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12. Sep 2022 - 4 min Lesezeit

Rock’n’Roll: Nachsichern mit der Micro Traxion

Umlenkrollen mit Rücklaufsperre wurden zur Spaltenbergung, für Flaschenzüge und zur Selbstrettung entwickelt. Hin und wieder sieht man erfahrene Alpinist*innen aber auch beim Nachsichern mit der Micro Traxion. Doch wie gefährlich ist diese Anwendung?

Nachdem wir gesehen haben, dass einige Personen bereits mit der Micro Traxion nachsichern, haben wir diesbezüglich Tests gemacht und festgestellt, dass diese Anwendung bei Einhaltung gewisser Kriterien möglich ist.

Grundsätzlich handelt es sich bei der Micro Traxion um eine Rolle mit Rücklaufsperre und nicht um ein Sicherungsgerät. Das Produkt ist zertifiziert als Seilklemme nach EN567 für Kernmantelseile von 8–11 mm. Hauptsächliche Gefahr bei der Verwendung der Micro Traxion beim Nachsichern ist eine Überlastung des Seilmantels und der eventuelle Riss des Mantels, was einen Sturz des Nachsteigers zur Folge haben könnte.

Micro Traxion der Firma Petzl (Umlenkrolle mit Rücklaufsperre)
Abb. 1: Micro Traxion – Umlenkrolle mit Rücklaufsperre

Grundsätzlich sind Produkte laut Gebrauchsanweisung zu verwenden. In der Gebrauchsanweisung empfehlen wir das Nachsichern von Personen ausdrücklich nicht. Das Produkt wurde für folgende Anwendungen entwickelt und zertifiziert:

  1. Nachziehen von Lasten
  2. Flaschenzugsysteme
  3. Aufstieg am Seil

Folgende Kenntnisse über diese Technik sind Voraussetzung, um diese sicher anzuwenden

Die Micro Traxion wird frei beweglich am Standplatz fixiert. Das straffe Einziehen des Seiles muss zu jeder Zeit möglich sein. Eine Schlappseilbildung darf niemals erfolgen. Ein Überklettern der Micro Traxion muss ausgeschlossen werden. Der Sichernde muss das Seil stets in der Hand halten. Sollte der Nachsteiger merken, dass das Seil nicht straff eingezogen wird, muss er unverzüglich stoppen.

Bestimmte Situationen sind mit der Micro Traxion besonders schwer zu handeln und erhöhen das Risiko. Der Sichernde muss seiltechnisch versiert sein, um diese Situationen kontrollieren zu können:

  • Sturz und freies Hängen des Nachsteigers: Es ist nicht möglich, den Nachsteiger über die Micro Traxion allein abzulassen! Der Sichernde sollte in diesem Fall erwägen, den Kletterer hochzuziehen, um ihm bei der Bewältigung dieser Passage zu helfen. (Abb. 2)
Sturz und freies Hängen des Nachsteigers, gesichert mit Micro Traxion.
Abb. 2: Freies Hängen
  • Quergang am Ende einer Seillänge: Es kann dabei zu einem Pendelsturz und dadurch zu einer höheren Belastung des Systems kommen. (Abb. 3)
Sturz bei Quergang am Ende einer Seillänger, gesichert mit Micro Traxion.
Abb. 3: Quergang am Ende einer Seillänge
  • Seilmanöver am Standplatz. Achtung: Der Nachsteiger darf auf keinen Fall die Micro Traxion überklettern! (Abb. 4)
Sturz bei Überklettern des Standplatzes, gesichert mit Micro Traxion.
Abb. 4: Seilmanöver am Standplatz

Achtung: Das Nachsichern in Schnee und Eis bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ist gefährlich, da es unter gewissen Bedingungen zum Vereisen der Klemme kommen kann. Diese Anwendung ist daher zu unterlassen!

Durchgeführte Tests, um die Risiken dieser Technik besser zu verstehen

Die Sturztests wurden mit einem flexiblen (mit dem Verhalten des menschlichen Körpers vergleichbaren) Dummy durchgeführt.

Achtung: Die Ergebnisse dieser Tests sind ausschließlich als Richtwerte zu verstehen; durch verschiedene Faktoren könnten sich die Ergebnisse verschlechtern. Stürze sollten generell unbedingt vermieden werden.

Hinweis: Während dieser Tests ist es zu einem einzigen kompletten Seilriss bei einem stark abgenutzten Seil gekommen (rot markiertes Ergebnis). Die orange markierten Ergebnisse stehen für den Riss des Seilmantels und ein oder mehrere durchtrennte Kernfäden, was bereits eine besonders gefährliche Situation für den Kletterer darstellt.

Vergleich der Ergebnisse bei Verwendung eines abgenutzten Seils

Testvergleich: Sturz mit neuem vs. mit abgenutztem Seil, gesichert mit Micro Traxion.
Abb. 6: Vergleich: Seile neu vs. abgenutzt

Achtung: Das Verhalten von abgenutzten Seilen (Abnutzungsgrad, Art der Abnutzung) ist nicht wiederholbar. Die Ergebnisse sind als Richtwerte zu verstehen (die Tests wurden mit einem stark abgenutzten Seil am Ende der Lebensdauer durchgeführt).

Man sollte wissen, dass beim Sichern mit der Micro Traxion ein abgenutztes Seil eine noch größere Wachsamkeit erfordert als ein neues Seil.

Tests bei einem Pendelsturz

Pendelsturz bei neuem Seil, gesichert mit Micro Traxion.
Abb. 7: Pendelsturz bei neuem Seil

Bei einem Quergang am Ende der Seillänge kann das Pendelrisiko nicht ausgeschlossen werden. Die Tests wurden in einem realistischen Szenario bei einem Sturz in ein 2 m langes Seil durchgeführt. Der Kletterer befindet sich in 1,80 m Entfernung zum Fixpunkt auf gleicher Höhe. Die Tests wurden ausschließlich mit einem neuen Seil durchgeführt.

Abschlussbemerkung

Zusammengefasst bedeutet dies, dass bei einer Belastung der Micro Traxion (Rücklaufsperre aktiviert) von über 4 kN der Mantel eines dynamischen Bergsportseils reißt und auch einzelne Kernzwirne beschädigt werden können. Nur eine permanente Straffung des Seils kann verhindern, dass man nicht an die Belastungsgrenzen der Materialien kommt. Wird diese Regel eingehalten und ist das verwendete Seil noch in einem guten Zustand, können erfahrene Anwender die Petzl Micro Traxion zum Nachsichern verwenden.

In der nächsten Ausgabe von bergundsteigen berichtet die Redaktion von ihren Praxistests mit der Micro Traxion und der noch leichteren Nano Traxion. Wo, wie und wann kann die Traxion sinnvoll eingesetzt werden? Welche Vorteile bietet sie beim Nachsichern gegenüber einem Tuber mit Platefunktion? Wo sind die Nachteile?

Falls die Frage auftaucht, warum bergundsteigen keine Umlenkrollen mit Rücklaufsperren von anderen Herstellern zum Nachsichern vorstellt. Die Antwort: Die anderen Hersteller haben noch keine solchen Tests gemacht und präsentiert.

Erschienen in der
Ausgabe #118 (Frühling 22)

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