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Sicherheitsgespräche 2018
30. Jun 2019 - 26 min Lesezeit

Statements: „Gehen am kurzen Seil“

Eine Zusammenfassung der Statements von den Alpenvereinen und Bergführerverbänden aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol von den ersten „Alpinen Sicherheitsgesprächen 2018“.

Das Bayerische Kuratorium für alpine Sicherheit veranstaltete im Oktober 2018 eine Vortrags- und Diskussionsrunde von geladenen Expertinnen zu verschiedenen Bergsport-Themen.

Ein Themenblock befasste sich mit den verschiedenen Sichtweisen, Empfehlungen und Lehrmeinungen der eingeladenen Alpenvereine (DAV, ÖAV, SAC) und Bergführerverbände (VDBSV, VÖBSV, SBV, Verband der Südtiroler Berg- und Skiführer).

Die Vertreter dieser Organisationen stellten ihre Sicht der Dinge vor, bevor es eine Podiumsdiskussion dazu gab. Das Bayerische Kuratorium für alpine Sicherheit hat die verschiedenen Statements zusammengefasst:

# Statement Verband der Südtiroler Berg- und Skiführer

# Statement Schweizer Bergführerverband (SBV)

# Statement Verband der Deutschen Berg- und Skiführer (VDBS)

# Statement Verband der Österreichischen Berg- und Skiführer (VÖBS)

# Statement Österreichischer Alpenverein

# Statement Schweizer Alpen-Club (SAC)

# Statement Deutscher Alpenverein

# Statement Verband der Südtiroler Berg- und Skiführer 

von Erwin Steiner (Leiter Bergführerausbildung, staatl. gepr. Berg- und Skiführer)

Erwin Steiner, Ausbildungsleiter im Verband der Südtiroler Berg- und Skiführer. ©Marco Kost

Vorausgeschickt: zuallererst gilt es, den Begriff „Gehen am kurzen Seil“ zu definieren. – Handelt es sich dabei um die klassische Seilschaft beim Begehen eines Gletschers, wo die Hauptgefahr der Spaltensturz ist? Handelt es sich um einen gemeinsamen Seiltransport im einfachen Gelände, wo keine Absturzgefahr besteht? Oder handelt es sich um eine Sicherungstechnik, welche den Absturz der einzelnen Mitglieder der Seilschaft verhindern soll?

In Bergsteigerkreisen in Südtirol versteht man unter dem Begriff „Gehen am kurzen Seil“ ganz klar eine Sicherungstechnik, die im Absturzgelände zur Anwendung kommt. Dort, wo der Ablauf der herkömmlichen Seilschaft (Sichern des Vor- und Nachsteigers über Fixpunkte) aufgrund der geringen Schwierigkeiten und der Komplexität des Geländes nicht sinnvoll ist, wendet der Bergführer zum Sichern seiner Kunden die Methode des „Kurzen Seiles“ an. Im Gegensatz zur Sicherungstechnik der heutzutage üblichen Seilschaft, bei der auch der Vorsteiger je nach Abständen der Sicherungspunkte mehr oder weniger gut gesichert ist, soll bzw. darf dieser beim Gehen am kurzen Seil nicht stürzen. Dies hat zur Folge, dass das Können und die technischen Fähigkeiten des Vorsteigers ungleich höher sein müssen als jene des Nachsteigers.

Dementsprechend wird die Technik des „Kurzen Seiles“ in Südtirol nur in der Bergführerausbildung intensiv gelehrt und fast ausschließlich von den Bergführern im Rahmen ihrer Tätigkeit laufend angewandt. 

Diese Herangehensweise findet übrigens in Absprache mit den Alpinen Vereinen unseres Landes, wie etwa dem Alpenverein Südtirol und dem Bergrettungsdienst im Alpenverein, statt. 

Das Unterwegssein am kurzen Seil ist nach wie vor das Kerngeschäft vieler Bergführer. Obwohl es meist in vermeintlich leichter, schwierigkeitstechnisch einfacher Umgebung stattfindet, ist es nach wie vor mit einem beachtlichen Risiko behaftet. Dies zeigen nicht nur die nicht enden wollenden Diskussionen dazu in Bergführerkreisen, sondern vor allem die Unfallstatistiken.

Das Gehen am kurzen Seil ist und bleibt mit einem großen Risiko behaftet. 

Die Problematik ist vielleicht auch jene, dass allgemein unter dem Sammelbegriff „Kurzes Seil“ eine Technik gemeint ist, die vor einem Verunglücken in relativ einfachem, aber trotzdem absturzgefährlichem Gelände bewahrt. 

In Wirklichkeit beinhaltet der Terminus eine Fülle von Methoden, die je nach Terrain, Verhältnissen, Können der Teilnehmer, Größe der Seilschaft usw. dauernd angepasst und untereinander vermischt werden. 

Die positive psychologische Wirkung, sich mit dem Seil zu verbinden, steht auch für uns außer Frage. Aber allein die Tatsache, dass der Vorsteiger meistens nicht stürzen darf und dem Nachsteiger weit überlegen sein muss, lässt Zweifel aufkommen, ob es sinnvoll ist, dass mehr oder weniger gleichwertige Partner diese Technik anwenden. Bei einer Seilschaft mit einem größeren Leistungsgefälle muss zudem noch darauf hingewiesen werden, dass der Vorausgehende nicht nur nicht stürzen darf, sondern dass er jederzeit imstande sein sollte, einen Ausrutscher des Nachkommenden – meist nur über die Muskelkraft – zu bremsen bzw. zu halten. 

