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10. Nov 2018 - 19 min Lesezeit

Lukas Furtenbach über seine Everest-(Flash-)Expeditionen

Der Beitrag von Lukas Furtenbach zu seinen kommerziellen Expeditionsangeboten im aktuellen bergundsteigen #104 hat polarisiert – wie zu erwarten war. Weil auch in den sozialen Medien darüber diskutiert wird und damit alle wissen, worum es geht, stellen wir seinen Beitrag dazu und das Interview mit unseren Fragen, was das Ganze soll, online. Viel Spaß beim lesen und diskutieren.

Complete bloody hogwash, kriechende Profibergsteiger und Sauerstofforgasmus. Was wurde aus dem ehrenvollen Himalayabergsteigen?

Wenn nicht nur die Fachgazetten, sondern auch die seriöse Tagespresse über das Bergsteigen berichtet, dann ist entweder ein prominenter – oder es sind mehrere weniger bekannte – Bergsteiger am Berg umgekommen, oder es hat mit Schnelligkeit oder bekannten, sprich hohen, Bergen zu tun. Nachdem im Mai 2018 alle Teilnehmer einer kommerziellen Expedition in gut 20 Tagen ab Europa den Gipfel des Everest erreicht haben, wurde der Veranstalter Furtenbach plötzlich einer breiten Leserschaft bekannt.

Das „Enfant terrible unter den Expeditionsveranstaltern“ nannte die FAZ Lukas Furtenbach, der – seit er 2014 begonnen hat, Bergreisen zu veranstalten – diesem Namen alle Ehre zu machen scheint. Mit seinem professionellen Zugang und seinen klaren Äußerungen zum Bergtourismus, so fernab von Bergidylle und Heldentum, hat er nicht nur unter den Altherrenbergsteigern für Irritationen und Unverständnis gesorgt.

Bevor wir uns mit ihm unterhalten, haben wir Lukas gebeten, über seine heurigen Everest-Expeditionen und dem ganzen Drumherum zu berichten.

Von Lukas Furtenbach

„Snakeoil“ – „Wird nie für Kunden funktionieren!“ – „Das ist in höchstem Maße unseriös und gefährlich!“ Das und noch ganz anderes haben anerkannte alpine Größen und Expeditions-Urgesteine (einfach googeln, wer was gemeint hat) über unsere diesjährige Everest-Flash-Expedition gesagt.

Vor der Expedition, wohlgemerkt.

Der höchste Punkt ist der Gipfel. Und wer nicht am höchsten Punkt war, war nicht am Gipfel. Dies gilt für geführte Everestkunden wie auch für Profibergsteiger. Foto: Lukas Furtenbach, Mai 2016, auf dem höchsten Punkt der Erde.

Damals

Drehen wir das Rad der Geschichte 40 Jahre zurück. Als Peter Habeler und Reinhold Messner als Teilnehmer der österreichischen Mount-Everest-Alpenvereinsexpedition 1978 unter Leitung von Wolfgang Nairz einen Besteigungsversuch ohne zusätzlichen Sauerstoff ankündigten, wurden ihnen bleibende Gehirnschäden prognostiziert. So ziemlich alle, die damals in der alpinen Welt Rang und Namen hatten, erklärten sie für lebensmüde. Und das, obwohl Edward Norton bereits 1924 bis auf 8.573 m ohne Sauerstoff in der Everest-Nordwand kletterte.

Dennoch schrieben Messner und Habeler Alpingeschichte. Sie stiegen auf dem Normalweg auf der Südseite auf einer von 22 Sherpas mit Aluleitern und tausenden Metern Fixseil präparierten Route sowie über fünf fertig eingerichtete und mit Sauerstoffflaschen bestückte Hochlager zum Gipfel. Soweit nichts Neues im Jahre 1978 auf dem Normalweg, der bis dahin in diesem Stil von etlichen Expeditionen erfolgreich bestiegen wurde. Gleich geblieben zu den vergangenen Expeditionen ist auch der Umgang der AV-Expedition mit dem Müll am Berg. Der wurde in Müllspalten zurückgelassen und im Basecamp verbrannt, wie im Expeditionsbericht von 1978 nachzulesen ist (und das, obwohl bereits damals die internationale Forderung nach einem Nationalpark und strengeren Umweltschutzbestimmungen im Raum stand – aber das ist eine andere Geschichte).

