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Friends. Foto: Simon Schöpf
von Andi Dick
18. Okt 2023 - 19 min Lesezeit

Recycling und Nachhaltigkeit für Bergsportausrüstung – Die Hersteller (Teil III)

Die Hersteller von Bergsportausrüstung haben die Möglichkeit, den Materialkreislauf zu schließen. Allerdings sind sie für ihre Produktion auf (Recycling-)Rohstoffe angewiesen - und müssen letztlich ihre Kunden überzeugen. Zudem gilt: Nachhaltigkeit ist mehr als „nur“ Kreislaufwirtschaft.

Wie kann man Kletterausrüstung – insbesondere Hardware – richtig recyceln? Gemeinsam mit der Panorama-Redaktion des Deutschen Alpenvereins haben wir den Status Quo zu diesem Thema zusammengefasst: Dieser Beitrag von bergundsteigen-Autor Andi Dick ist der dritte und letzte Teil unserer Recycling-Serie.

Artikelserie: Recycling und Nachhaltigkeit für Bergsportausrüstung

Teil I: Kreislaufwirtschaft ist eine der drängendsten Aufgaben unserer Zeit. Was können wir selbst als Nutzerinnen und Nutzer von Bergsportausrüstung dazu beitragen?

Teil II: Wie gut sind die Systeme zum Recycling aufgestellt – und wie sieht das insbesondere für Bergsportprodukte aus?

Don’t let perfect be the enemy of good!

Hilke Patzwall, Nachhaltigkeitsmanagerin Vaude

Diesen Leitsatz gibt Hilke Patzwall, Nachhaltigkeitsmanagerin bei Vaude, zum Thema Recycling: „Streng dich an, gute Projekte zu machen, und lass deinen Elan nicht ausbremsen vom Bewusstsein, dass es immer noch besser gehen könnte.“ Der DAV-Partner Vaude bekommt regelmäßig Preise für seine Nachhaltigkeitsbemühungen und hat das Thema im Outdoormarkt angetrieben – Patzwall hat dazu beigetragen. Sie sagt: „Um alle Kunststoffe recyceln zu können, brauchst du ein Netz an Playern, die mit ihrer gesamten Innovationskraft zusammenarbeiten wollen – und die richtigen politischen Rahmenbedingungen. Aber vor allem muss man sich trauen, etwas zu tun.“

Dieser Wunsch, etwas zu tun, was in die richtige Richtung führt, wird in der Outdoorbranche zunehmend engagiert umgesetzt.

Dabei gibt es von „Recycling“ bis „Nachhaltigkeit“ vielerlei Punkte, wo man ansetzen kann. Beispiele einiger Firmen, die für die Recherche zu diesem Beitrag befragt wurden, sollen exemplarisch stehen für das, was machbar und sinnvoll ist – und auch von anderen getan wird. Natürlich gibt es auch Werbung mit Aktionen, die man bestenfalls als mäßig sinnvoll, schlimmstenfalls als Greenwashing einordnen mag. Dieser Beitrag will aber nicht lamentieren, sondern best practice zeigen – und worauf man bei der Beurteilung schauen kann.

Recycling-Rohstoffe schließen den Kreis

Recycling – besser: Kreislaufwirtschaft – ist gerade für produzierende Firmen ein zentraler Punkt, wenn sie „nachhaltiger“ werden wollen. Patagonia etwa schreibt, dass 95-97 Prozent seiner Emissionen aus der Lieferkette kommen, wobei die Rohstoffe alleine 86 Prozent ausmachen.

Werden diese Rohstoffe nicht „frisch“ gefördert (Kunststoff aus Erdöl, Baumwolle aus Agrarindustrie, Metall aus Bergwerken usw.), sondern aus „Abfällen“ recycelt, lassen sich Emissionen und Ressourcenverbrauch markant mindern.

Und wenn die Produkte dann auch weiter recyclingfähig sind und tatsächlich recycelt werden, dreht sich der Engelskreis noch länger.

