
Bergführerserie: behelfsmäßige Kameradenrettung
Bergführerserie
Seit Herbst 2022 sind die Berg führerverbände der Schweiz, von Österreich, Deutschland und Südtirol als Redaktionsbeiräte mit an Bord. Daher erscheint seither in jeder Ausgabe ein Beitrag dieser Verbände. Die Serie soll informie ren und zugleich einen konstruktiven Austausch anregen und dadurch indirekt die Bergführeraus- bildung weiterentwickeln
Die behelfsmäßige Bergrettung ist – neben dem rückwärtigen Absichern von Quergängen – eines der seiltechnisch komplexesten und damit auch riskantesten Themen beim Bergsteigen. Im Gegensatz zur Spaltenrettung kommt das Thema in den Kursen der Alpinschulen und Alpenvereine nur kurz vor und wird allenfalls auf freiwilliger Basis in Fortbildungen angeboten.

Trotzdem empfehlen wir jedem engagierten Alpinisten, sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen, nicht um eine Rettung durch die professionelle Bergrettung zu vermeiden, sondern um weiterzukommen, wenn mit professioneller Hilfe z. B. aufgrund des Wetters nur sehr verzögert zu rechnen ist. Allen Anwendern empfehlen wir intensives Trockentraining, am besten unter professioneller Anleitung.
Des Weiteren bleibt der Charakter der Behelfsmäßigkeit dieser Techniken hervorzuheben. Bei einigen dieser Techniken geht man erhöhte Risiken ein, die im Ernstfall gegen den Nutzen abzuwägen sind. Zum Training empfehlen wir, die Techniken erst einmal in Bodennähe und an soliden Fixpunkten (Bohrhaken) intensiv zu üben.
Insgesamt geht die behelfsmäßige Bergrettung natürlich eng mit einer Erstversorgung des Patienten einher. Auf den Lehrgängen der Bergführerausbildung wird deshalb beides integriert gelehrt und angewendet. Da die Erste Hilfe gut veröffentlicht ist (siehe Notfall Alpin Serie), verzichten wir in diesem Artikel auf dieselbe.
Wir gehen davon aus, dass die Patienten in unseren Beispielen nach dem CrABCDE-Schema untersucht, Wunden behandelt und Extremitäten geschient und fixiert wurden. Die Patienten sind zwar nicht in der Lage, selbst zu handeln, aber ansonsten transportfähig.
Im Nachfolgenden stellen wir einige Szenarien aus der Bergrettungsausbildung des VDBS und deren Lösungsmöglichkeiten vor. Alle Szenarien erfordern komplexe Problemlösungsfähigkeiten und das durchdachte und vorausschauende Aneinanderreihen unterschiedlicher seiltechnischer Werkzeuge (Module).
Der Einfachheit halber bezeichnen wir die rettende Person mit RP und die verletzte Person mit VP.

Nachsteigersturz im Quergang
Ein Szenario, das es für unsere Aspirant:innen zu lösen gilt, ist z. B. das folgende: Dein Nachsteiger ist vor/in einem Quergang gestürzt, hat sich verletzt und ist nicht mehr handlungsfähig. Ein einfaches Ablassen nach unten ist nicht möglich und der Quergang mitsamt der eingehängten Zwischensicherungen (Quergänge sichern wir, wenn möglich, immer betont gut ab) verhindert ein direktes Anheben der VP mittels Körperhub vom Stand aus.
Die Expressschlingen im Quergang sind größtenteils durch das Gewicht der VP belastet, ein einfaches Aushängen ist also nicht möglich.
Lösen der Zwischensicherungen
Die RP wird zuerst die Sicherung der VP lösbar blockieren (Abb. 1 Modul Schleifknoten auf den HMS bzw. Plate mit Knoten absichern). Nun muss als nächstes zur VP abgestiegen/gequert werden. Das funktioniert am besten mit der behelfsmäßigen Bergrettungs-Selbstsicherungsschlinge.
Eine 120er-Bandschlinge wird doppelt genommen und doppelt mit Ankerstich im Sicherungsring des Gurts befestigt. Ein Arm sollte dabei ca. 15–20 Zentimeter länger sein als der andere. Nun wird in jedem Arm jeweils ein Schraubkarabiner/Verschlusskarabiner mittels Mastwurf oder Ankerstich fixiert. Den Karabiner des längeren Armes hängt die RP in einen vernähten, hochfesten Kurzprusik (Dyneema oder Kevlar), der zuvor dreifach gewickelt um das belastete Seil zur VP geknüpft wurde.
Der zweite, kürzere Arm wird im gespannten Seil eingehängt (Abb. 2). Mit diesem behelfsmäßigen „Klettersteigset“ steigen wir nun am gespannten Seil zur VP ab oder queren zu ihr rüber. Den Prusik kann man dabei mit etwas Übung durch die Karabiner der Express-Schlingen klippen, ohne diese auszuhängen (Abb. 3).