Wirklich bahnbrechend war, dass Messner und Habeler den von Sherpas deponierten Sauerstoff bei ihrem Aufstieg nicht verwendeten. Und damit einen sehr exklusiven Zirkel begründeten. Bis Ende 2017 wurde der Mount Everest 8.306 Mal bestiegen (inklusive Mehrfachbesteigungen), davon 208 Mal ohne Sauerstoff und davon wiederum waren nur 151 keine Sherpas. 288 Menschen sind bis inklusive 2017 am Everest gestorben. Davon 168 ohne zusätzlichen Sauerstoff.

Diese Zahlen zeigen uns zwei Dinge: den Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff zu besteigen, gelingt a) selten und birgt b) ein hohes Risiko. Für kommerzielle Everestveranstalter ist es geradezu eine moralische Verpflichtung, ihre Gäste, Sherpas und Bergführer mit zusätzlichem Sauerstoff klettern zu lassen. Den zur Verfügung gestellten Sauerstoff auf beispielsweise drei Flaschen oder eine bestimmte Flussrate zu limitieren, kommt eigentlich einer Fahrlässigkeit gleich, fast so, wie wenn ein Bergführer seinen Gästen sagen würde: „Zweimal halte ich euch, wenn ihr stürzt, danach müsst ihr ohne Seil weiterklettern und selbst die Verantwortung für euer Tun übernehmen“. Ob man den Everest mit nur einer Flasche Sauerstoff und einer Flussrate von 2 Litern/Minute bestiegen hat oder aber fünf Flaschen und 6 Liter/Minute verwendet hat, ist sowohl für die offizielle Statistik wie auch für moralisch-ethische Stilfragen vollkommen irrelevant. Es war eine Besteigung mit zusätzlichem Sauerstoff und wird als solche gewertet und erfasst.

Es ist nicht dokumentiert, wie viele Gäste wegen unzureichender oder mangelhafter Sauerstoffversorgung am Everest gestorben sind. Aber jeder einzelne Todesfall wäre wohl vermeidbar gewesen. Die Gäste hatten sich auf ihren Veranstalter, ihre Sherpas oder ihren Bergführer verlassen. Und sind deswegen gestorben.

Heute

Es ist Ende April 2018. Die Everestsaison ist in vollem Gange. Unsere Gäste der Classic-Everest- Expedition sind schon seit fast einem Monat in Tibet und haben bereits erste Akklimatisationsrotationen am Berg hinter sich.

Ich und die Gäste unserer Everest-Flash-Expedition sind noch zu Hause. Es ist ein ungewöhnliches Gefühl. Irgendwie so wie damals in der Schule, wenn man wusste, dass man zu spät kommt, es aber nicht mehr ändern kann.

„Everest Flash“ heißt Mount Everest in unverschämten vier Wochen für progressive € 95.000. Oder war es umgekehrt? „Everest Classic“ ist da etwas konservativer mit € 55.000 für ein achtwöchiges Expeditionserlebnis. Bei der Flash-Expedition werden unsere Teilnehmer acht Wochen lang zu Hause in einem speziellen Akklimatisationsprogramm mit Hypoxiezelten und aktivem Hypoxietraining akklimatisiert (siehe unten ). Die Hardware dazu wurde nach unseren Bedürfnissen adaptiert und das genaue Programm über 15 Jahre entwickelt und verfeinert.