Schwierig dabei ist es, die jeweils „beste“ Methode in Bezug auf Gelände und Können der Teilnehmer zu verwenden. Vor allem bei der Anwendung des kurzen Seiles im Fels ist die permanente Anpassung der Technik an die Gegebenheiten vor Ort das Wesentliche in punkto Sicherheit. Dazu bedarf es neben einer intensiven Ausbildung viel Übung in der Anwendung der verschiedenen Methoden, um sich die für das sichere Unterwegssein notwendige Routine zu erarbeiten. 

Nochmal kurz zurück zu den alpinen Vereinen: Bei der Tourenleiterausbildung im Südtiroler Alpenverein, welche insgesamt knapp drei Wochen dauert, wird das Thema „Kurzes Seil“ an zwei bis drei Tagen abgehandelt. Dabei geht es primär darum, den zukünftigen Tourenleitern zu vermitteln, wie einzelne Teilnehmer bei Vereinstouren aus etwaigen Notsituationen geholt werden können. Die Ausbildung der Tourenleiter im Südtiroler Alpenverein zielt ganz klar nicht darauf ab, die Teilnehmer flächendeckend zum Führen am kurzen Seil auszubilden. 

Ähnlich verhält es sich bei der Ausbildung im Bergrettungsdienst des Alpenvereins. Auch dabei wird das „Kurze Seil“ neben den verschiedenen Rettungstechniken nur kurz angerissen. Und zwar definitiv nur, um bei Rettungseinsätzen Verunfallte, die unverletzt sind, aus der Gefahrenzone bzw. ins Tal zu begleiten.

Das Fazit daraus ist: Das Thema „Gehen am kurzen Seil“ wird in Südtirol primär von den Bergführern besetzt. Wenn man bei der allgemeinen Anwendung die Vor- und Nachteile aufwiegt, erscheint das Risiko eines Seilschaftssturzes höher als die Wahrscheinlichkeit, sich gegenseitig halten zu können.  

# Statement Schweizer Bergführerverband (SBV)

von Thomas Wälti (Technischer Leiter Graubünden der Schweizer Bergführerausbildung, staatl. gepr. Berg- und Skiführer)

Thomas Wälti, Technischer Leiter Graubünden im Schweizer Bergführerverband (SBV). ©Marco Kost

Aus dem Positionspapier Berufsstandard „Best Practice“ des SBV 

1. Wir verstehen unter dem „Kurzen Seil“ …

  • Die grundsätzliche Anseilmethode auf Ausrutsch-/oder Absturzgelände. 
  • Keine Fixdistanzen. Angeseilte Fortbewegung am Berg erfordert dauernde (Neu-)Beurteilung der Kompetenzen in der Seilschaft, der Anforderungen an die Sicherung und an die Grenzen der Sicherungsmöglichkeiten. 
  • Jede Situation am Berg ist einzigartig. Es gibt unzählige Kombinationsmöglichkeiten aus verschiedenen Parametern. Gespräche und intensive Diskussionen während der Ausbildung sind nötig. Noch wichtiger und wirksamer sind regelmäßige Praxisübungen im Gelände.

2. Anwendung vom „Kurzen Seil“

Das Gehen am kurzen Seil ist komplex und erfordert viel Übung und Erfahrung. Die Wahl der geeigneten Sicherungsart ist von verschiedenen Faktoren abhängig:

  • Steilheit und Exponiertheit des Geländes,
  • Felsstruktur und Sicherungsmöglichkeiten,
  • Technische Schwierigkeit,
  • Verhältnisse, Wetter,
  • Technische Fähigkeiten von Führer und Gast,
  • „Tagesform“, psychische Verfassung von Führer und Gast, Ermüdung usw.,
  • Anzahl Gäste am Seil im Auf- oder Abstieg,
  • Physik: Gewichtsunterschied / Standmöglichkeit / Zugrichtung / Kraft / maximaler Fangstoß usw.

Der Ausbildungsaufwand in der Schweizer Bergführerausbildung: rund 34 Hochtouren- und Felsklettertage Praxis. 

3. Ziel vom „Kurzen Seil“

Beim Gehen am kurzen Seil suchen wir immer den besten Kompromiss zwischen größtmöglicher Sicherheit und Geschwindigkeit einer Seilschaft (Effizienz).

4. Vier Stufen-Strukturierung: Gehen am kurzen Seil im Fels

In der Bergführerausbildung strukturieren wir den Entscheid, der zur Wahl der Sicherungsmethode führt, in vier Stufen: 

Der Bergführer muss sich dauernd fragen, welche Gefahren in welchem Abschnitt der Tour relevant sind und wie er seine Seiltechnik diesbezüglich anpassen muss. Um diese Entscheidungsfindung zu strukturieren, verwenden wir ein vierstufiges System. Die Grenzen dieser Stufen sind fließend und müssen der Situation angepasst werden. 

  • Stufe 1: „gemeinsames Gehen“  – einfaches Gelände, gestuft; eher Rutsch- als Sturzbelastung;
  • Stufe 2: „kurze schwierige Stellen“ – steilere Aufschwünge oder plattige Passagen; der Bergführer benötigt zeitweise beide Hände zur Fortbewegung;
  • Stufe 3: „Mikroseillängen“ –steiles, nicht zwingend schwieriges Gelände; Sturzbelastung des Gastes möglich;
  • Stufe 4: „Seillängen“ – Sichern von Standplatz zu Standplatz.