Patagonia hat dabei schon einiges erreicht: 72 Prozent der Kollektion bestünden aus recycelten Materialien, erklärt der US-Nachhaltigkeitspionier. Darunter sind Projekte wie NetPlus, das Fischernetze zu Garnen recycelt, oder ein T-Shirt-Rücknahmeprogramm zwecks Baumwollrecycling. Vaude hat sich für 2024 das Ziel gesetzt, dass 90 Prozent seiner Produkte mindestens zur Hälfte aus recyceltem oder biobasiertem Material bestehen sollen. Derzeit wird beispielsweise recyceltes Polyestergarn für Bekleidung verwendet, Polypropylen aus Joghurtbechern wird zu Rückenplatten für Fahrradtaschen.

Die Vaude-Fahrradtasche ReCycle Shopper ist komplett aus recycelten Stoffen hergestellt. Foto: Vaude
Die Vaude-Fahrradtasche ReCycle Shopper ist komplett aus recycelten Stoffen hergestellt. Foto: Vaude

Für Klamotten und nicht sicherheitsrelevante Produkte klappt Kunststoffrecycling schon ganz gut, trotzdem klagt Hilke Patzwall: „Das Ziel ist, Textilien zu Textilien zu recyceln! Derzeit fehlt es dafür noch an allen Enden, obwohl schon seit Jahren intensiv daran gearbeitet wird. Ökologisch unsinnigerweise ist es leider auch noch immer so, dass recycelte Materialien in der Regel deutlich teurer sind als neue.“ Das gelte auch für Verpackungen; dazu später mehr.

PSA: Knackpunkt Qualität

Schon im zweiten Beitrag dieser Serie wurde angesprochen, dass Rohstoffe für „persönliche Schutzausrüstung“ (PSA, z.B. Seile, Gurte, Helme) besondere Anforderungen erfüllen müssen. Und Christoph Driever von Petzl seufzt bei diesem Thema: „Unser Schwerpunkt wird auf recycelten Rohstoffen liegen. Aber die sind bisher nicht in ausreichender PSA-Qualität zu bekommen.“ Schon Stirnlampen-Gehäuse oder Gurte aus Recyclingmaterial zu entwickeln, dauere Jahre; für Helmschalen verwendet Petzl teilweise recyceltes ABS. Alle Nicht-PSA-Produkte (Rucksäcke, Chalkbags,…) will Petzl ab 2024 aus recyceltem Polyester herstellen.

Phil Westenberger, Product Manager bei Edelrid, gibt zu, dass ihn bei der sinnvollen Nutzung von Recyclingmaterial die technische Lösung der Aufgabe fast mehr reize als der Nachhaltigkeitsgewinn – nun: Hauptsache, es klappt. So besteht der Helm Zodiac 3R aus Recycling-Schaumstoff, hat eine PA-Schale aus dem Granulat von Seilresten und Gurte aus recycliertem Polyester.

Der Helm Zodiac 3R besteht aus Recycling-Schaumstoff, hat eine PA-Schale aus dem Granulat von Seilresten und Gurte aus recycliertem Polyester. Foto: Edelrid
Der Helm Zodiac 3R besteht aus Recycling-Schaumstoff, hat eine PA-Schale aus dem Granulat von Seilresten und Gurte aus recycliertem Polyester. Foto: Edelrid

Aus eingeschmolzenen Seilresten wird auch ein Eisschraubenkarabiner gespritzt. Und recyceltes Polyester – wir erinnern uns an Teil II dieser Serie: es ist leichter zu recyclieren als Polyamid (aus dem dynamische Bergseile bestehen) – nutzt Edelrid schon für Bandschlingen, Klettergurte und als Mantel der 11,7- und 12,5-mm-Statikseile Bucco und Jacamar.

„Neuartige“ Rohstoffe: eine Lösung?

Ein Ruhetag beim Frankenjura-Kletterurlaub gibt der Recherche neuen Input: Im Neuen Museum Nürnberg gibt es eine Ausstellung zu möglichen Rohstoffen und Recyclingverfahren der Zukunft – faszinierend, mit welcher Kreativität die Wissenschaft am Forschen und Entwickeln ist.

Da gibt es zum einen Ansätze zum Recyceln „schwieriger“ Stoffe. Etwa das „Airlaid-Vlies“ aus Textilstaub und kurzen Fasern, die sonst nicht wiederverwertet werden können. Oder die mikrobielle Zellulose„Innocell“, erzeugt in Bioreaktoren durch Fermentation landwirtschaftlicher Lebensmittelabfälle; aus der Zellulose lässt sich Garn erzeugen.