Am Ende der acht Wochen hat jeder eine bestimmte Stundenanzahl in einer bestimmten mittleren Höhe verbracht und die maximal erreichte Schlafhöhe lag für jeden über 7.100 m. Damit simulieren wir zwei volle Rotationen am Berg. Theoretisch könnte man nun zum Everest reisen und gleich losmarschieren.

Das taten wir auch. Wir starteten am 1. Mai in Europa, mussten zwei Tage in Kathmandu (1.350 m) auf unser Visum warten und waren am 6. Mai im Everest-Basecamp auf der chinesischen Nordseite auf 5.200 m. Am siebten Tag, nachdem wir Tibet und damit echte Höhenexposition erreicht haben (Lhasa liegt auf 3.600 m), erreichten wir ohne Probleme (und natürlich ohne zusätzlichen Sauerstoff) den Nordsattel auf 7.000 m bei unserer Sicherheitsrotation. Hätte unser Akklimatisationsprogramm zu Hause nicht funktioniert, hätten wir spätestens an diesem Punkt ernsthafte Höhenprobleme erfahren. Danach stiegen wir in das Basecamp ab und warteten auf ein passendes Wetterfenster, während alle Teilnehmer des Classic-Teams unter der Führung von Rupert Hauer am 16. Mai erfolgreich auf den Gipfel steigen.

Wir haben Wetterglück und können wie geplant starten. Alle Teilnehmer des Flash-Teams stehen (abermals unter Führung von Rupert Hauer) am 21. Mai, 17 Tage nachdem wir Kathmandu verlassen haben oder 21 Tage nachdem wir uns von unseren Liebsten zu Hause verabschiedet haben, am Gipfel und steigen noch am selben Tag bis in das ABC auf 6.400 m ab. Einen Tag später sind alle im Basecamp. Gesund und ohne jegliche Blessuren schauen die Teilnehmer eher aus, als würden sie gerade aus dem Büro als von einem Gipfelgang am Mount Everest kommen. Kein verbranntes Gesicht, nicht einmal eingerissene Lippen, nichts. Die Exposition war wohl zu kurz, um vom Berg und der lebensfeindlichen Umgebung gezeichnet zu werden. 

Am Ausstieg des „Second Step“. Die mentale Schlüsselstelle auf 8.610 m auf der tibetischen Nordseite. Foto: Rupert Hauer, Mai 2018, am Mount Everest.

Sauerstoff

Und jetzt? Um es vorweg zu nehmen und ein für alle Mal klarzustellen, auch für jene, die es immer noch nicht glauben wollen: Ja, die Akklimatisation zu Hause im Hypoxiezelt funktioniert (das ist auch wissenschaftlich dokumentiert), und ja, sie funktioniert mindestens genauso gut wie jene am Berg in echter Höhe. Und nein, der Erfolg der Flash-Expedition ist nicht auf die Verwendung von ungeheuren Mengen Sauerstoff zu reduzieren. Dazu aber später.

Everest Flash und die € 95.000 bedeuten tatsächlich auch ein hohes Maß an Support und Sicherheit am Berg. Wir rechnen mit zwei Sherpas pro Teilnehmer, stellen unlimitiert Sauerstoff zur Verfügung und haben eigene Regler entwickeln lassen, die eine Flussrate von bis zu 8 Litern pro Minute ermöglichen. Zudem wird die gesamte Sauerstoffversorgung bis zum Gipfel redundant für jeden Teilnehmer mitgeführt. Die heutige Standardflussrate am Gipfeltag am Everest bei westlichen Veranstaltern liegt bei 4-6 Litern pro Minute (siehe unten: ).

Die ersten Reaktionen auf den Erfolg der Flash-Expedition folgten allerdings schnell und hatten einen klaren Tenor: Es hieß, wir ließen die Teilnehmer, von denen wir wirklich gar jeden und noch so unerfahrenen akzeptieren würden, von jeweils zwei Sherpas am kurzen Seil den Berg hinaufschleppen und wir würden sie derart mit Sauerstoff vollpumpen, dass sie am Gipfel einen wahren Sauerstofforgasmus erlebten, während sie wie Neymar einen Siegestanz tänzelten.