Bei der VP angekommen, wird diese versorgt. Danach steigt man wieder bis zur ersten Zwischensicherung auf. Nun muss die Express-Schlinge unter Last ausgehängt werden. Dazu nimmt man eine 5–6 Meter lange Reepschnur und knotet ein Ende mittels Prusik im Einzelstrang um das Seil. Das freie, lange Ende der Reepschnur wird nun durch den Haken der belasteten Expresse gefädelt, um das Seil gewickelt und erneut durch den Haken der Express-Schlinge geführt.
Anschließend wird die Reepschnur möglichst kurz mittels HMS und Schleifknoten am Sicherungsring der RP fixiert. Die RP belastet nun die Reepschnur mit vollem Körpergewicht (behelfsmäßige Rettungs-Selbstsicherung dementsprechend positionieren). Durch diese Form des Körperhubs wird das Seil zum Haken der Zwischensicherung gezogen.
Gegebenenfalls muss sich die RP zum Körpergewicht noch aktiv von der Wand wegdrücken. Die gespannte Expresse wird so entlastet und lässt sich aushängen. Dann wird der Schleifknoten der langen Reepschnur gelöst, das Seil in den HMS hineinlaufen gelassen und die RP und damit auch die VP pendeln langsam in Falllinie unter die nächste Zwischensicherung (Abb. 4).

Die RP steigt dann am gespannten Seil zur nächsten Expresse nach oben und wiederholt den Vorgang, bis alle Zwischensicherungen ausgehängt sind und die RP wieder am Stand angekommen ist. Das Seil zur VP läuft nun senkrecht und frei nach unten.
Anheben nach oben mittels Körperhub
Nachdem die Sicherung der VP schon lösbar fixiert wurde, wird nun direkt die Umlenkung mit Rücklaufsperre eingerichtet. Ideal ist hier die Microtrax (alternativ Nanotrax oder Spoc), die unter der Sicherung der VP eingehängt werden kann (Abb. 5, Abb. 6). Danach kann die Last auf die Microtrax übertragen und die Halbmastwurfsicherung abgebaut werden.

Hängt die VP in der Platte, wird die Last auf die Microtrax übertragen, indem am Blockier-Karabiner „gepumpt“ wird (Abb. 7) In jedem Fall hängt die VP anschließend in der Microtrax. Nun baut sich die RP am unbelasteten Seil eine weitere Rücklaufsperre mittels der Sicherungsplatte im Guide-Modus und klippt die Plate in ihren Gurt (Abb. 8).

Abschließend wird die Selbstsicherung verlängert (nicht ausgehängt! Das System funktioniert wie ein Aufzug: ist die RP einmal unter der VP, kann der Vorgang nicht mehr gebremst werden und das System stoppt erst, wenn der Knoten der VP in die Umlenkung der Rücklaufsperre gezogen wird).

Danach kann mit dem Hochziehen der VP begonnen werden, indem sich die RP in das Zugseil hängt und mit dem eigenen Körpergewicht und gleichzeitigem Zug am Lastseil die VP hochzieht. Ist die verlängerte Selbstsicherung gespannt, zieht sich die RP an ihrer Rücklaufsperre (Platte) wieder hoch zum Stand und es beginnt ein erneuter Hubvorgang.

