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von Andi Lipp
14. Dez 2021 - 16 min Lesezeit

Reife(n)prüfung – Mountainbiken als alpine Kernsportart

Mountainbiken ist so populär wie noch nie. Als alpine (Kern-)Sportart wird es aber nach wie vor kontrovers diskutiert. Die ständig steigenden Nutzer-Zahlen, verstärkt durch den E-MTB-Trend und auch die Corona-Pandemie, heizen die Debatte um das MTB an. Wie können sich die Alpenvereine in diesem Spannungsfeld positionieren? Ein Überblick, über Landesgrenzen hinweg.

Der Mountainbike-Boom rollt, mit und ohne E-Antrieb: Über eine Million der grobstollig bereiften und für den Einsatz in den Bergen gerüsteten Fahrräder wurden alleine 2020 in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol zusammengenommen verkauft – Tendenz steigend. Das ist den aktuellen Zahlen der Industrie- und Handelsverbände der Länder zu entnehmen. Und auch, wenn nicht jeder Mountainbike- oder E-Mountainbike-(Neu-)Besitzer den Drang verspürt, sein Fahrrad tatsächlich in den Bergen zu bewegen: Es sind eine ganze Menge Menschen, die genau das sehr gerne tun. Wichtig ist hier zu erkennen, dass es nicht den einen Mountainbiker bzw. die eine Mountainbikerin gibt, sondern es sich in der Regel um Bergsportler handelt, die die Natur nicht nur mit Wanderstiefel, Ski oder Seil, sondern eben auch mit dem Rad erkunden und genießen – alpine Multisportler sozusagen.

Darunter auch viele Mitglieder der Alpenvereine AVS, DAV, ÖAV und SAC. In Deutschland beispielsweise ergab eine Umfrage des DAV-Magazins Panorama im Jahr 2017, dass 43 % der DAV-Mitglieder Mountainbike fahren. Im SAC ist etwa jedes dritte Mitglied regelmäßig mit dem Bike unterwegs, in Österreich 53 % der Mitglieder. Damit liegt Mountainbiken in Österreich hinter Bergwandern und Wandern auf Platz drei der beliebtesten Bergsportaktivitäten – noch vor Klettern! In Südtirol seien, nach Aussage von Stefan Steinegger, Sachbearbeiter Bergsport im AVS, nicht nur zahlreiche Mitglieder (30 % in 2013), sondern auch etliche Vorstandsmitglieder als Multisportler ebenfalls den aktiven Mountainbikern zuzurechnen. Es ist daher nur logisch und konsequent, dass Mountainbiken als Bergsportart längst anerkannt ist, innerhalb der Verbände. In Österreich ist der Sport seit der Veröffentlichung eines ÖAV-Positionspapiers 2015 als alpine Kernsportart im Alpenverein anerkannt, in der Schweiz als Bergsport seit Veröffentlichung des Positionspapiers 2020 und in Südtirol seit 2013. Der Deutsche Alpenverein bildet in Sachen Mountainbike gar seit 1998 aus.

Perspektivwechsel: Gibt es ein alpines Gewohnheitsrecht?

Umso mehr drängt sich die Frage auf, weshalb dann die Debatte rund ums Mountainbiken häufig so hochgradig von Emotionen beeinflusst, ja bisweilen sogar gesteuert ist. Nicht nur in den Alpenvereinen, sondern auch gesamtgesellschaftlich. Wie wäre es, mit einem Gedankenspiel zu beginnen, um eine tatsächlich ergebnisoffene Gesprächsgrundlage zu schaffen: Was wäre, wenn Bergradler als Erste die Szenerie des Alpenbogens betreten pardon befahren hätten? Weit vor Bergwanderern und Bergsteigern? Wenn die, heute Mountainbiker genannten, Bergradler also ungefähr Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Eisenbahn und ihrem Rad im Gepäck gen Berge gefahren wären? Mit dem Ziel, aus reinem Spaß an der Sache bergauf und bergab zu fahren? Also so, wie es die ersten Freizeitbergwanderer als Vorfahren des ‚klassischen’ Bergsports eben auch taten. Nur auf Bergrädern statt in Bergstiefeln.