Stufe 1: Seil „kurz“ – Beispiel: Mönch Normalroute, einfaches Gelände 

Gelände ist einfach, meist gestuft, es besteht eher Ausrutsch- als Absturzgefahr, waagrechter oder leicht ansteigender Felsgrat, wo ständig die Möglichkeit besteht, das Seil links und rechts hinter Zacken zu legen. Offene Seillänge: ca. 6–8 m 

  • Bergführer und Gast bewegen sich gemeinsam. 
  • Bergführer hält das Seil meist in beiden Händen: eine Hand mit Seilreserve
    (ca. 3–6 Schlaufen), die andere Hand führt das Seil und legt dieses situativ hinter Zacken, Seilzug wird konstant aufrechterhalten.
  • Der Bergführer variiert den Seilzug je nach Situation. (Wenig Zug, wenn einfach zu gehen; umdrehen und stärkeren Seilzug geben bei heiklem Schritt oder Zögern des Gastes.)
  • Bergführer ist fähig, ohne Hände zu klettern. (Höchstens stützen oder kurz einen Griff halten.) 

Stufe 2: Seil „kurz“ – Beispiel: Mönch Normalroute, schwierigere Stellen 

Das Gelände ist schwieriger, man braucht die Hände zum Klettern. Ein Sturz kann beim gemeinsamen Gehen (Stufe 1) nicht gehalten werden. Gelände ist nicht exponiert und wir können den Gast an einer ungefährlichen Stelle stehen lassen, ohne ihn zu sichern (Selbstsicherung). Offene Seillänge: ca. 6–8 m. 

  • Gast bleibt auf gutem „Bödeli“ stehen – meist ohne Selbstsicherung. 
  • Bergführer klettert kurze Stufe hoch (2–4 m). 
  • Bergführer führt das Seil in einer Hand mit, um den Gast ständig zu „spüren“. 
  • Bergführer sichert Gast von der nächsten „sicheren Insel“ situationsangepasst wie folgt: Seil straff in Händen, mit Schultersicherung oder an Felszacken. Dabei gilt vor allem: je weiter wir vom Gast weg sind und je höher die mögliche Belastung, desto besser muss die Sicherung sein (siehe oben unter Faktoren).  

Grundsatz: Benötigt der Bergführer beide Hände zur Fortbewegung, ist das Limit des gemeinsamen Gehens erreicht.  

Stufe 3: Seil „kurz – mittellang“ – Beispiel: Mittellegi Fixseile, Schreckhorn Normalroute 

Das Gelände ist exponiert, nicht zwingend schwierig, aber ein Sturz führt zum Absturz der Seilschaft. Offene Seillänge: ans Gelände angepasst nach dem Grundsatz „so kurz wie möglich, so lang wie nötig“ (Kommunikation, Steinschlag, Belastung usw.) 

  • Der Gast wird, wenn immer möglich, gesichert (Selbstsicherung) an gutem Zacken, Schlinge, Haken o. ä. 
  • Der Bergführer klettert ungesichert mit angepasster Seillänge (Seilverkürzung) zum nächsten sinnvollen Stand (bequemer Platz für beide).  
  • Allfällige Zwischensicherungen dienen vor allem dem Seilverlauf und zur Vermeidung von gefährlichen Stürzen des Gastes. 
  • Ist der Gast gesichert, muss das lose Seil nicht zwingend mitgenommen werden. Gast kann dieses Seil auch nachgeben.  
  • Gast wird an gutem Stand nachgesichert (Zacken, Schlinge mit HMS, solider Haken, Friend usw.).  

Stufe 4: Seil „lang“ – Beispiel: Badile Nordkante, Schlüssellänge Mittellegi ab Ostegg 

Gelände ist exponiert und schwierig. Es besteht eine erhöhte Gefahr, dass der Bergführer stürzt. Offene Seillänge: eher lang, meist 30–50 m. Effizienz wird angestrebt (Zeitaufwand für Standplatzsuche und -bau beachten).  

  • Es wird von Stand zu Stand gesichert. 
  • Gast sichert den Bergführer – situativ Körper- oder Fixpunktsicherung. Der Bergführer hängt Zwischensicherungen ein. 
  • Es müssen solide Standplätze gebaut werden (Schlingen, Friends, Keile, Haken).

5. Vier Säulen – Kriterien zur qualitativen Kontrolle beim Gehen am kurzen Seil

Das sichere und effiziente Führen von Gästen basiert grob auf vier Kriterien. Anhand dieser lässt sich das Gehen am kurzen Seil gut beurteilen und kontrollieren: 

  • Persönliche Klettertechnik, Trittsicherheit,
  • Seilhandhabung,
  • Wegfindung,
  • Kommunikation mit dem Gast und Coaching.

Jedes Kriterium ist als Säule oder Standbein zu betrachten. Wackelt eine oder mehrere der vier Säulen, wird das sichere Führen eines oder mehrerer Gäste erschwert oder gar verunmöglicht. Somit hat die Stabilität jeder Säule auch Auswirkungen auf die Stabilität der anderen.  

Beispiel: Je besser und sicherer der Bergführer sich im alpinen Gelände fortbewegt (persönliche Klettertechnik, Trittsicherheit), umso mehr Kapazität hat er, den Gast optimal zu coachen, die Seilhandhabung optimal den Gegebenheiten anzupassen und gleichzeitig den einfachsten und sichersten Weg zu finden. 