Andere Projekte versuchen, „klassische“ Rohstoffe durch biobasierte zu ersetzen: Die Lederalternative „Mirum“ entsteht aus Naturkautschuk, Reisspelzen oder Pflanzenölen aus regenerativer Landwirtschaft. Der Prototyp „MyHelmet“ ist ein Fahrradhelm, bei dem ein Pilzmycel in einer Hanfstruktur wächst und einen stoßdämpfenden Schaum bildet. Eine andere Forschungsgruppe erzeugt aus Pilzmycel schalldämmende Wandpaneele.

Und es gibt neue Ansätze für notorische Fragen: BMW etwa präsentiert die Studie eines Autositzes aus Biomaterial, Schaumstoff-Abfällen und pflanzenbasiertem Holzersatz; rohstoffeffizient und mit langer Lebensdauer. Das Leuchtprojekt „Araneo“ aus biologisch abbaubarem Kunststoff mit Strontiumaluminat lädt sich im Tageslicht auf und leuchtet dann bei Nacht. Und eine Künstlerin zeigt Bausteine aus Wüstensand, die Beton ersetzen können sollen (die Zementindustrie verursacht 8 Prozent der globalen Emissionen); anfassen darf man sie allerdings nicht.

Spannende Ideen und Startups; ob eines davon das Potenzial zum globalen Game Changer hat? Auch in der Outdoorbranche werden seit einigen Jahren immer wieder neue biobasierte Textilfasern beworben: aus Hanf, Maisstärke, gar Kaffeesatz – wozu Bernd Kullmann noch zu seiner Zeit als Deuter-Geschäftsführer sagte:

Ich will einen Rucksack, der lange hält, nicht einen den ich hinterher essen kann.

Alles nur ein Hype? Immerhin hat auch Edelrid schon eine biobasierte Dyneemaschlinge herausgebracht, deren Kunststoff aus Abfällen der Zellstoff- und Holzindustrie entstand. Patagonia arbeitet seit 1996 zumindest mit Biobaumwolle, also ohne massiven Einsatz von Kunstdünger und Spritzmitteln. Und auch im Vaude-Angebot findet man noch alternative Kunststoffe. Doch Hilke Patzwall relativiert: „Man kann Kunstfasern aus Mais oder Zuckerrohr herstellen, aber bei umfassender Bilanzierung sind die nicht unbedingt besser. Biobasierte Kunststoffe waren ein Riesenhype, der flaut zum Glück wieder ab. Denn ganzheitlich ökologisch betrachtet ist das oft ein Trugschluss. Der Blick nur auf CO2 greift zu kurz. Hier ist noch einiges an Forschung und Entwicklung erforderlich.“ Und Mais für Biokunststoffe sei „in der Regel Genmais“, merkt sie an.

Werden Rohstoffe auf Feldern erzeugt, sollten sie zumindest ohne die Schwächen der Intensivlandwirtschaft (Dünger, Gift) auskommen – und trotzdem bleibt die Frage, ob die Anbauflächen nicht für Lebensmittel oder biodiverse Wiesen sinnvoller genutzt wären. Ähnlich wie bei Biodiesel und Biogas gilt hier, dass nicht Tank oder Textil den Teller ausbooten dürfen – „gut“ werden sie erst, wenn sie aus Abfall- oder Reststoffen hergestellt werden.

Nachhaltigkeit braucht mehr

Diese erweiterte Sichtweise führt zum Begriff Nachhaltigkeit; wenige Vokabeln werden so missbräuchlich verwendet wie diese. Zur Erinnerung: Der Begriff entstand in der Forstwirtschaft und besagte, dass man nicht mehr Holz ernten solle als nachwächst. Heute verlangt nachhaltiges Verhalten, dass ökologisch, sozial und wirtschaftlich nicht über die Stränge geschlagen wird.

Nachhaltigkeit, die mehr als Greenwashing sein will, muss eine umfassende Perspektive haben. Grafik: Andi Dick
Nachhaltigkeit, die mehr als Greenwashing sein will, muss eine umfassende Perspektive haben.