Ja, das wäre einfach gewesen für die Kritiker und Skeptiker. Aber so war es nicht. Wir lehnen mehr Bewerber für unsere Everestexpeditionen ab als wir annehmen. Unsere Auswahlkriterien sind dabei sehr streng, aber auch anders als bei anderen Anbietern. Wir erwarten sehr viel von unseren Teilnehmern, aber wir hatten bei allen unseren Everestexpeditionen erst einen einzigen Teilnehmer, der vor dem Everest schon einmal auf einem Achttausender stand. Und trotzdem hatten wir ebenso erst einmal einen Teilnehmer, der es (aus Sorge um Erfrierungen an seinen Chirurgenhänden) nicht auf den Gipfel schaffte.

Die Sherpas sind in erster Linie für den Transport der Sauerstoffflaschen zuständig. Ein Sherpa ist dabei immer beim Gast (er wird ihn aber natürlich niemals ziehen), der zweite ist für den Sauerstofftransport zuständig. Die Flussraten bei den Flash-Teilnehmern lagen zwischen 2 und 6 Litern pro Minute. Die Möglichkeit für 8 Liter sehen wir als Mittel, um an neuralgischen Stellen Staus zu vermeiden. Mit 8 Litern klettert man die Leitern am Second Step in 8.610 m Höhe schneller, sicherer und flüssiger als mit 2 Litern und hilft damit auch, Warteschlangen zu vermeiden.

Ein Teilnehmer der heurigen Flash-Expedition hat sogar erst auf 8.300 m zur Sauerstoffflasche gegriffen. In Summe wurde von den Flash-Teilnehmern nicht mehr Sauerstoff verwendet als von der Classic-Gruppe. Die Flash-Gruppe war am Gipfeltag im Aufstieg bei gleichen Verhältnissen um eine Stunde schneller als die Classic-Gruppe, was wir auf den besser ausgeruhten Zustand der Flash-Teilnehmer zurückführen. Die Teilnehmer der Flash-Gruppe waren durchwegs erfahrene Bergsteiger, aber keine professionellen Athleten.

Abgesehen von der obligatorischen Kritik der Altherrenriege, die nach der Expedition ihre Argumentation auf „das ist doch eh alles nichts Neues“ umstimmten, waren die Reaktionen auf die Expedition durchwegs positiv. Skepsis geht ja auch nicht mehr, nachdem der Beweis erbracht wurde. Vor allem von höhenmedizinischer Seite besteht international großes Interesse und vielleicht ergibt sich für die Everest-Flash-Expedition 2019 sogar eine begleitende wissenschaftliche Studie.

Massen am Everest. Manchmal auch ganz ruhig, sogar in der Hauptsaison. Foto: Lukas Furtenbach, Mai 2016, im Western Cwm auf 6.300 m.

Ethik dort …

Man kann dazu stehen, wie man will. Ob das alles viel mehr oder viel weniger mit Bergsteigen zu tun hat als etwa die AV-Expedition 1978, bei der außer Messner und Habeler alle anderen Teilnehmer mit zusätzlichem Sauerstoff den Gipfel erreichten, wird jeder für sich entscheiden.

Fakt ist, dass es das kommerzielle Höhenbergsteigen verändern wird (im professionellen Höhenbergsteigen ist die Hypoxievorbereitung ja schon länger etabliert). Ich bleibe dabei, dass das die erste signifikante Innovation im klassischen Expeditionsbergsteigen seit 40 Jahren darstellt und in fünf bis zehn Jahren niemand mehr zwei Monate an einem Achttausender verbringen wird.

Aber was ist überhaupt die Triebfeder der Leute, so etwas zu machen? Wer bezahlt € 95.000, um auf dem Mount Everest zu stehen, und warum? Was steckt dahinter, dass man sich ein bergsteigerisches Ziel steckt, sich intensiv darauf vorbereitet, die Familie deswegen bluten lässt, dafür trainiert und dann am Berg alles gibt, leidet und ein hohes Risiko eingeht?