6. Praxistests

Rückgesicherte Tests beim Gehen am kurzen Seil im Fels und die Arbeit mit Zugwaagen helfen, wichtige Erkenntnisse für die tägliche Arbeit als Bergführer zu gewinnen und dienen neben der Erfahrung des Ausbildungskaders als Grundlage für die Aussagen in diesem Dokument. Haltbare Kraftspitzen im Felsgelände wurden mit einer offenen Seillänge von 3–10 m getestet. Die Testpersonen waren vorbereitet und die Standpositionen waren mittelmäßig bis gut. 1 KN entspricht in etwa 100 kg. 

  • Sicherung über die Hand/Hände: ca. 0,7–0,8 KN 
  • Schultersicherung: ca. 0,9 KN
  • Sicherung über die Hüfte: ca. 1–1,2 KN 
  • Sicherung über HMS am Gurt: ca. 1–1,2 KN 

7. Grundsätze

  • Ist nicht mindestens ein Seilschaftsmitglied fähig, unter den geforderten Ansprüchen auf der Tour das Seilhandling neben seiner eigenen sicheren Fortbewegung seriös zu gewährleisten, ist die Tour zu schwierig > Konsequenz ist der Verzicht.
  • Das Seil wird immer bei Ausrutsch- und/oder Absturzgefahr möglichst effizient und wirksam als Sicherungsmittel verwendet und befindet sich nicht im Rucksack. Zusätzliche Sicherungsmittel wie Pickel, Eisschrauben, Klemmgeräte und Schlingen sind zum Einsatz bereit. Dies gilt unabhängig der Seilschaftszusammensetzung. 
  • Seilfreies Alleingehen macht nur Sinn für Experten im jeweiligen Gelände. Diese hätten aber auch Kapazitäten, bei Begleitung die Seilsicherung für die Seilschaft effizient einzusetzen.
  • Dreier- und größere Seilschaften nur auf Touren ohne Mitreißgefahr-Situationen oder diesbezüglich heikle Stellen anstreben, mit Fixpunktsicherung begehen.
  • Mitreißunfälle können zum allergrößten Teil mit angepasstem Seileinsatz verhindert werden. Wie Spaltenstürze auch. 
  • Nur sehr viel Übung und große Kenntnisse im Umgang mit allen Sicherungselementen kann die Sicherheit der Seilschaft am Berg erhöhen.

# Statement Verband der Deutschen Berg- und Skiführer (VDBS)

von Chris Semmel (Geschäftsstellenleiter VDBS, staatl. gepr. Berg- und Skiführer)

Chris Semmel, Geschäftsstellenleiter im Verband der Deutschen Berg- und Skiführer (VDBS). ©Marco Kost

1. Vorbemerkung

Das „Gehen am kurzen Seil“ ist eine zentrale Sicherungstechnik in der Führungstechnik im Fels wie auf Hochtouren. Gleichzeitig ist das Anwenden dieser Technik neben der Beurteilung der Lawinengefahr eine der schwierigsten Aufgaben als Bergführer. Das Einschätzen der Verhältnisse und der Grenzen dieser Sicherungstechnik erfordert viel Erfahrung und Können. 

2. Begriffsbestimmung

Das „Gehen am kurzen Seil“ meint nicht alle Techniken, bei denen ein verkürztes Seil (Abbund) zum Einsatz kommt, sondern meint hier die Absturzsicherung eines Führenden für einen Geführten, beim gleichzeitigen Gehen ohne Sicherungspunkte/Zwischensicherungen im Seilverlauf. Somit ist das Gehen am kurzen Seil auch keine sicherungstechnische Methode zwischen gleich kompetenten Seilpartnern, sondern eine reine führungstechnische Maßnahme. Eine private Seilschaft wird nach dieser Begriffsbestimmung nie „am kurzen Seil“ gehen, sondern entweder „seilfrei“, „im Seiltransport“ oder „am gleitenden Seil“. 

3. Techniken des Gehens am kurzen Seil

Merkmal dieser Technik ist, dass Geführter und Führender sich gleichzeitig am Seil bewegen, ohne dass Zwischensicherungen einen möglichen Sturz aufhalten. Das bedeutet, ein Sturz des/der Geführten muss der Führende ohne Fixpunkt halten können. Eine Sonderform des kurzen Seils ist das „Gehen mit Sprungseil“ an Firngraten, bei der der Führende eine entsprechende Menge an Seilschlingen in der Hand trägt, die ihm die nötige Zeit verschaffen soll, bei einem Sturz des Partners auf die entgegengesetzte Gratseite zu springen. Diese Technik könnte entgegen dem „kurzen Seil“ auch von privaten, gleichqualifizierten Seilschaften angewendet werden, verlangt jedoch ein sehr hohes Können und entsprechende Übungserfahrung. 

Abgrenzungen zum „Gehen am kurzen Seil“ sind das klassische Klettern in Seilschaft mit Fixpunkten (Standplatz, Zwischensicherung) sowie das „Gestaffelte Klettern“ (kurze Seillängen mit verkürztem Seil (Abbund) mit Nachsteiger-Sicherung an Köpfeln oder über provisorische Standplätze) sowie das Gehen in Mikro-Seillängen, bei dem der Führende wenige Meter voraussteigt, sich dann umdreht und Hand-über-Hand im Stehen oder Sitzen den Nachsteigenden sichert. 