Das Befahren von Trails führt zu Konflikten mit anderen Wegnutzern. Hier wird es in Zukunft noch klarere Regeln brauchen. Foto: Sendlhofer Schag
Das Befahren von Trails führt zu Konflikten mit anderen Wegnutzern. Hier wird es in Zukunft noch klarere Regeln brauchen. Foto: Sendlhofer Schag

Würden wir dann auch von Wanderwegen sprechen? Dazu die Erkenntnis im Hinterkopf, dass viele alpine Wege in der Vergangenheit für die wirtschaftliche oder militärische Nutzung angelegt wurden…  Wie würde dann die Diskussion zwischen Mountainbike-Befürwortern und -Gegnern rund um die Nutzungsart von Wegen im Jahr 2021 verlaufen? Genügt alleine die Tatsache, dass eine Gattung Bergsportler früher auf den Plan getreten ist als Grundlage, um eine Nutzungshoheit daraus abzuleiten? Eine Art Gewohnheits-Wegerecht? Oder liefert dieses Gedankenspiel vielleicht eine Vorlage für das, was zum Thema Mountainbike aus dem Mund einer Stubaitaler Hüttenwirtin stammt und an Wahrheit wohl nicht zu überbieten ist: „Wenn es im Kopf Platz hat, dann hat es auf dem Weg allemal Platz!“ Schließlich sind die meisten von uns ja auch ein bisschen Mountainbiker, Bergsteiger, Skitourengänger und Kletterer gleichzeitig.

Schmale Pfade reizen Berggänger und Mountainbiker. Das Platzangebot aber ist begrenzt. Lösungsansätze erfordern daher ein miteinander.

Die Natur als verbindendes Element zwischen Fußgängern und Radfahrern

Anders gesagt: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Für ein Miteinander. Oder andersrum: Wo ein Weg ist, könnte doch auch ein Wille sein? Doch selbst wenn dieser Wille nur gering vorhanden ist, die schiere Zahl an Menschen, die den zweirädrigen Bergsport für sich entdeckt haben – über 14 Millionen alleine in Deutschland – zeigt die Notwendigkeit, dass sich die Alpenvereine der Thematik annehmen. Gerade auch in ihrer Funktion als anerkannte Naturschutzorganisationen, keinesfalls als reine Mountainbike-Fachverbände. Aber als Interessensvertretung aller, die sich für die Freizeitgestaltung bergsportlich betätigen möchten – und obendrein einen respektvollen Umgang mit dem Naturraum der Alpen pflegen. Sei es zu Fuß oder mit dem Bike. Das eint beide Gruppen: 88 % der vom ÖAV in einer Umfrage mit fast 15.000 Mountainbike-fahrenden Teilnehmern geben das Naturerlebnis als Motiv für die Sportausübung an. In Deutschland immerhin 76 %. Auch darum ist Begegnungsverkehr dieser Gruppen auf Bergwegen vorhanden. Und wird nicht mehr verschwinden. Gründe dafür gibt es zuhauf: immer bessere Ausrüstung, der Trend zum Fahrrad im Kontext der Mobilität, der anhaltende Drang nach Selbstverwirklichung, kleine Fluchten aus dem stressigen Alltag.

Das Argument der Naturbelastung durch Mountainbiker hinsichtlich Bodenerosion, Vegetationsschäden und Artenreichtum eignet sich laut diversen Untersuchungen verschiedener Institutionen (u.a. Bund für Umwelt- und Naturschutz in Deutschland oder der Universität Köln) nicht als Contrapunkt: Sie ist durch Biker nicht höher oder niedriger als durch andere Aktivitäten auch. Es kommt – und das gilt für sämtliche Bergsportaktivitäten – auf die Frequentierung und das Nutzungsverhalten an. Darum ist die Frage: Kann man dem begegnen und wenn ja, wie? Der Schweizer Darco Cazin, der touristische Destinationen hinsichtlich der Lenkung von Gästen mit bergsportlichen Interessen berät, weiß um die Sensibilität des Themas: „Die Lösungsansätze, die Konzepte, rund um eine funktionierende Antwort auf die Nachfrage der Mountainbiker sind an sich pragmatisch. Aber es bedarf natürlich einer recht komplexen Abstimmung mit den verschiedenen Stakeholdern. Das ist aufwendig. Da ist es einfacher, eine Polemik draus zu machen“, sagt er. Angesichts der Menge an Mountainbikern, die die Trails zum Ziel haben, muss aber die Frage gestattet sein, ob Polemik reicht, um adäquate Antworten auf die große Nachfrage zu liefern?

