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Skitourengruppe in den Livigno Alps, CH. Foto: Hendrik Morkel
29. Nov 2022 - 4 min Lesezeit

Schweiz: Neue Unterteilung der Gefahrenstufen im Lawinenbulletin mit + und –

3-, 3 oder 3+? Ab diesem Winter unterteilt das SLF die Gefahrenstufen im Lawinenbulletin feiner. Die neue Zwischenstufe gibt an, ob die Gefahr eher im unteren Bereich, etwa in der Mitte oder eher im oberen Bereich der Gefahrenstufe liegt. Anwenderinnen und Anwender erhalten damit eine zusätzliche Information für die Einschätzung des Risikos.

Was wird neu?

Das SLF unterteilt ab diesem Winter die Gefahrenstufen im Lawinenbulletin zusätzlich in Zwischenstufen. Die bisherigen fünf Gefahrenstufen bleiben dabei unverändert. Sie beschreiben die Lawinengefahr auf der Skala von „gering” (Stufe 1) bis „sehr gross” (Stufe 5). Ergänzt werden sie neu durch eine Angabe, ob die Gefahr eher im unteren Bereich (-), etwa in der Mitte (=) oder eher im oberen Bereich (+) der Gefahrenstufe liegt, was dem kontinuierlichen Verlauf der Lawinengefahr besser entspricht. Die Unterteilung erfolgt ab Stufe 2 und ausschliesslich für trockene Lawinen. Bereits bisher war diese Information implizit im Gefahrenbeschrieb enthalten; neu wird sie explizit angegeben. Dadurch wird die Interpretation des Lawinenbulletins vereinfacht.

Video der AvaLounge dazu:

Warum diese Änderung?

Der Wunsch, die Lawinengefahr genauer anzugeben, wird seit Jahren immer wieder ans SLF herangetragen. Insbesondere die Stufe 3 umfasst für Schneesporttreibende ein sehr breites Spektrum. Auch die Lawinenwarnerinnen und -warner haben schon länger das Bedürfnis, die Gefahr genauer angeben zu können. Mit der Einführung der Zwischenstufen können diese Wünsche nun erfüllt werden.

Im Lawinenbulletin wird angegeben, ob die Gefahr eher im unteren Bereich (-), etwa in der Mitte (=) oder eher im oberen Bereich (+) der Gefahrenstufe liegt. Screenshot: SLF

Warum nicht einfach eine zusätzliche Gefahrenstufe?

Zusätzliche Gefahrenstufen sind im internationalen Kontext nicht realisierbar und sie wären auch gar nicht sinnvoll. Lawinenwarner Kurt Winkler erläutert:

Ein Vorteil des neuen Systems ist, dass es Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung berücksichtigt.

Lawinenwarner Kurt Winkler

Das menschliche Hirn könne nämlich maximal fünf bis sieben definierte Klassen unterscheiden. Das sind weiterhin die Gefahrenstufen, zu denen es klare Definitionen gibt. Diese Einteilung erfolgt durch logisches – und damit langsames – Denken. Zusätzlich sind wir aber problemlos in der Lage innerhalb der Klassen eine relative Rangfolge festzulegen. Eine solche Unterteilung erfolgt intuitiv und somit schnell.

Funktioniert die Neuerung in der Praxis?

Die Lawinenwarnung des SLF hat bereits während sechs Wintern sämtlichen Gefahreneinschätzungen auch eine Zwischenstufe zugeordnet, diese aber nicht publiziert. Um die Neuerung zu überprüfen, wurde dieser grosse Datensatz statistisch ausgewertet. Die Analyse zeigte klar, dass die Abweichungen zwischen der im Lawinenbulletin prognostizierten Gefahrenstufe und den Rückmeldungen aus dem Gelände kleiner sind, wenn die Zwischenstufe berücksichtigt wird.

Ausserdem zeigte sich ein klarer Zusammenhang mit objektiv messbaren lawinenbildenden Faktoren. Von einer Zwischenstufe zur nächsthöheren nimmt zum Beispiel die Häufigkeit von Wumm-Geräuschen und von personenausgelösten Lawinen zu, während sich umgekehrt die Resultate von Stabilitätstests verschlechtern. Da der Versuchsbetrieb auch zeigte, dass die Unterteilung bei nassen Lawinen nicht funktioniert, werden in Nassschneesituationen keine Zwischenstufen angegeben.

Bei Anwendung der Grafischen Reduktionsmethode können die Zwischenstufen berücksichtigt werden, indem man auf der linken bzw. rechten Seite der jeweiligen Gefahrenstufe ins Diagramm einsteigt und dann den diagonalen Farbcode verwendet. Grafik: SLF

Für wen sind die Zwischenstufen und wie nutzt man sie sinnvoll?

Jede und jeder kann von der zusätzlichen Information profitieren. „Wer den gefährlichsten Situationen eines Winters aus dem Weg gehen will, kann zum Beispiel ganz einfach die Gebiete mit Gefahrenstufe 3+ oder höher meiden und stattdessen eine Region wählen, wo die Gefahr tiefer ist, oder an dem Tag ganz verzichten“, erklärt Kurt Winkler. Die Zwischenstufen können aber auch quantitativ verwendet werden. So berücksichtigt die Berechnung des Lawinenrisikos auf skitourenguru.ch die Zwischenstufen.

Auch bei der Anwendung der grafischen Reduktionsmethode sind die Zwischenstufen nützlich. Für eine grobe Abschätzung kann dort weiterhin die Gefahrenstufe verwendet werden. Alternativ kann man aufgrund der Zwischenstufe auf der linken oder rechten Seite der jeweiligen Gefahrenstufe ins Diagramm einsteigen und dann den diagonalen Farbcode verwenden.

Kann man auch darauf verzichten, die neuen Zwischenstufen anzuwenden?

Die Auswertungen zeigen, dass mit den Zwischenstufen die Gefahr im Durchschnitt besser erfasst wird, obwohl es, wie bei jeder Prognose, auch Fehleinschätzungen geben kann. Wird die Zwischenstufe ausser Acht gelassen, verzichtet man auf eine zusätzliche Information, um das Risiko besser einzuschätzen.  „Wichtig ist aber auf jeden Fall, die Gefahrenstufe weiterhin ernst zu nehmen”, betont Kurt Winkler abschliessend.

„Eine 3- ist eben weiterhin eine Stufe 3, bedeutet also „erhebliche Lawinengefahr“, und darf nicht zu einem 2er schöngeredet werden.”

Kurt Winkler