Beim „Gehen am gleitenden Seil“, bei dem sich die Seilschaft ebenfalls gleichzeitig bewegt, sind Zwischensicherungen im Seilverlauf vorhanden (gleitendes Seil am Grat mit Zackensicherungen oder in Eisflanken mit Rücklaufsicherung an Eisschrauben). 

Eine Sonderform des gleitenden Seils ist die Z-Seilschaft bei Gruppenführungen (Skihochtouren), bei denen sich vier bis sechs Personen parallel an einem flachen, nicht überwechteten Firngrat fortbewegen können und sich verteilt rechts und links des Grats bewegen. 

Eine weitere, häufig angewendete Sonderform bildet die Gletscherseilschaft, bei der sich zwei bis zehn Personen am Seil gleichzeitig bewegen. Hierbei darf jedoch nie Absturzgefahr herrschen. Die Gletscherseilschaft dient nur als Absicherung bei Spaltensturzgefahr. Entsprechend müssen die Abstände zwischen den Seilschaftsmitgliedern ausreichend groß sein sowie ggf. zusätzliche Sicherungsmaßnahmen (Brems-Knoten oder Einzelsicherung über Schneebrücken) angewendet werden. 

Formen des „Kurzen Seils“ werden immer entsprechend dem Gelände (Steilheit, Schwierigkeit), den Verhältnissen (Fels/Eis, Härte des Firns) sowie dem Können und der Anzahl der Geführten angepasst. 

In der Regel ist das Verhältnis zwischen Geführtem und zu Führendem 1:1. Im leichten Gelände und bei guten Verhältnissen ist ein Verhältnis von 1:2 möglich. 

Eine deutliche Verbesserung gegen die Mitreißgefahr bei Dreier-Seilschaften bringt die Anwendung einer mobilen Weiche, bei der ein zweiter Nachsteiger den ersten Nachsteiger an der Seilklemme bei Zug nicht automatisch mitreißt (vgl. hierzu Ausbildungscurriculum VDBS).

Ein Führen von mehr als maximal zwei Personen am kurzen Seil erachten wir als nicht sinnvoll. 

4. Grenzen und Alternativen

Kann ein Sturz am kurzen Seil nicht unmittelbar gehalten werden, ist ein Seilschaft-Absturz meist die Folge. Das Argument der „psychologischen Sicherheit“ durch das „Kurze Seil“ ist kritisch zu bewerten. 

Das Gewichtsverhältnis zwischen Gast und Führendem ist mitentscheidend. Vor allem aber spielen das Gelände sowie die Beistellung des Führenden eine entscheidende Rolle. Im Fels erscheint das Halten von Stürzen schwieriger als im Trittfirn. Ursachen hierfür sind unterschiedliche Schrittlängen durch Vorgabe der Tritte und damit längere Phasen, in denen sich nur ein Fuß am Boden befindet. Zudem ermöglicht ein Dreier-Rhythmus beim Gehen mit Pickel im Firn zusätzliche Stabilität. 

In der Ausbildung werden daher Halteversuche beim Gehen am kurzen Seil am Firnfeld sowie im Felsgelände, das Halten von Stürzen bei Körpersicherung im Schneesitz, Halteversuche mit Seilsicherung über Köpfel und Felskanten sowie das Gehen mit Sprungseil trainiert und Grenzen ausgelotet. 

Muss man sich aufgrund der Verhältnisse gegen ein Gehen am kurzen Seil entscheiden, bleiben das gestaffelte Klettern, das Gehen in Mikro-Seillängen, das Sichern in Seilschaft, das Geländer- oder Fixseil, das Gehen am gleitenden Seil mit Zwischensicherungen oder Rücklaufsperren oder das seilfreie Gehen als Alternativen. 

In einem Gelände, in dem ein ständiger Wechsel zwischen Sicherungsbedarf und Gelände ohne Sicherungsbedarf notwendig ist, können die Seilschaftspartner in Bereichen ohne Absturzgefahr angeseilt bleiben (Seiltransport), damit entsprechend schnell wieder auf eine der oben genannten Sicherungsformen gewechselt werden kann. 

Für private Seilschaften kommen von den oben angesprochenen Sicherungstechniken aus Sicht des Deutschen Bergführerverbandes das gestaffelte Klettern, das Gehen in Mikro-Seillängen, das Gehen mit Sprungseil, das seilfreie Gehen bzw. der Seiltransport und das gleitende Seil als mögliche und sinnvolle Sicherungstechniken in Frage. Diese Techniken können in Kursen oder bei Führungen erfahrenen Bergsteigern vermittelt werden. 

Das Gehen am kurzen Seil hingegen erscheint nur für eine Führungssituation sinnvoll, erfordert ein extrem hohes persönliches Können des Führenden sowie ein hohes Maß an Übung und Routine in der Anwendung dieser Technik. 

5. Anwendung in Notfall-Situationen

Argumenten, das kurze Seil in Notfallsituationen bei „schwächelnden“ oder verletzten Teilnehmern anzuwenden, möchten wir vehement entgegentreten. Besonders in Notfallsituationen, bei Ermüdung oder Verletzung erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Sturzes. Hinzu kommt, dass Stürze am kurzen Seil im Abstieg meist schwerer zu halten sind als im Aufstieg. 