Fahrverbote als vermeintlich schnelles Glück

Sind Fahrverbote in diesem Kontext als vermeintlich simples Mittel tatsächlich die richtige Wahl, um die Wege-Problematik zukunftstauglich zu lösen? Mountainbike-Gegner haben auf diese Frage in der Vergangenheit gerne und häufig mit ‚Natürlich!‘ geantwortet. Die Gründe dafür sind – zumindest theoretisch – auf den ersten Blick nachvollziehbar: Was verboten ist, kann geahndet werden. Und klar, man darf beim gesetzestreuen Bürger eine gewisse Abschreckung vermuten. Aber welches Ergebnis erzielt ein Verbot ohne alternatives Angebot? Wer soll all die Vorschriften kontrollieren? Und wie entwickelt sich das soziale Klima am Berg?

Nur für Biker? In Tirol wurde ein eigenes MTB-Modell ausgearbeitet, das als Vorbild für andere Regionen dienen könnte. Foto: Sendlhofer Schag
Nur für Biker? In Tirol wurde ein eigenes MTB-Modell ausgearbeitet, das als Vorbild für andere Regionen dienen könnte. Foto: Sendlhofer Schag

Unterschiedliche Voraussetzungen, das gleiche Ergebnis

Wie oben bereits erwähnt, ist Mountainbiken als alpine Kernsportart in allen Verbänden anerkannt. Die Voraussetzungen auf Länderebene sind jedoch sehr unterschiedlich. Zum Teil unterscheiden sie sich sogar von Kanton zu Kanton oder Bundesland zu Bundesland.

Österreich hat eine sehr klare Gesetzgebung. Dennoch gibt es Probleme wie Rene Sendlhofer-Schag erzählt. Er ist seit Februar als MTB-Koordinator im ÖAV engagiert. „In Österreich bringen uns Verbote nicht weiter, denn das Befahren auf nicht explizit ausgewiesenen Strecken ist ja bereits von Gesetzesseite verboten.“ Dennoch fahren dort über die Hälfte der Mitglieder MTB. „Wir müssen mit attraktiven und zeitgemäßen Angeboten lenken.“ Stattdessen wird die Thematik rund ums Mountainbiken immer von der Seite des Problems, und nicht der Lösungsseite gedacht. „99,9 % der Begegnungen am Berg verlaufen ohne Probleme, dennoch blicken alle auf die wenigen schwarzen Schafe. Und auch hier wird der Konflikt oft nicht im Kontext betrachtet, zudem hochgeschaukelt. Dabei haben wir einen Bedarf, den es zu decken gilt“, sagt Sendlhofer-Schag. „Eine Ghettoisierung, abseits jeglicher weiterer Infrastruktur, um möglichst alle Berührungspunkte anderer Nutzergruppen mit Mountainbikern zu vermeiden, ist der falsche Ansatz, weil langfristig unattraktiv. Wegen der rechtlichen Voraussetzungen müssen wir kurzfristig dennoch zufrieden sein, weil nur dort attraktive Angebote entstehen können, wo der Grundeigentümer sein schriftliches Einverständnis gibt. Aber: Über die Zeit entsteht so ein immer dichter werdendes Netz an Mountainbike-Strecken, das irgendwann hoffentlich flächendeckend, bedarfsgerecht und legal ist.“

Auch im AVS ist man an der Lenkung statt an Verboten interessiert, wenn auch aus etwas anderem Grund: „Südtirol wird gerne als ‚Insel der Seeligen‘ bezeichnet, da es im Gegensatz zu den nördlichen und südlichen Nachbarn keine klare gesetzliche Regelung gibt und das Vorurteil herrscht, es sei alles befahrbar, was nicht verboten ist“, sagt Stefan Steinegger: „Dennoch müssen wir den Biker-Verkehr lenken, um vorzubeugen, dass es an irgendeiner Stelle konzentriert zu viele werden. Aus dem ‚zu viele‘ entstehen Probleme mit anderen Nutzergruppen oder den Grundeignern.“ Das will man in Südtirol vermeiden, nur: „Es dürfen MTB-Routen, das schreibt das Gesetz vor, nur dann offiziell ausgewiesen, beschildert und beworben werden, wenn die Grundnutzungsvereinbarung mit dem Grundeigentümer unterzeichnet ist.“ Dabei gehe es längst nicht mehr um die Haftungsfragen. Die seien über eine Versicherung von Seiten der Tourismusverbände beantwortet. Steinegger sagt: „Wir scheitern aktuell daran, dass die Tourismusverbände mit jedem einzelnen Grundbesitzer sprechen müssten.“ Eine Mammutaufgabe, mit der man nicht fertig werde. Dabei wäre die Beschilderung nach Ansicht des AVS wichtig. Einerseits, um an den Hot Spots, die es punktuell immer geben wird, Wanderer und Biker bei der Wegenutzung zu trennen. Andererseits aber auch, um das respektvolle Miteinander zwischen Fußgängern und Radfahrern aktiv zu fördern. Mit nur einem Schild. „Das transportiert eine wichtige Botschaft: Ihr seid beide willkommen“, sagt Steinegger.

