der Haulbag frei hängt, sinnvoll sein kann. Wenn hingegen klar ist, dass der Haulbag alleine hochgezogen wird, die Vorsteigerin auch die nächste Seillänge führt und noch Seil übrig ist, dann empfiehlt sich Option 2 (siehe unten). Wenn wir also von einem Führungswechsel ausgehen, so entledigt sich die Vorsteigerin am Stand des restlichen Materials und hängt es – idealerweise halbwegs geordnet – am Stand auf, damit der Nachsteiger anschließend zügig weiterklettern kann.

Ist das Material versorgt, so beginnt die Vorsteigerin mit dem Haulen. Ist der Nachsteiger am Stand angekommen, so hilft er beim Raufziehen der Last, sofern der Haulbag noch nicht angekommen ist. Sobald Mann und Maus oben sind, geht es mit dem Vorstieg weiter – nicht vergessen, das fixierte Seil vom Stand zu lösen und gut zu ordnen oder zu verstauen. Diese Situationen sind ein stetiger Kampf gegen die Entropie und man kann ihn bekanntlich nicht gewinnen. Mit etwas Aufwand kann man die Entstehung des Chaos aber verlangsamen.

2. Short Fixing

Seit die sogenannte „Pakistani Death Loop“-Variante des Short Fixings von Alex und Thomas Huber in „Am Limit“ einem breiteren Publikum bekannt gemacht wurde, wird Short Fixing (Abb.2) oft mit zig Metern Schlappseil und Todesmut assoziiert. Dabei ist die Standard-Variante ungefährlich und leicht anzuwenden. (Wer Fragen zur PDL hat, einfach „Am Limit” schauen 😉 ) Nach dem Aufbau des Standplatzes zieht die Vorsteigerin das Restseil auf und fixiert dieses am Stand, idealerweise redundant an zwei Sicherungspunkten.

Danach wird beim Short Fixing das Grigri so eingelegt, dass das auslaufende Seil zum Standplatz führt und anschließend im Sicherungsring eingehängt. Ein paar Meter hinter dem Grigri wird eine Sackstichschlinge geknüpft und ebenfalls in den Sicherungsring geclipt, für den Fall dass das Grigri nicht blockiert – durchaus möglich, wenn der Fifi oder ein Hook sich im falschen Moment im Grigri verirren. Für die ersten ein oder zwei Zwischensicherungen empfehlen sich spezielle Expressschlingen mit Bandfalldämpfer, sogenannte „Screamer“, um den harten Sturz etwas zu entschärfen. Ist der zweite Kletterer am Stand angekommen, kann er den Vorsteiger in die Partnersicherung nehmen. Man spart eine Menge Zeit, da immer beide Kletterer am Werken sind.

Abb. 2 Schematische Darstellung einer Zweierseilschaft, die in Raupentechnik klettert. Illustration: Georg Sojer

1. Shortfixing

Der Vorsteiger fixiert das Kletterseil redundant am Stand und hängt sich so in den Grigri ein, dass er im Falle eines Sturzes gesichert ist. Nach einigen Metern wird als Backup nochmals eine Sackstichschlinge geknüpft und im Anseilring fixiert. Sobald der Nachsteiger den Standplatz erreicht und den Haulbag raufgezogen hat, kann er den Vorsteiger in die Sicherung nehmen und das Shortfixing-Setup aufgelöst werden.

2. Screaming

Die erste Zwischensicherung sollte im Idealfall mit einem Bandfalldämpfer ausgestattet sein, um harte Stürze zu ver-meiden. Ein Stürzen ist beim technischen Klettern ohnehin sehr selten.

3. Der Haulbag

wird mit Hilfe einer Seilrolle mit Rücklaufsperre fixiert und durch den Vorsteiger so weit angezogen, dass er frei hängt. Die restliche Strecke zum Standplatz erledigt der Nachsteiger.

4. Das Portaledge

wird „geflagt“ also wie eine Flagge montiert, wenn Haulbag und Poraledge frei hängen und wenn kein bzw. nur schwacher Wind weht.

Routen im C-Bereich können auch mit Hammer geklettert wird, was spätestens bei C4 sinnvoller ist. Foto: Jacques Lepesant

Schwierigkeitsgrade

Wer denkt, dass Schwierigkeitsgrade beim Freiklettern subjektiv und unzuverlässig sind, der wird A- und C-Bewertungen für technische Routen kaum ernst nehmen können. Hier trotzdem eine kurze Übersicht:

Gesamtbewertung

  • IV. Typische Tagestour, die meisten Längen werden frei geklettert, einige technische Stellen, Beispiel: West Face, El Cap.
  • V. Kurzer Bigwall mit maximal ein bis zwei Biwaks, häufig sind Stellen technisch zu klettern, Beispiel: Reg. NW-Face, Half Dome.
  • VI. Mehrtagesunternehmung von zwei bis sieben Tagen, viele technisch anspruchsvolle Seillängen, Beispiel: Mescalito, Yosemite.
  • VII. Extreme Bigwallroute mit mehr als sieben Biwaks, meist in abgelegenen Gegenden mit langen Zustiegen. Beispiel: Great and Secret Show, Baffin.