Risiko ist immer die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gefahrensituation multipliziert mit den daraus entstehenden Folgen. Allein aus diesem Grund ist es sinnvoll, in Notfallsituationen auf die Sicherung mittels kurzem Seil zu verzichten und alternativ das gestaffelte Klettern oder das Gehen in Mikro-Seillängen anzuwenden. 

6. Fazit

Das Gehen am kurzen Seil scheint meist aus Zeitersparnisgründen angewendet zu werden. Sicherungstechnisch gibt es immer Alternativen, die wesentlich mehr Sicherheit bieten. 

Daher wird innerhalb des VDBS die Technik des „Kurzen Seils“ entsprechend defensiv vermittelt und umfangreich geschult. Vor einer Anwendung dieser Sicherungstechnik in privaten Seilschaften sowie in Führungssituationen von wenig Geübten oder in Notsituationen möchten wir ausdrücklich warnen. 

Die Tatsache, dass im VDBS trotz allgemein hoch eingestuftem, immanentem Risiko dieser Führungstechnik kein tödlicher Bergführerunfall seit Bestehen des Verbands zu beobachten ist, bestärkt uns in unserer Sichtweise.

# Statement Verband der Österreichischen Berg- und Skiführer (VÖBS)

von Stefan Rössler (stellv. Ausbildungsleiter, staatl. gepr. Berg- und Skiführer)

Stefan Rössler, stellv. Ausbildungsleiter im Verband der Österreichischen Berg- und Skiführer (VÖBS) und Lehrteam Österreichischer Alpenverein. ©Marco Kost

In Österreich sehen wir das „Gehen am kurzen Seil“ für den Bergführer als eine zentrale, praktikable und notwendige Führungstechnik. Das Thema „Kurzes Seil“ benötigt umfangreiche Ausbildung und Praxis. Es hat über die gesamte Ausbildung zum Bergführer einen sehr hohen Stellenwert und wird in den Bereichen Fels, Schnee und Eis ausgebildet. 

Dabei ist für uns wichtig, die Grenzen dieser Technik klar aufzuzeigen (z. B. Halteversuche) und das Bewusstsein dafür entsprechend zu schärfen, um beispielsweise schon von Beginn an im Angebot des Bergführers ungünstige Seilschaftsgrößen zu vermeiden. Grundsätzlich vermitteln wir in der Ausbildung auf Tour, führungstechnisch so viel wie möglich gestaffelt unterwegs zu sein oder die Seilschaft über diverse führungstechnische und/oder seiltechnische Maßnahmen so zu fixieren, dass nicht der Mensch als Fixpunkt dient, wie es ja beim aktiven kurzen Seil oder Sprungseil der Fall ist, wenn sich die Seilschaft gleichzeitig fortbewegt.

Für uns dabei wichtige Schlüsselpunkte: 

  • Gelände und die Verhältnisse,
  • Seilschaft (z. B. Anzahl der Gäste, Gewichtsunterschiede, Eigenkönnen …),
  • Ausrüstung (Seiltyp).

Beispiel: Machen das Gelände und die Verhältnisse aktives Gehen am kurzen Seil oder Sprungseil notwendig, arbeiten wir aktuell in Österreich in der Ausbildung mit einem Einfachseil und in der 1:1- oder 1:2-Seilschaft. 

Wichtig: sinnvolle, nachvollziehbare andere Lösungen sind, wenn begründbar, immer möglich (z. B. Seiltyp). 

# Statement Österreichischer Alpenverein

von Stefan Rössler (Lehrteam, staatl. gepr. Berg- und Skiführer)

Das „Gehen am kurzen Seil“ ist primär eine Technik für Bergführer. Im Rahmen der Ausbildung der Alpenvereins-Akademie empfiehlt der Alpenverein seit vielen Jahren, Touren, die diese Technik erfordern, nicht in Sektionsprogramme aufzunehmen. Wer ehrenamtlich für einen Verein Touren führt, die über lange Strecken das Gehen am kurzen Seil erfordern, hat die Grenze vom Idealismus zur Dummheit überschritten.

Die Führungstechnik „Kurzes Seil“ wird im aktuellen Buch „Sicher am Berg“ kurz thematisiert, in den Kursen des Alpenvereins aber nicht ausgebildet.

# Statement Schweizer Alpen-Club (SAC)

von Bruno Hasler (Bereichsleiter Ausbildung und Sicherheit, staatl. gepr. Berg- und Skiführer)                                                         

Bruno Hasler, Bereichsleiter Ausbildung und Sicherheit im Schweizer Alpen-Club (SAC). ©Marco Kost

1. Unfallstatistik Schweiz (Grundlagen)

In der Statistik werden nur Abstürze über große Höhe auf Hochtouren erfasst. „Seilfreie Unfälle“ werden nur gerechnet, wenn nach Schweizer Lehrmeinung das Anseilen angebracht gewesen wäre. Lawinen werden nicht eingerechnet.

2. Seilschaftsabstürze in der Schweiz

  • 80 % passieren an den 48 Viertausendern
  • Über 90 % passieren an Bergen mit einer Höhe von über 3.900 m

Es stellt sich mir die Frage: Sind hohe Berge gefährlich oder sind die Bergsteiger an hohen Bergen gefährlich?

3. Absturz über große Höhe 1986–2015, nach Nationalität 

  • Angeseilt: Absturz in der Seilschaft = Mitreißunfall.
  • Seilfrei trotz Begleitung: Anseilen wäre möglich gewesen.
  • Es gibt doppelt so viele deutsche Opfer wie Schweizer.
  • Alleingänger sind fast immer Nicht-Schweizer.