Dieser Frage wurde natürlich schon von allerlei Leuten nachgegangen. Als Dienstleister strebe ich in erster Linie danach, meinen Kunden zu verstehen. Warum zieht es ihn auf die Berge? Lange dachte ich, es sei ganz banal die Suche nach der Herausforderung, für manche sogar die Suche nach sich selbst. Aber dann stolperte ich über ein Erlebnis am Everest. Es änderte alles. Während einer Filmexpedition stand ich gemeinsam mit meinem Filmpartner, dem begnadeten Kameramann Philip Flaemig, der gerade am Drehen war, am Gipfelgrat. Im Bild über mehrere Minuten eine Bergsteigerin am Hillary Step (auch wenn es ihn angeblich gar nicht mehr gibt, es war eindeutig der Hillary Step). Diese Bergsteigerin bewältigte die 10 m hohe Stelle in 15 Minuten auf allen Vieren. Wir waren gefesselt von der Situation. Es war fast nicht auszuhalten. Sie war am Limit, musste alles geben und war auch bereit, wirklich alles zu geben. Ihre Entschlossenheit, ihr Wille und die Langsamkeit ihrer Bewegungen am Rande der totalen Erschöpfung ähnelten den Bildern, die ich von Messner und Habeler im Kopf hatte, als sie „auf Knien und Ellbogen zum Gipfel gekrochen sind“ (sic), und die sich seitdem in meinem Kopf als Sinnbild für Entschlossenheit und Leidensfähigkeit eingebrannt hatten.

Ich erkannte in diesem Moment, dass die handelnden Personen und auch die beiden Situationen, in denen sie sich befinden, gar nicht so unterschiedlich sind. Sie spielten sich sogar an genau dem gleichen Ort, vielleicht sogar an exakt der gleichen Stelle ab. Ihre Knie und Ellbogen berührten dieselben Felsen. Haben sie den selben Antrieb, die selbe Motivation für ihr Tun? Der Gedanke ist befremdlich, ja. Aber ich unterstelle genau das.

Ich erkannte in diesem Moment, worum es ihnen wirklich geht. Es geht um das Ego. Bei beiden. Ja, richtig. Bei dem Kunden eines kommerziellen Everestveranstalters, aber auch bei dem professionellen Höhenbergsteiger. Jeder macht dabei das, was seinen Voraussetzungen und Möglichkeiten entspricht. Der Topmanager mit Verantwortung für 40.000 Angestellte, der neben seiner 100-Stunden-Arbeitswoche auch noch irgendwo seine Familie unterbringen muss, geht mit anderen Voraussetzungen in ein Bergprojekt als der hauptberufliche Profibergsteiger, der für sein Tun am Berg bezahlt wird, in vielen Fällen keine Familie hat und naturgemäß über andere Zeitressourcen für Training, Vorbereitung und auch Durchführung einer Expedition verfügt.

Deshalb geht der Topmanager (hoffentlich) mit einem kommerziellen Veranstalter, Support und Sauerstoff auf dem Normalweg auf den Everest. Denn da ist er genau richtig aufgehoben. Er wird sich auch nicht über die Fixseile, den Sherpasupport, den Sauerstoff, die Basecamp-Annehmlichkeiten und die anderen Leute am Berg beschweren.