Die optimale Arbeitslänge wird anhand der Gegebenheiten am Standplatz über die Länge der Selbstsicherung eingestellt. In sehr exponiertem, steilem Gelände wird mit kurzen Hüben gearbeitet. Ist das Gelände am Stand eher flacher und kann sich die RP leicht selber hochziehen, kann die Selbstsicherung auch mehrere Meter lang eingestellt werden (Abb. 9).

Kurz vor dem Ziel ist dann nochmal Vorsicht angebracht: Leicht landet die VP mit ihrem Anseilknoten in der Microtrax, hier also besonders vorsichtig sein und rechtzeitig eine lösbare Aufhängung für die verletzte Person einrichten. Dies geschieht am besten mittels Reepschnur und Schleifknoten oder dem Geflecht. Die Rücklaufsperre der Microtrax unter Last lösen und die VP in die lösbare Aufhängung übergeben (Abb. 10).


Kurzanleitung Körperhub
- VP lösbar fixieren
- Microtrax am Lastseil einlegen und möglichst kurz unter Sicherung aufhängen
- Last auf Microtrax übertragen (Schleifknoten lösen/Platte pumpen, Sicherung abbauen)
- Plate im Guide-Modus im freien Seil und am Körper einhängen
- Selbstsicherung verlängern und mit dem Hochziehen beginnen. Am Lastseil mitziehen!
Gemeinsames Abseilen
Entscheidet sich die VP nun für die weitere Rettung nach unten, wird alles für das gemeinsame Abseilen mittels 1-Personen-Rettungsmethode vorbereitet. Die VP wird mittels lösbarer Aufhängung (Abb. 11: Schleifknoten an Reepschnur) in die Rettungsspinne gelassen, welche wiederum schon an einem zum Abseilen vorbereiteten Seil eingehängt ist (Abb. 12).

Die RP nimmt dazu die VP auf den Rücken und seilt mit dieser ab (Abb. 13). Um ein Verrutschen der Last zu verhindern kann die VP zusätzlich mit Expressschlingen seitlich fixiert werden. Eine Selbstsicherung mittels Kurzprusik oder eine sonstige Totmannsicherung ist für die RP verpflichtend. Je steiler die Abseillänge desto besser funktioniert die Technik.

Im flachen Gelände hilft nur rohe Kraft. Am nächsten Stand angekommen wird die VP mit der lösbaren Aufhängung möglichst hoch fixiert. Hierbei kann die HMS auch direkt durch einen Haken gefädelt werden, wenn man einen Karabiner sparen möchte (Abb. 14). Nach der Fixierung kann die RP die Rettungsspinne sowie das Abseilgerät aushängen, das Seil abziehen und für die nächste Länge vorbereiten.

Ist die Rettungsspinne wieder korrekt eingehängt, wird die VP mittels lösbarer Aufhängung in die Spinne umgelastet und die nächste Abseilfahrt kann beginnen. Besondere Vorsicht bitte am Boden walten lassen. Am besten wird die VP mit erhöhtem Oberkörper in eine sitzende Position auf den Boden gebracht, dafür dreht sich die RP kurz vor dem Boden von der Wand weg und lässt so lange nach, bis beide auf dem Boden sitzen.
Am Wandfuß angelangt kann die VP nun entweder weiter transportiert oder auf einem Rucksackbett unter bestmöglichem Wärmeerhalt und bester Betreuung bis zum Eintreffen der professionellen Bergrettung gelagert werden.
Kurzanleitung 1-Personen-Rettungsmethode
- Das Abseilen und die Rettungsspinne vorbereiten
- Rettungsspinne belasten, Prusik greifen lassen
- VP aus der lösbaren Aufhängung in die Rettungsspinne lassen
- Abseilen bis zum nächsten Standplatz
- VP mit lösbarer Aufhängung am Stand fixieren
- Selbstsichern, Rettungsspinne abbauen, Seil abziehen
- wieder wie bei Punkt 1.