4. Absturz über große Höhe 1988–2017, nach Sicherungsmethode 

  • Mitreißunfälle sind in den letzten 30 Jahren leicht abnehmend.
  • In den letzten 20 Jahren gab es ungefähr gleich viele Opfer mit kurzem Seil wie seilfrei.

5. „Kurzes Seil“ in der Schweiz lernen

Das Gehen am kurzen Seil wird in der Schweiz in allen Kursen im Hochgebirge unterrichtet, dies sowohl im Sommer wie auch im Winter. Es wird auf allen Stufen unterrichtet, also für Einsteiger, für Fortgeschrittene, in der Tourenleiter- sowie in der Bergführerausbildung. Dabei ist die Technik für Einsteiger wie für Bergführer dieselbe. Lediglich das Gelände wird anspruchsvoller. Einsteiger dürfen Fehler machen und auch stürzen, ohne dass die Gefahr eines Seilschaftsabsturzes besteht. Diese Lehrmeinung ist in allen Schweizer Verbänden und Institutionen dieselbe, also z. B. im Schweizer Alpen-Club SAC, bei Jugend und Sport J+S, in den Bergsportschulen, wie auch beim Schweizer Bergführerverband SBV.

Auf Westalpentouren ist das „Gehen am kurzen Seil“ eine sehr wichtige und aus Schweizer Sicht unabdingbare Technik. Es ist jedoch nur eine von verschiedenen Strategien, wie z. B. das Gehen am gestreckten Seil (Gletscher), Sichern in Seillängen oder „Mini-Seillängen“, gemeinsames Gehen am halblangen Seil, gemeinsamer Seiltransport oder das seilfreie Gehen. Dabei lösen sich diese Strategien laufend ab, abhängig von vielen Faktoren, wie z. B. dem Können der Seilschaftsmitglieder, dem Gelände, den Verhältnissen, der Seilschaftsgröße usw.

Das „Kurze Seil“ wird, wie viele andere Techniken, oft nicht korrekt angewendet. Beim kurzen Seil hat ein Fehler jedoch schnell fatale Folgen. Das seilfreie Gehen wird in der Schweiz nicht oft angewendet. Wenn es angewendet wird, dann vor allem beim Bergsteigen unter Freunden.

6. Auszug aus bergundsteigen #98

„Auf vielen Hochtouren gibt es Abschnitte, wo das Gehen am kurzen Seil die adäquate Sicherungstechnik ist. Bedingung ist aber, dass das Sturzrisiko relativ klein ist und der Seilführer in einem ansehnlichen Teil der Fälle den Nachsteiger halten kann.

Bei gleich starken Bergsteigern ist das kurze Seil dann sinnvoll, wenn an den schwierigen Stellen auf Fixpunktsicherung gewechselt wird. Das ist außer in reinen Firnflanken auf den meisten Touren möglich, oft stecken an neuralgischen Punkten sogar Bohrhaken oder Sicherungsstangen.

Bei unterschiedlichem Können trägt der Schwächste seilfrei oft ein enormes Risiko. Dieses wird mit dem kurzen Seil massiv reduziert. Die damit erreichte Reduktion des Gesamtrisikos geht allerdings auf Kosten des besseren Bergsteigers, sein Risiko steigt an.

Beim kurzen Seil sind Zweierseilschaften ideal. Mit größeren Seilschaften steigt das Risiko massiv an.“

7. Gretchenfrage

Ist es besser, unangeseilt unterwegs zu sein und dann evtl. den Zeitpunkt zum Anseilen zu verpassen? Oder ist es besser, am kurzen Seil zu gehen und damit einen Mitreißunfall zu riskieren?

An den deutschen Bergsteigern kritisiere ich, dass sie zu oft zu lange seilfrei unterwegs sind. Bei den Schweizern kritisiere ich, dass sie zu oft zu lange gemeinsam am kurzen Seil gehen. 

8. Bemerkung

Da das Gehen am kurzen Seil nur eine von vielen Techniken ist, greift die Diskussion nur um das „Kurze Seil“ zu kurz. Die Frage müsste sein: Wie können Absturzunfälle verhindert werden? 

Die Statistik zeigt, dass es in den letzten 20 Jahren ungefähr gleich viele Todesopfer „angeseilt“ und „seilfrei“ gab. Daher muss die Frage auch sein, wie die „seilfreien Unfälle“ reduziert werden können. Die beiden Techniken „Kurzes Seil“ und „Seilfrei“ sollten gleichwertig diskutiert werden.

# Statement Deutscher Alpenverein

von Robert Mayer (Ressortleiter Bildung, staatl. gepr. Berg- und Skiführer)

Robert Mayer, Ressortleiter Bildung im Deutschen Alpenverein (DAV). ©Marco Kost

Im DAV verstehen wir unter „Kurzem Seil“ das „Scharfe kurze Seil“, wie es Chris Semmel einmal bezeichnet hat. Also ausschließlich die Technik, mit der ein Führer einen oder ggf. mehrere Geführte mit 1–1,5 Meter Seilabstand, gleichzeitig gehend, permanent auf Zug hat, um bereits ein Ausrutschen im Ansatz zu stoppen. So gesehen müssten wir besser vom „Führen am kurzen Seil“ und nicht vom „Gehen am kurzen Seil“ sprechen.