Ein indigener Amerikaner hat das so ausgedrückt: „Mein Volk lebt auf diesem Land seit 10.000 Jahren, im Einklang mit der Natur.“ Wer sich einer derart langen Zeitperspektive verpflichtet sieht wie die „Indianer“ (sie betrachten sich als „zukünftige Ahnen“, auf die ihre Enkel stolz sein können sollen), der wird auch den Spruch auf einer Schweizer Toilette verstehen: „Sie sauber vorfinden: eine Freude; sie sauber hinterlassen: eine Pflicht“. Wenn man das wiederum auf die Erde bezieht, kann sich Nachhaltigkeit nicht darin erschöpfen, dass sich eine Firma ein „klimaneutral“-Siegel kauft, dessen CO2-Kompensation im angeblichen Schutz eines Waldes vor Abholzung besteht – den es womöglich nicht einmal gibt oder der dann halt zehn Jahre später trotzdem gerodet wird.

Patagonia verfolgt hier seit Jahren besonders weit gefasste Ansätze. Dem Firmengründer Yvon Chouinard, Bergpionier vom Yosemite bis Patagonien, war der Schutz der Erde als Lebensraum schon immer ein Anliegen; sein Konzern organisierte ein Wildflussprojekt in Albanien und spendete ein Prozent des Umsatzes „for the planet“, an Umweltorganisationen. 2022 gründete Chouinard die gemeinnützige Stiftung Holdfast Collective und übertrug ihr die Mehrheit der Firmenaktien; alle Gewinne sollen nun in den Kampf gegen den Klimawandel fließen – 100 Millionen Dollar waren das 2022.

Aber auch im Detail der Produktion kann man an vielen Hebelchen ziehen. So bezieht Patagonia (wie viele andere Anbieter) seine Daunen aus Quellen, die das Tierwohl beachten, und 80 Prozent seiner Rohstoffe sind „Fair Trade Zertifiziert“. Bei Petzl müssen alle Lieferanten einen firmeneigenen Verhaltenskodex nach Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation IAO einhalten. Bend Kullmann hat in seiner Deuter-Zeit mit den asiatischen Partnerfirmen eng und langfristig zusammengearbeitet, auf solide Finanzen und ordentliche Löhne geachtet und darauf, dass nicht ungesund viele Überstunden geleistet wurden.

Ein Wendepunkt für Nachhaltigkeit in der Textilindustrie war 2013 der Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesh:

Obwohl in dem schlecht gebauten Haus Risse auftraten, musste gearbeitet werden; 1135 Menschen starben, 2438 wurden verletzt.

Der Unfall, der vor allem mit der maximal profitorientierten Fast-Fashion-Industrie verbunden wird, rückte die „corporate social responsibility“ (CSR, unternehmerische Sozialverantwortung) ins Bewusstsein der Öffentlichkeit: soziale Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Lieferkette. Heute helfen Siegel wie Fairwear, Fairtrade oder GOTS bei der Kaufentscheidung für solche Produkte. Andere Siegel zertifizieren naturverträgliche Rohstoffe, Tierwohl, umweltschonende Herstellungsprozesse und vieles weitere. Teils sind sie staatlich fundiert, teils Eigensiegel von Firmen; über ihre Aussagekraft und Verlässlichkeit informiert die Website siegelklarheit.de.

Zu übergeordneten Nachhaltigkeitsmaßnahmen kann beispielsweise auch die autarke Energieversorgung einer Firma mit Solarstrom gehören oder die Energieeffizienz im Gebäude (Dämmung, Beleuchtung) und in Herstellungsprozessen (Abwärmenutzung). Das kann durchaus wirksam sein, aber ähnlich komplex zu kommunizieren wie die umweltbewusste Gestaltung der Prozesse (für die es immerhin das bluesign-Zertifikat gibt). So spart die eigene Chemikalienaufbereitung Rohstoffe und verhindert Umweltschäden, lässt sich aber kaum als Label verkaufen. Leichter verständlich ist die Imprägnierung des Edelrid-Seils Swift Eco Dry 8,9 mm, die den UIAA Dry Standard erfüllt, ohne die berüchtigten PFC zu verwenden.