In Deutschland steht der DAV selbst mit dem vereinsinternen Ausbildungsprogramm seit Kurzem vor ganz eigenen Problemen: Die im Dezember 2020 veröffentlichten neuen Vollzugshinweise des Umweltministeriums in Bayern brachten das DAV Bundeslehrteam MTB dazu, die Schulungsveranstaltungen in Bayern sehr konkret zu hinterfragen – und notfalls ins Ausland zu verlegen. Denn auch Baden-Württemberg ist aufgrund der Zwei-Meter-Regelung nur eine theoretische Option.

Die Folge sind längere Autofahrten als Konsequenz einer Gesetzesauslegung durch das bayerische Umweltministerium. Klingt wie eine Farce? Nun…

Auch die vom DAV geplanten Modellregionen im Allgäu und im bayerischen Oberland bei Bad Tölz können als Ausbildungsort nicht dienen: Weil der DAV nach Aussage von MTB-Projektleiter Benjamin Trotter explizit gegen die Neuanlage von Wegen ist, sollen Mountainbiker vorhandene Wege nutzen. Nur: Da kommen wiederum die Vollzugshinweise ins Spiel. Deutschland steht seit Veröffentlichung der Hinweise infrastrukturell plötzlich sehr schlecht da: „Auf dem Papier mögen die Hinweise ein Sieg der Mountainbike-Gegner sein. Aber im Frühjahr und Sommer, da werden die Hinweise selbst zum Konflikt. Nicht die Begegnung von Bergsportlern untereinander“, sagt Trotter. Konflikt und Miteinander am Berg – das passt eben nicht zusammen.

In der Schweiz obliegt die Auslegung des Bundesgesetzes hinsichtlich der Wegenutzung per Fahrrad den Kantonen. Foto: Filip Zuan
In der Schweiz obliegt die Auslegung des Bundesgesetzes hinsichtlich der Wegenutzung per Fahrrad den Kantonen. Foto: Filip Zuan

In der Schweiz spricht man sich ganz klar und eindeutig für die Koexistenz der Bergsportler aus, Mountainbike inklusive: „Wir wollen die Koexistenz fördern, auf der Verständnisebene arbeiten. Auf bestehenden Wegen, nicht auf neuen. Dahingehend wollen wir sensibilisieren und damit Verbote vermeiden, auch in den vom SAC angebotenen Kursen“, sagt Rolf Sägesser, Fachleiter Ausbildung Sommer beim SAC und Mitverfasser des 2020 erschienenen Positionspapiers des SAC. Es gebe lokal oder situativ sicher die Notwendigkeit einer Zweiteilung der Nutzergruppen Radfahrer und Fußgänger am Berg. Dort müsse im Weg eine Entflechtung stattfinden, weil es nicht anders lösbar sei. Größte Zurückhaltung verlange der SAC jedoch beim beim bikefähigen Ausbau von Wanderwegen außerhalb touristischer Hotspots, denn dadurch könnten sie für Wandernde an Attraktivität verlieren, sagt Sägesser. Denn die Idee der Koexistenz ziehe sich im Schweizer Alpen-Club insgesamt durch: „Der Prozess bis zur Veröffentlichung dieser Position letztes Jahr hat lange gedauert. Und natürlich gibt es Gegenstimmen.“ Aber ohne diese Position könne der SAC nicht mitreden, sagt Sägesser, der mit Abstand der älteste offizielle Vertreter für den Mountainbike-Sport im Vergleich der vier Alpenvereine ist. „Wir kommen gar nicht darum herum um das Thema, wenn wir uns entwickeln wollen. Mit Entwickeln meine ich: Öffnen. Wir können nicht der traditionelle Verein bleiben mit den roten Socken, sondern es geht weiter.“