Der Profibergsteiger hingegen hält sich (hoffentlich) möglichst weit fern vom Normalweg. Er ist im Idealfall auf der Ostseite des Berges und versucht sich am Kangshung Face oder der Fantasy Ridge. Ohne Sherpas, ohne Fixseile, ohne Sauerstoff, ohne Sauna im Basecamp und ohne Hubschrauberbergung oder Rettungsressourcen von kommerziellen Veranstaltern. Ganz alleine. „By fair means“ wie es Albert Frederick Mummery im ausgehenden 19. Jahrhundert definierte und Reinhold Messner später von ihm übernahm. Denn genau da und in genau diesem Stil soll der Profibergsteiger unterwegs sein. Dann würde auch das Gejammer über zu viel Infrastruktur am Everest sofort ein Ende finden. In den letzten Jahren hat man Profibergsteiger am Everest allerdings nur im Bereich der beiden Normalwege und damit inmitten der Infra- und Rettungsstruktur der kommerziellen Veranstalter gesehen. Die letzten kreativen Versuche an der Ostseite oder an der Fantasy Ridge liegen lange, lange zurück.

Die € 95.000 für eine Flash-Expedition erinnern an die Goldgräberzeiten am Everest, relativieren sich aber schnell, wenn man rechnet, was unlimitiert Sauerstoff am Everest logistisch bedeutet. Ein Projekt eines Profibergsteigers verschlingt oft ein Vielfaches dieser Summe. Die Kosten sind also bei beiden unverschämt hoch und man darf bei beiden keine einzige Millisekunde über die Sinnhaftigkeit nachdenken. Aber der Einsatz und die Risikobereitschaft sind beim Kunden des kommerziellen Veranstalters ungleich höher als beim Profibergsteiger. Schließlich muss er das Geld für die Expedition selbst aufbringen und ist zudem in der Zeit der Abwesenheit noch mit einem erheblichen Verdienstentgang konfrontiert. Der Profibergsteiger, wenn er denn wirklich ein Profi ist, wird kaum sein eigenes Geld in eine Expedition stecken müssen.

Oft erlebe ich es, dass jene Leute, die sich den Everest für € 95.000 „erkaufen“, schnell abgeurteilt werden. Hier muss ich eine Lanze für sie brechen. Sie nehmen die Sache sehr ernst, bereiten sich penibel auf ihr Projekt vor, sind oft wirklich ernsthafte Bergsteiger mit bemerkenswerter bergsteigerischer Vita und – das ist besonders hervorzuheben – sie sind stets sehr professionell und korrekt in der Kommunikation ihrer Leistung. Da wird klar gesagt, dass Sauerstoff, Fixseile und Sherpasupport in Anspruch genommen wurden und wenn der Gipfel nicht erreicht wurde, gibt es bei einer geführten Expedition naturgemäß auch keine falschen Gipfelclaims.

In genau diesen Dingen herrscht bei vielen von den Profis noch Aufholbedarf. Wie uns die ältere, aber auch jüngste Vergangenheit immer wieder gezeigt hat und wie wir es auch bald von aktuellen Protagonisten erfahren werden. Die Dreistigkeit, mit der im professionellen Bergsport betrogen wird, ist widerlich. Das kratzt am Image des gesamten Bergsportes. Präzise und vor allem ehrlich sein bei dem, was man über seine Leistungen veröffentlicht, wäre wichtig für die Glaubwürdigkeit der gesamten Community.

… und hier

Vielleicht hilft ein Exkurs in die Alpen, um die Aufregung und Zahlen rund um die „Kommerzialisierung des Mount Everest“ zu relativieren. Den Everest versuchen heutzutage in einer normalen Saison ca. 400 Bergsteiger zu besteigen. Das Matterhorn bis zu 150 pro Tag und um die 3.000 pro Jahr. Der Großglockner muss schon 5.000 Bergsteiger im Jahr aushalten und der Mont Blanc sogar 20.000 bis 30.000. Pro Jahr.

Die steuerschonende „Stiftung Hörnlihütte“ veranschlagt für eine Übernachtung im Doppelzimmer mit Halbpension auf der von einem Schweizer Uhrenhersteller gesponserten Hörnlihütte nach erfolgter Zahlung der „Reservationsgebühr“ von CHF 50 (die „in keinem Fall rückerstattet“, jedoch an die Übernachtung angerechnet wird) durchaus beeindruckende CHF 450. Dafür gibt’s dann aber auch den „Marschtee“ dazu.