In die Gesamtbewertung fließen die Länge, Schwierigkeit und Kontinuität ein.

Die A-Skala (artificial)

  • A0. Technisches Vorwärtsbewegen an fixen Bohrhaken.
  • A1. Nur solide Sicherungsmöglichkeiten, guter Fels.
  • A1+. Das Gleiche in weniger angenehm, z. B. Riss in enger Verschneidung, Dach.
  • A2. Zwischen guten Sicherungen kurze Passagen an weniger soliden Placements.
  • A2+. Die schwierigen Passagen sind zwar gut abgesichert, aber tricky.
  • A3. Längere Passagen an schlechten Placements und/oder zweifelhaftem Fels. Gutes Sturzgelände.
  • A4. Nur mehr sehr vereinzelt gute Placements und schlechte Landezonen.
  • A5. Lange Seillänge ohne gute Placements. Wer stürzt und überlebt, wertet die Länge ab auf A4+, deshalb: keinesfalls stürzen.

DIE C-SKALA (clean)

C1, C2 usw. stehen für „clean”, also ohne Hammer. Ab C4 sinkt die Sinnhaftigkeit davon rapide, weshalb es vermutlich keine C5-Längen gibt. Als Ergänzung zur Clean-Skala wird häufig der Buchstabe F hinzugefügt, nämlich dann, wenn fixe Sicherungs- mittel bestehen wie fixe Klemmkeile oder Copperheads.

Andy Kirkpatrick hat die „Fearometer”-Skala vorgeschlagen:

F1. Keine Angst. F2. Manchmal Angst. F3. Immer Angst. F4. Der Sicherer hat auch Angst.

Sinnvolle Ergänzung!

Glossar

  • Angle. Spreiz-Schlaghaken.
  • Aid Route. Kletterroute, die überwiegend mit technischen Hilfsmitteln geklettert wird.
  • Beaks. Spitze, schmale Felshaken zum Einhaken oder Einschlagen in schmale Risse.
  • Camhook. Stahlbügel für schnelle Fortbewegung in schmalen Rissen, wird quer belastet.
  • Cams. Wird häufig als Abkürzung für Klemmgeräte Typ Friend oder Camalot verwendet.
  • Copperhead (od. nur Head). Drahtschlinge mit Kupferhülse, die in kleinste Risse geschlagen wird.
  • Fifi(hook). Halbrunder Haken mit stumpfem Ende, um Material oder Personen schnell provisorisch zu fixieren, hält nur Körpergewicht.
  • Haulen. Raufziehen des Haulbags mittels Flaschenzugsystem.
  • Haulbag. Robuster Packsack, der zum Nachziehen von Verpflegung und Material konzipiert ist.
  • Hooks. Etwas breitere Felshaken für kleine Leisten und Vorsprünge.
  • Ledge. Felsband oder Vorsprung.
  • Lost Arrow. Schlaghaken.
  • Offset Nuts/Cams. Unter Offset versteht man asymmetrische Sicherungsmittel, die bessere Haltekraft bei unsymmetrischen Rissen bieten. Tipp: Offset-Klemmkeile sind ein „Must-have” bei Routen mit vielen Pin Scars.
  • Placement. Jegliche selbst geschlagene/gelegte mobile Zwischensicherung.
  • Pig. Umgangssprache für Haulbag.
  • Pin Scar. Vertiefungen in schmalen Rissen, die durch das Schlagen und Entfernen von Schlaghaken entstehen.
  • Portaledge. Mobile Plattform zum Schlafen in Felswänden
  • Rivet. Bohrhaken/Schlagbohrhaken ohne Lasche für technische Fortbewegung.
  • Screamer. Bandfalldämpfer, der die Kraftspitzen auf Zwischensicherungen verringert.
  • Swami Belt. Breite Bandschlinge als Gurtersatz für die Nacht im Portaledge.

Wie geht es weiter? In der Ausgabe Herbst 2022 widmen wir uns voll und ganz dem Thema Haulbag, den verschiedenen Flaschenzugsystemen und dem richtigen Vorbereiten und Packen der PIG, also des Haulbags.

Erschienen in der
Ausgabe #119 (Sommer 22)

bergundsteigen #119 cover digital