Von Beginn an besser werden

Langlebig und funktional

Fokussieren wir von der übergreifenden Nachhaltigkeit wieder auf die Ressourceneffizienz, zu der Recycling und Kreislaufwirtschaft beitragen. Dieses Stichwort prägt idealerweise den Entwicklungsprozess von Bergsportausrüstung von Anfang an. Wie es Christoph Driever von Petzl sagt: „Bevor ein Produkt geplant wird, achtet man in jüngerer Zeit verstärkt auf die Konzeption für Langlebigkeit, Reparierbarkeit, Recyclierbarkeit – und auf wenig Verpackungsaufwand. Das nachhaltigste Produkt ist für uns das, was am längsten hält.“ Dabei verweist er auf das kaum verwüstliche Sicherungsgerät Grigri und auf eine Retourenquote, die unter 0,3% liege. Das Ziel „lange Nutzungsdauer“ hat auch Edelrid motiviert, Karabiner mit Edelstahleinsätzen zu versehen oder die Sicherungsgeräte der Jul-Familie aus Edelstahl (mit Kunststoff-Applikationen) herzustellen.

Zum Thema Langlebigkeit: der Bulletproof Screw Eco von Edelrid hat einen Stahleinsatz, der den Abrieb verringert; die Farbvariante „Eco“ verzichtet zudem auf Eloxierung. Foto: Edelrid
Zum Thema Langlebigkeit: der Bulletproof Screw Eco von Edelrid hat einen Stahleinsatz, der den Abrieb verringert; die Farbvariante „Eco“ verzichtet zudem auf Eloxierung. Foto: Edelrid

Auch Patagonia hat eine Lebensdauer-Story: Die Bestseller-Jacke Torrentshell wurde eingestellt, weil der 2,5-Lagen-Stoff delaminierte, also sich auflöste, und erst einige Zeit später in robuster 3-Lagen-Qualität wieder auf den Markt gebracht.

Dass ein Ausrüstungsstück seine Funktion auch zuverlässig erfüllen soll, erfreulich zu handhaben ist und im „look and feel“ das Zeug zum „Lieblingsteil“ hat, sollte ja eigentlich selbstverständlich sein. Denn was man gerne nutzt, nutzt man auch so lange wie möglich, pflegt und repariert es. Hier wäre bei einigen Marktteilnehmern der Outdoorindustrie noch Luft nach oben drin: Der Knowhow-Transfer klappt nicht immer, wenn das Personal wechselt; bewährte Konstruktionen werden verändert, Produkte vom Markt genommen, um „Neuheiten“ zu propagieren; hippe Accessoires werden verbaut, deren Handling nicht wirklich ein Fortschritt ist. Hier bleibt auch nach den Gesprächen mit den Herstellern noch der aus Praxiserfahrungen gewachsene Wunsch, das Rad nicht allzu oft neu zu erfinden und vor allem keine eckigen Versionen auszuprobieren.

Recyclingtauglich

Ein zweischneidiger Ansatz ist das recyclingfreundliche Design von Bergausrüstung. Einerseits hat der Blick auf die industriellen Recyclingsysteme (s. Beitrag Teil II dieser Serie) gezeigt, dass Stoffe, die miteinander verbunden sind, im Sortier- und Recyclingprozess rausfallen. Andererseits sind solide Verbindungen gerade im Bergsport oft wichtig. Das gilt schon für Bekleidung, wie Vaude schreibt: „ Eine Outdoor-Jacke, die nicht wasser- und winddicht ist, oder eine Fahrradhose, die nicht abriebfest ist, haben für Outdoor-Fans keinen Nutzen. Daher ist meist ein Materialmix notwendig, der die besten Eigenschaften verschiedener Materialien in einem Produkt kombiniert.“ Vaude versucht ab Sommer 2024 in der Kollektion „Rethink“, Kleidung und Rucksäcke möglichst aus Monokunststoff herzustellen, beispielsweise alle Bauteile aus PET zu fertigen. Für den PSA-Spezialisten Petzl gilt das Problem erst recht – Christoph Driever: „Bisher waren Funktion, Ergonomie und Haltbarkeit wichtiger. Ein Rucksack muss halten und nicht schnell in Einzelteile zerlegbar sein.“ Er berichtet von einem Canyoninghelm, der nicht erst am Lebensende, sondern zwecks Reinigung im Verleih leicht auseinanderzunehmen war: Das Modell ging schneller kaputt und hatte keinen Erfolg.