Im DAV war das „Kurze Seil“ bis 2017 ein Tabu-Thema. Mit dem Argument, dass die Anwendung ein hohes Risiko birgt, einer intensiven Schulung bedarf und somit den Bergführern vorbehalten bleibt, wurde es bis 2017 in keiner Trainer-Ausbildung in irgendeiner Art thematisiert. Und dies, obwohl von der Kommission Ausbildung regelmäßig gefordert wurde, die Trainer B Hochtouren darin auszubilden. Die Kommission Ausbildung besteht aus neun Ausbildungsdelegierten der Sektions-Landesverbände. Sie vertreten somit die Interessen und Bedürfnisse der DAV-Sektionen im Bereich Ausbildung gegenüber dem DAV-Bundesverband. 

Die Argumente der Kommission für eine Ausbildung des kurzen Seils waren: 

  • Es gibt Berge, die ohne Gehen am kurzen Seil nicht bestiegen werden können, insbesondere die klassischen Viertausender. Aufgrund der Tatsache, dass wir in unserer Trainer-Ausbildung das kurze Seil sozusagen zum Tabu erklären, lassen wir die Sektionsmitglieder in einem Graubereich/Vakuum stehen.
  • Angesichts dieses Vakuums steigen viele Tourenführer bzw. Mitglieder ohne Ausbildung am kurzen Seil auf die Viertausender. Dies muss ich so bestätigen: Ich selbst kenne einige Trainer B Hochtouren, die mir gegenüber zugaben, das kurze Seil mehr oder weniger oft anzuwenden.

Unsere Argumente im Bundesverband gegen eine Ausbildung im Gehen am kurzen Seil waren:

  • … dass es nicht Aufgabe der Trainer B Hochtouren sei, einzelne Sektionsmitglieder zu führen.
  • … dass eine solide Ausbildung im Führen am kurzen Seil mindestens eine Woche dauern würde – entsprechendes Basiskönnen vorausgesetzt.

Dementsprechend definierten wir bei den Tätigkeitsbereichen des Trainers B Hochtouren unter anderem: „Der Trainer/die Trainerin Hochtouren führt Sektionsgruppen auf Hochtouren, die kein Gehen am kurzen Seil erfordern.“

2017 hat das Thema „Kurzes Seil“ mit dem Artikel von Bruno Hasler in bergundsteigen sowie einer Diskussion bei einer Sitzung der CAA-Kommission Bergsteigen im Jahr 2017 in Bern neuen Schwung bekommen. Bekanntlich schult der SAC das „Kurze Seil“ bereits im Grundkurs Bergsteigen. Die Schweizer Bergsteiger werden sozusagen mit dem kurzen Seil groß.

In der Folge gab es 2017 zwei Diskussionsrunden im DAV: Zunächst eine im Kreise der Koordinatoren des Lehrteams Bergsteigen, an der auch Bruno Hasler teilnahm. Und später zwischen einem Vertreter der Kommission Ausbildung, zwei Vertretern des Koordinationsteams und zwei Mitarbeitern des Ressorts Bildung.

Die Positionen waren zunächst sehr konträr: Die Kommission Ausbildung forderte nachdrücklich eine Ausbildung im „Kurzen Seil“. Die Koordinatoren – durchwegs Bergführer – lehnten dies mit dem Argument des hohen Risikos ab. Die Vertreter des Ressorts Bildung vertraten den Standpunkt, dass Aufklärung (der Trainer und Alpenvereinsmitglieder) besser sei, als sie in Unwissenheit zu lassen. 

Als Optionen standen zur Diskussion: 

  • weiterhin Tabuisierung des Kurzen Seils (inakzeptabel für die Kommission),
  • Thematisieren des Kurzen Seils im Rahmen der Trainer-B-Hochtourenausbildung,
  • Fortbildungen an 2 oder 3 Tagen für Trainer B Hochtouren,
  • eine einwöchige Zusatzqualifikation im „Führen am kurzen Seil“.

Man einigte sich (zumindest bis auf Weiteres) darauf, das „Kurze Seil“ in der Ausbildung zum Trainer B Hochtouren zu thematisieren, indem die Technik im Abstieg im Firnhang gezeigt wird und die Kandidaten sie ausprobieren können. Zeitaufwand dafür: 2 Stunden.

Die Zielsetzung:

  • Die Trainer kennen die richtige Technik, um ggf. eine(n) erschöpfte(n) Tourenteilnehmer(in) im Abstieg auf einem Firnhang unterstützen zu können.
  • Die Trainer kennen insbesondere die Risiken des gleichzeitigen Gehens am kurzen Seil, um bei einer Anwendung die Grenzen zu kennen und um in den Sektionen entsprechend aufklären zu können.

Weiterhin nicht Zielsetzung der Ausbildung ist es, dass Trainer einzelne Teilnehmer bereits im Aufstieg am kurzen Seil sichern. In so einem Fall läge ein Fehler in der Tourenauswahl vor. Der Passus: „… führt Sektionsgruppen auf Hochtouren, die kein Gehen am kurzen Seil erfordern.“ hat weiterhin in der Tätigkeitsbeschreibung des Trainers B Hochtouren seine Gültigkeit.

Zusammengefasst: Das Thema „Kurzes Seil“ wird im DAV inzwischen differenzierter gesehen als in der Vergangenheit. In der Hochtourenausbildung wird es jetzt zumindest thematisiert. Wie sich das Thema weiterentwickelt, ist offen.