Auch Tourismusberater Cazin widerspricht dem Ideal der Verbote: „Der Mechanismus von Lenkung ist überall der gleiche: Ich muss ein Angebot schaffen, das für das Gros der Interessensgruppe attraktiv ist, dann bekomme ich sie dorthin, wo ich sie haben möchte.” Genauer gesagt: “Das muss man sich vorstellen, wie in der Normalverteilung, der Gauß’schen Glockenkurve: Da sammelt sich die Masse in der Mitte und an den Rändern wird es weniger, läuft aus. In den Bergen, auf Trails funktioniert das wunderbar: Durch ein passendes Angebot konzentrieren sich die Ströme, das entlastet aktiv andere Bereiche, weil diese für die meisten Nutzer fahrtechnisch zu schwierig sind oder zu weit oben am Berg oder sonst wie unattraktiv. Und ich bekomme ich sie von dort weg, wo ich sie nicht haben möchte“, erklärt Cazin.

Die eine Lösung, es wird sie nicht geben. Es erfordert eine differenzierte Betrachtungs- und Herangehensweise. Denn: Das Mountainbiken wird sich nicht mehr verlaufen. Es ist bereits alpine Kernsportart. Und es obliegt nicht der Macht der Alpenvereine oder anderer Gruppierungen zu entscheiden, ob das so ist oder nicht. Die Menschen fahren und werden weiterhin fahren. Allein eine konstruktive und kollektive Lösung des Konflikts sollte in den Fokus der Debatte gerückt werden. Das Sportklettern hatte einst ebenfalls einen schweren Stand, aber ist zum Glück noch immer da. Dabei verliefen die Diskussionen darum vor 30 Jahren sehr ähnlich …

Wegerecht – länderspezifische Situation

DEUTSCHLAND:

In Deutschland gelten von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Regelungen. Die vielleicht relevantesten, weil meist diskutierten betreffen Baden-Württemberg und Bayern – und die könnten im Kern unterschiedlicher nicht sein: In Baden-Württemberg gilt die so genannte Zwei-Meter-Regel, die das Befahren von Wegen schmäler als zwei Meter grundsätzlich untersagt. Das verlagert den MTB-Verkehr rein rechtlich auf Forst- und Schotterstraßen. Allerdings entspricht diese Form der Nutzung nicht im Ansatz dem, wie Mountainbiker ihren Sport ausüben bzw. ausüben möchten: 55% der Befragten einer Umfrage innerhalb der Mountainbike-fahrenden DAV-Mitglieder sind Trail-Nutzer, also explizit an Wegen schmäler als zwei Meter interessiert. In BaWü sind sie daher bislang auf gezielt legalisierte Trails, wie beispielsweise vom DAV Heilbronn mitgetragen, angewiesen, um zumindest Rechtssicherheit bei der Ausübung ihres Sports zu haben.

In Bayern gilt ein grundsätzliches Betretungsrecht der freien Natur, sofern dadurch keine Schäden im Naturraum entstehen oder übergeordnete Schutzgebietsverordnungen wie z.B. in Naturschutzgebieten oder Nationalparks verletzt werden. Das Befahren vorhandener Wege mit dem Fahrrad (Mountainbike) ist dabei grundsätzlich eingeschlossen, das haben Gerichte in Bayern in der Vergangenheit bestätigt.

Jedoch liegen den ausführenden Behörden im Freistaat seit Mitte Dezember 2020 neue Vollzugshinweise vor, wie die Gesetzgebung auszulegen ist: Die Neufassung sieht nun vor, dass die Beurteilung der Eignung eines Weges zum Befahren mit dem Bike nicht mehr auch Sache des Bergsportlers ist, sondern nurmehr alleinige Sache des Grundeigentümers. Den Grundeigentümern wird damit faktisch die Möglichkeit eingeräumt, dass er einen Weg nach, womöglich unkundiger, Beurteilung als „nicht geeignet“ sperren (lassen) kann. Dafür muss der Weg bei der zuständigen Naturschutzbehörde als ungeeignet angezeigt und dann von der Behörde überprüft werden. Problematisch an der Sache ist: Die Gesetzgebung als solche hat sich nicht verändert, nur deren Auslegung auf Seiten der Exekutive. Zudem ist der behördliche Aufwand zur notwendigen Prüfung sämtlicher Einzelfälle enorm. Vorher treten die Sperren schließlich nicht offiziell in Kraft.