Ganz radikal denkt das Thema Recyclierbarkeit das Startup Gemsjäger Ski. Normale Ski sind nach Gebrauch Sondermüll, ein unlösbarer Materialmix aus Glasfasern, Epoxidharz, Holzkern, Stahlkanten, Kunststoff-Lauffläche und anderem. Maxi Gemsjäger und seine Kumpels Nicolas und Mogli haben Ski aus 100% Holz entwickelt, die aufgeschraubten Stahlkanten sind leicht entfernbar. Die zweite Prototypenserie soll im Winter 2023/24 getestet werden; die Macher geben zu, dass die Ski „nicht so gut gleiten“, aber sie arbeiteten derzeit an alternativen Laufflächen. Zudem versprechen sie, für jeden verkauften Ski einen Baum zu pflanzen und 3 Prozent vom Umsatz an Umweltprojekte zu spenden. Auch nur eine kleine Initiative in einem Riesenmarkt, aber immerhin…

Die junge Firma Gemsjäger Ski entwickelt Ski aus purem Holz mit aufgeschraubten Stahlkanten. Foto: Gemsjäger Ski
Die junge Firma Gemsjäger Ski entwickelt Ski aus purem Holz mit aufgeschraubten Stahlkanten. Foto: Gemsjäger Ski

Reste vermeiden, zumindest nutzen

Wer schon einmal Weihnachtskekse ausgestochen hat, erinnert sich vielleicht an die Freude, möglichst viele Kekse auf dem ausgewellten Teig unterzubringen. Und hat natürlich den Rest anschließend recycelt, also nochmal ausgewellt, bis es zuletzt für keinen Keks mehr reichte. Wenn man bedenkt, dass die Ernährung fast 20 Prozent der durchschnittlichen persönlichen Emissionen ausmacht und dass ein Viertel davon durch Wegwerfen verursacht wird, ist „passgenau einkaufen und kochen, Reste aufwärmen“ eine wichtige Maxime fürs Privatleben.

Textilien lassen sich natürlich nicht so leicht zusammenkneten und auswallen wie Keksteig; deshalb ist ein effizientes Schnittmuster hier ein Königsweg zum Ressourcensparen. Christoph Driever von Petzl berichtet, dass ab 2024 Chalkbeutel so geschnitten werden, dass möglichst kein Verschnitt entsteht. Phil Westenberger von Edelrid ist stolz auf den Seilsack Caddy, der sogar „mit null Verschnitt in der Produktion“ brilliert. Restmaterialien aus weniger perfekt geschnittenen Textilprodukten nutzt Edelrid für das Modell Drone. Im Seil Parrot 9,8 mm werden Garnreste, die bei der Produktion übrigbleiben, direkt verwendet, also ohne den Recyclingprozess des Einschmelzens und Neuspinnens, der mit dem Keksteig-Neukneten vergleichbar wäre.

Wie viel Verpackung muss sein?

Die Recyclingfrage betrifft nicht nur Produkte. Was wir neu kaufen, müssen wir meist aus einer mehr oder weniger aufwändigen Verpackung befreien – die natürlich auch im Kreislauf geführt werden sollte.

Noch schlimmer: Textilien werden oft mehrmals verpackt, für den Transport zwischen unterschiedlichen Produktionsstufen wie Spinnen, Weben, Nähen, Bedrucken, Veredeln.

Die Verpackung ist ein notwendiger Schutz für das Produkt, etwa beim Schiffstransport aus den meist asiatischen Fabriken, und Hilke Patzwall sagt dazu: „momentan geht’s nicht ohne Kunststoff“. Einsparungen seien aber möglich, wenn man die Bekleidung faltet oder rollt und kleinere oder dünnere Tüten verwendet. Der Branchenverband European Outdoor Group hat „Poly Bag Standards“ entwickelt, um Müll durch Kunststoff-Verpackungen zu reduzieren und das Material in den Kreislauf zu bringen. Dringend notwendig, wenn man liest, dass 95 Prozent aller Plastikverpackungen nicht recycelt oder anderweitig weiterverwendet werden. Auch Händler freuen sich, wenn sie nach einer Lieferung nicht gleich einen ganzen Container an Papier und Plastik zum Wertstoffhof bringen müssen – oder zumindest Kunststofftüten zur nochmaligen Verwendung an die Hersteller schicken können.