Gäste, die insgesamt zwischen € 1.300 und € 1.700 für die geführte Tour auf das Matterhorn zahlen, dürfen dann in der Früh auch vor dem normalen Fußvolk aufbrechen – sofern sie bei einem lokalen, also wirklich ganz lokalen Bergführer gebucht haben. Andere führerlose Bergsteiger dürfen die Hütte vorher nicht verlassen (wann hat endlich jemand die Muße, das auszujudizieren?).

Egal auf welchen dieser klassischen Traumgipfel vieler Bergsteiger man sich führen lässt, mit Glück erwischt man einen Bergführer, der sich fortgebildet und ein gesundes Risikobewusstsein entwickelt hat – und nicht mehr mehrere Gäste ans kurze Seil nimmt (die Locals am Matterhorn haben hier schon länger ein striktes 1:1 Verhältnis). Im Stau wird man aber dennoch stehen. Egal, ob am Matterhorn, dem Mont Blanc oder am Großglockner, wo wir noch alle die aktuellen Bilder einer verbundenen Menschenkette von über 25 Personen im Kopf haben, die in den sozialen Netzen geteilt wurden.

Wie ruhig und beschaulich ging es da doch am Everest zu. 200 Leute im Basecamp, das sich über vier Quadratkilometer erstreckt (170 Personen teilen sich die etwa 300 Quadratmeter der Hörnlihütte). Unsere Flash-Gruppe war an ihrem Gipfeltag am Everest alleine unterwegs. Erst am Gipfel traf sie auf andere Bergsteiger, die von der nepalesischen Seite aufgestiegen sind. Und das war ein schöner Moment.

Also

Ob es nun Ego oder doch etwas anderes ist, das uns in die Berge treibt. Wir arbeiten nicht daran, Krebs zu heilen. Wir gehen hinaus, um Spaß und gute Erlebnisse zu haben und weil wir eine Passion teilen. Wir mit unseren Gästen, der Individualbergsteiger oder der Profialpinist. Wir alle in den gleichen Bergen.

Legen wir dabei den Fokus doch auf das eigene Erlebnis und nicht auf Kritik an anderen und deren Stil einer Erholungstätigkeit in der Natur. Denn das ist complete bloddy hogwash. ♦

Hypoxietraining. Hyoxiezelt mit Generator. Foto: Lukas Furtenbach, Café 3.440 am Pitztaler Gletscher.

Hypoxietraining

Akklimatisation mit Hypoxiezelten bedeutet, den Körper normobarer Hypoxoie auszusetzen und so die physiologischen Prozesse der Akklimatisation in Gang zu setzen. Mittels eines Filters wird der angesaugten Umgebungsluft Sauerstoff entzogen und diese sauerstoffarme Luft in ein Zelt geblasen. Die Leistung des Filters kann reguliert und so der Sauerstoffgehalt einer bestimmten Höhe simuliert werden. Der Luftdruck bleibt dabei im Gegensatz zur hypobaren Hypoxie gleich.

Studien zeigten, dass der Luftdruck in der Akklimatisation nur eine untergeordnete Rolle spielt, die für die Akklimatisation eigentlich vernachlässigbar ist. Standardsysteme können Höhen von 4.500 bis 5.000 m simulieren (in Abhängigkeit der Meereshöhe des Einsatzortes). Mit Spezialsystemen können in besonderen Verfahren zu Hause auch bis zu 8.000 m Höhe simuliert werden.