ÖSTERREICH:

Grundsätzlich ist Mountainbiken bzw. Radfahren abseits von Straßen und Radwegen, also auf Forststraßen, Pfaden und Steigen bzw. Trails, in Österreich per Gesetz in allen Bundesländern verboten. Außer es liegt eine schriftliche und unterschriebene Zustimmung des Grundeigentümers vor. Das ist insbesondere überall dort der Fall, wo im touristischen Kontext Mountainbike-Strecken in Form von Bikeparks und Trail-Zentren angeboten werden. Alle nicht explizit ausgewiesenen Wege mit dem Mountainbike zu befahren, ist daher streng genommen illegal – und führt sogar das Thema Alpenüberquerung auf nicht befestigten Wegen in eine Grauzone: Sämtliche Übergänge, Überquerungen und Passhöhen klassischer Transalp-Routen führen über Schotterwege oder Pfade, jedoch wird deren Nutzung in den meisten Fällen toleriert.

Das folgt dem Prinzip ‚Wo kein Kläger, da kein Richter‘, aber ist als Infrastrukturvoraussetzung für eine alpine Kernsportart äußerst ungünstig. Auch in Österreich geben 61 % der fast 15.000 Teilnehmer einer ÖAV-Studie an, dass der Trail für sie elementarer Bestandteil einer Tour sei. Nach der Auffahrt über die Forststraße, wählen sie Trails für die Abfahrt. Ein gelungenes MTB-Modell, das als Vorbild für andere Regionen dienen kann, wurde in Tirol erarbeitet. Hier stehen 970 Kilometer überregionale Radwanderwege, 6000 Kilometer Mountainbikerouten und 140 Kilometer Singletrails durch Vertragsabschlüsse zur Verfügung. 

SCHWEIZ:

In der Schweiz obliegt die Auslegung des Bundesgesetzes hinsichtlich der Wegenutzung per Fahrrad den Kantonen. Einerseits über das Straßenverkehrsgesetz, andererseits über das Bundesgesetz für den Wald. Nach Annahme der „Veloinitiative“ durch das Volk, wurde das Fahrrad, einschließlich des Mountainbikens und einschließlich des Tourismus zur Aufgabe des Bundes erklärt. Seitdem werden nun Strukturen erschaffen, damit der Bund die Kantone unterstützt, um mit einem Zeithorizont von fünf Jahren u. a. ein Mountainbike Konzept zu entwickeln.

Aktuell positionieren sich die Kantone in Bezug auf das Mountainbiken sehr unterschiedlich: Im Kanton Appenzell etwa ist es überall dort verboten, wo nicht ausdrücklich gestattet. In Graubünden dagegen gelten die schweizweit freizügigsten Regelungen, da man dort bereits seit etlichen Jahren touristisch profitiert und davon ausgehend grundsätzlich eine friedliche Koexistenz verschiedener Nutzergruppen am Berg fördert. Generell gilt in der Schweiz: Als Mountainbiker umgeht man rechtliche Schwierigkeiten in den meisten Fällen, indem man – kantonübergreifend – auf jene Strecken verzichtet, die explizit mit Sperrungen beschildert sind.

SÜDTIROL:

Für Mountainbiker ist Südtirol von der rechtlichen Grundlage her äußerst attraktiv, denn zunächst ist alles legal befahrbar, was nicht explizit gesperrt ist. Allerdings können die Bürgermeister der einzelnen Gemeinden Wege sperren, jedoch erst nachdem sie in den Austausch mit allen beteiligten Parteien – vom Grundbesitzer angefangen, über die Nutzergruppen, den Naturschutz bis hin zu den Tourismusverbänden – getreten sind. Genauer: Im Frühjahr 2017 wurde die Vereinbarung über die Nutzung der Wanderwege zwischen dem Land Südtirol und allen Interessengruppen unterzeichnet. Diese Vereinbarung gibt in Zukunft auch die Rahmenbedingungen für die Mitnutzung durch Mountainbike vor. MTB-Routen können nur dann offiziell ausgewiesen, beschildert und beworben werden, wenn die Grundnutzungsvereinbarungen unterzeichnet sind, sowie die Wegehalter in den gesamten Prozess der Planung und Projektierung eingebunden sind.

Das klingt und ist grundsätzlich sehr positiv, weil das gemeinsame Gespräch mit allen Stakeholdern unumgänglich ist. Gleichzeitig torpediert selbst in einem vorgeschriebenen Austausch jegliches Fehlverhalten – von wem auch immer – eine konstruktive Lösung. Und die ist in Südtirol aufgrund des hohen Nutzungsdrucks auf die Berge, von Einheimischen und Gästen, besonders wichtig.


Erschienen in der
Ausgabe #116 (Herbst 21)

bergundsteigen 116 (herbst 2021) cover