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Quad Anchor und doppelt abgebundene Ausgleichsverankerung.
04. Aug 2023 - 4 min Lesezeit

Quad Anchor am Standplatz: Vor- und Nachteile

Sieht man oft beim Klettern in den USA: Der Quad-Anchor. Was sind die Vor- und Nachteile eines Quad Anchors im Standplatzbau bei Mehrseillängen gegenüber einem Weichen Auge?

Frage an bergundsteigen von Paul Schlitz: Zurzeit klettere ich viel mit einem amerikanischen Kletterpartner, der zum Standplatzbau in Mehrseillängen häufig den sogenannten Quad Anchor (siehe Bild) verwendet. Er verwendet eine 8-mm-Reepschnur und zwei Schnappkarabiner (wire gates) für die Bohrhaken und baut Selbst- und Partnersicherung an jeweils zwei Reepschnursträngen auf. Mir war dieses System zuvor nicht bekannt, in Plaisirrouten baue ich die Stände entweder mit dem weichen Auge in einer vernähten 10-mm-Bandschlinge oder direkt mit dem Kletterseil, beides mit Schraubkarabinern.

Der Quad Anchor mit 2 120cm Bandschlingen.
Der Quad Anchor mit zwei 120cm Bandschlingen.

Ich würde gerne fragen, ob ihr kurz die Vor- und Nachteile des Systems besprechen könnt? Wisst ihr, warum das System im europäischen Raum kaum Verwendung findet?

Mein größter Reibungspunkt ist die Verwendung von zwei Schnappern, andererseits weiß ich, dass auch beim weichen Auge nicht mehr unbedingt zwei Schraubkarabiner verlangt werden. Argumentiert wird dabei entweder, dass beide Karabiner immer belastet sind, die Karabiner nicht kritisch sind (siehe: alpinesavvy.com, Punkt 3) oder dass ein Schnapper nicht verklemmen kann, was zum Zerschneiden oder Zurücklassen des Standplatzes führt. Folgen kann ich den Argumenten aus meiner begrenzten Erfahrung aber nicht, Schnapper könnten sich beim Sturz des Vorsteigers und Umklappen nach oben öffnen, einen kaum zu öffnenden Karabiner hatte ich nur im Eis, da zugefroren.

Vorteilhaft beim Quad Anchor sehe ich die Lastverteilung über beide Bohrhaken. Der dynamische Lasteintrag beim Ausbrechen eines Bohrhakens dürfte durch den kurzen Weg nicht zu groß sein. Nachteilig sehe ich das Umklappen des gesamten Systems bei einem Sturz des Vorsteigers, da der Weg größer sein dürfte als beim Aufbau mit einem weichen Auge.

Selbstsicherung im Standplatzkarabiner vs. Selbstsicherung mit eigenem Karabiner im „Weichen Auge“.
Selbstsicherung im Standplatzkarabiner vs. Selbstsicherung mit eigenem Karabiner im „Weichen Auge“. Illustrationen: Georg Sojer

Mehr zum Standplatzbau: Der „Südtiroler Stand

Gerhard Mössmer, Berg- und Skiführer, Abteilung Bergsport ÖAV: „Bezugnehmend auf deine Anfrage möchte ich gern etwas weiter ausholen und damit (hoffentlich) zwei Fliegen auf einen Schlag fangen“:

Erste Fliege „Lehrmeinung“:

Grundsätzlich gibt es eine beinahe unüberschaubare Vielzahl an Standplatzsystemen, die – rein sicherheitstechnisch – alle ihre Berechtigung haben. Wir als ausbildender Verein – und das ist auch der große Unterschied zu privaten Endverbrauchern – müssen zu unseren Themen eine Lehrmeinung entwickeln, die möglichst folgenden Kriterien standhält:

  • Sie muss den Sicherheitsanforderungen gerecht werden.
  • Sie muss einfach (und schnell) gehen, dabei aber auch wenig fehleranfällig sein.
  • Sie muss ein breites Spektrum an Anwendungen abdecken.
  • Sie muss leicht zu verstehen und methodisch gut vermittelbar und sein.

Wir müssen also abwägen, welche Methode am ehesten all diese Kriterien erfüllt und dabei müssen auch Abstriche gemacht werden (frei nach dem Motto: kein Vorteil (z. B. Schnelligkeit) ohne Nachteil (z. B. geringeres Anwendungsspektrum)).

Beispiel: Die Selbstsicherung wird direkt in den unteren Standplatzkarabiner des „Weichen Auges“ eingehängt. Das ist sicherheitstechnisch absolut in Ordnung, geht schneller, als wenn ich dafür einen eigenen Karabiner verwende, und spart natürlich Material (ein Karabiner weniger).

Der Nachteil: Es funktioniert nur so lange gut, solange ich in Wechselführung unterwegs bin. Das Gleiche gilt, wenn man die „Reihe“ mit dem Kletterseil herstellt: Eine superschnelle Lösung und sicherheitstechnisch absolut in Ordnung, aber wehe, der Vorsteiger/die Vorsteigerin ändert sich wider Erwarten …

Zweite Fliege „Quad Anchor“:

Auch das von dir angesprochene System – mal abgesehen von den zwei Schnappkarabinern – ist sicherheitstechnisch absolut in Ordnung. Allerdings kenne ich den Stand mit 2 Schraubkarabinern und bin auch der Meinung, dass sie an dieser Stelle ihre Berechtigung haben: Gerade am Standplatz möchte ich alle Eventualitäten so gut es geht ausschließen und deshalb gehören da auch 2 Schraubkarabiner (bzw. mindestens einer) hin.

Das empfehlen wir auch beim Standplatzsystem mit dem „Weichen Auge“. Nachdem wir den „Stand“ – also die Bandschlinge mit „Weichem Auge“ und die beiden Karabiner – ohnedies fixfertig um die Schulter tragen, kann man hier ruhig 2 kleine (!) Schrauber verwenden.

Quad Anchor und doppelt abgebundene Ausgleichsverankerung.
Quad Anchor und doppelt abgebundene Ausgleichsverankerung. Illustrationen: Georg Sojer

Vorteil des „Quad Anchors“ ist zweifelsohne die von dir angesprochene Lastverteilung auf die beiden Fixpunkte – ähnlich wie bei der in Europa bekannten „doppelt abgebundenen Ausgleichsverankerung (oder Kräftedreieck)“. Wobei hier erwähnt werden muss, dass die Verteilung trotz des beweglichen Ausgleichs nie 50 zu 50 ist.

Einen weiteren Nachteil – den wir z. B. bei der „Reihe“ nicht haben – hast du auch schon angesprochen: das Umklappen des Systems. Der nächste Nachteil – und jetzt schließt sich der Kreis – ist die Praxistauglichkeit: Passt die Lage der Fixpunkte nicht ideal zum Abstand der beiden Knoten in der Reepschnur, kann man schon ordentlich Zeit in der (Fein)Anpassung liegen lassen.

Erschienen in der
Ausgabe #122 (Frühling 23)

bergundsteigen #122 cover