Je nach Anforderung oder geplantem Ziel schläft man über eine bestimmte Anzahl von Wochen in diesem Zelt, das man zu Hause auf seinem Bett aufbaut und in dem man die Schlafhöhe nach einem bestimmten Programm und Erfahrungswerten progressiv steigert. Wie auch in „echter“ Höhe können sich auch im Hypoxiezelt Symptome der Höhenanpassung wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Cheyne-Stokes-Atmung einstellen. Und wie in echter Höhe reagiert jeder individuell. Für ein optimales Ergebnis, d.h. eine ideale Vorbereitung auf sehr große Höhen, müssen mittels spezieller sensorischer Geräte laufend sowohl Sauerstoffgehalt im Zelt, Puls, Sauerstoffsättigung und Atemfrequenz gemessen werden.

Zu unterscheiden ist die Anwendung von Hypoxiezelten aus Trainingssicht, wie sie im Profiausdauersport schon lange fest etabliert ist, und die Anwendung zur reinen Akklimatisation, um sich auf mittlere und große Höhen vorzubereiten und die Dauer der Akklimatisationszeit vor Ort zu verkürzen oder vollständig zu ersetzen.

Bei einer Everest-Flash-Expedition ist die gesamte Dauer der Höhenexposition also nicht wie oft kritisiert kürzer als bei einer klassischen Expedition, sondern im Gegenteil sogar länger (acht Wochen im Hypoxiezelt, vier Wochen am Berg). Geht man von der derzeitigen höhenmedizinischen Einschätzung aus, dass das Risiko für höhenbezogene physiologische Komplikationen mit zunehmender Dauer der Akklimatisation sinkt, ist das Risiko auf der Flash-Expedition folglich geringer als bei einer klassischen Expedition.

Flaschenkind. Mit moderner Sauerstoffausrüstung kann man auch bei fast 100 km/h Wind auf 8.000 m noch gut arbeiten. Foto: Lukas Furtenbach, Mai 2016, am Everest Südsattel.

Sauerstoffgeräte

Am Everest und anderen Achttausendern kommen derzeit vorwiegend Sauerstoffsysteme von drei Herstellern zum Einsatz. Alle funktionieren im Wesentlichen ähnlich, und alle geben mit einer bei den modernen Systemen einstellbaren Flussrate (Liter Sauerstoff pro Minute) kontinuierlich Sauerstoff ab.

Ein durch das Einatmen getriggertes System (Pulse dose), wie es im medizinischen Bereich verwendet wird, und das den Sauerstoffverbrauch deutlich senken würde, ist in Entwicklung. Es arbeitet aber in der großen Kälte noch nicht zuverlässig genug.

Eine moderne, gefüllte Sauerstoffflasche wiegt ca. 3,8 kg und fasst 1.200 Liter Sauerstoff mit medizinischem Reinheitsgehalt, sofern die Abfüllung in einer zertifizierten Anlage erfolgte (es gab immer wieder Todesfälle, die auf verunreinigten Sauerstoff zurückzuführen sind). Bei einer Flussrate von 2 Litern pro Minute könnte man mit einer solchen Flasche also ca. knapp 10 Stunden atmen.

Die Flaschen stehen unter enormem Druck (300 bar) und stellen ein gewisses Gefahrenpotenzial dar. Der Sauerstofffluss wird über einen Regler ausgelassen und strömt in ein Reservoir, das an der Atemmaske befestigt ist und dabei hilft, den Verlust so gering wie möglich zu halten. Aus diesem Reservoir atmet der Bergsteiger den Sauerstoff ein, die ausgeatmete Luft strömt durch ein Auslassventil.

Die richtige Kombination aus Größe des Reservoirs, Atemfrequenz und Flussrate ist die Crux beim Bergsteigen mit zusätzlichem Sauerstoff und zusammen mit dem umgebenden Partialdruck bestimmen diese Parameter auch die maximal mögliche Flussrate.

Lukas Furtenbach

Lukas Furtenbach ist Gründer und Eigentümer des Innsbrucker Expeditionsveranstalters Furtenbach Adventures, Diplomgeograph, Filmemacher, Familienvater. Er führt seit 20 Jahren Expeditionen durch und liebt Kreativität sowie Innovation am Berg.

Erschienen in der
Ausgabe #104 (Herbst 18)