Bezüglich Verpackung hat Hardware wie Skistiefel, Klemmkeile oder das Smartphone den Vorteil, selbst hart zu sein, so dass sich zunehmend Kartonverpackungen bewähren. Petzl etwa setzt angesichts der Schwierigkeiten mit Recyclingrohstoff für PSA auf die Reduktion von Verpackung, um seine Umweltziele zu erreichen. So wurde die Verpackungsmenge alleine für Stirnlampen von 56 auf 4 Tonnen verringert; Firmenziele sind, bis 2025 kein Einwegplastik für Verpackungen zu verwenden, 50 Prozent der Kartons und Paletten wiederzuverwenden und 80 Prozent der Abfälle wiederzuverwenden. Und Vaude stellt alle Folientüten auf 100 Prozent Recyclingmaterial um.

Reparatur: Alle machen mit

Dass das beste Recycling eines ist, das erst nach einer möglichst langen Lebens- und Nutzungsdauer des Ausrüstungsstücks nötig wird, und dass dazu achtsame Nutzung, richtige Pflege und Reparatur gehören, wurde schon im ersten Beitrag dieser Serie betont. Doch gerade beim Thema Reparatur ist nicht nur unsere Verantwortung als Nutzende gefragt: Hier können Firmen wichtige Angebote machen. Mag sein, dass sie erst später ein neues Produkt verkaufen, wenn sie alte reparieren – aber wer wird noch einmal einen Friend bei der Firma kaufen, die den Austausch der eingenähten Schlinge verweigert hat? Der Erfolg von Firmen wie Deuter beruhte sicher auch auf der Gewissheit, dass ein Riss im Rucksack flott und zum fairen Preis repariert wurde. Vaude bietet über den Reparaturservice hinaus ein Repaircafe in seinem Werksverkauf und zeigt in Webvideos (auch auf der Website ifixit.de), wie man Standardreparaturen selbst durchführen kann. Mit dem „Reparaturindex“ bewertet Vaude, wie leicht Reparaturen möglich sind, und versucht diesen bei Weiterentwicklungen zu verbessern.

Auch Birgit Grossmann, „Community Marketing & Impact Manager Central Europe“ bei Patagonia, unterstreicht den Wert des Reparierens:

Die Branche muss aufhören, z.B. im Rahmen von Black Friday Aktionen mehr und mehr Produkte verkaufen zu wollen. Stattdessen sollten sie selbst Second Hand Reparaturen anbieten.

Birgit Grossmann, Patagonia Community Marketing & Impact Manager Central Europe

In seinen Stores in Innsbruck, Berlin und München betreibt Patagonia schon Repairstationen. Der Sohlenhersteller Vibram hat gemeinsam mit der Firma NNormal-Schuhe ein „Repairability Program“ aufgelegt: Vibram-Schuster werden ausgebildet, um Schuhe zu reparieren und neu zu besohlen. Auch Petzl plant Schulungen für Händler, die Reparaturen anbieten möchten; die Original-Ersatzteile dafür liefert der Hersteller. Und zumindest für den Hallen-Kletterschuh, der nicht die allerhöchste Performance braucht, könnte man mal eines der vielen Wiederbesohlungsangebote ausprobieren – ob beim kleinen Schuster vor Ort (oder in Arco), übers Internet oder über den Sammel-Container in der heimischen Halle.

Im „Repairability Programm“ von Vibram und NNormal Schuhe werden Schuster ausgebildet, Schuhe zu reparieren und neu zu besohlen. Foto: Vibram
Im „Repairability Programm“ von Vibram und NNormal Schuhe werden Schuster ausgebildet, Schuhe zu reparieren und neu zu besohlen. Foto: Vibram

Produktservice statt Verkauf?

„Nutzen statt Besitzen“ ist eine gute Maxime zur Ressourcenschonung – sharing economy auf neudeutsch. Ausgerechnet beim „heiligen Blechle“, dem Auto, funktioniert das teilweise schon ziemlich gut, wie einige Carsharing-Anbieter beweisen. Könnte das auch für Bergausrüstung funktionieren und was können Hersteller und Handel dazu beitragen?

Wieder können sie vor allem für Dinge, die nicht sicherheitsrelevant und verschleißanfällig sind, Angebote machen. Das versuchen etwa die Handelskette Globetrotter oder wieder einmal Vaude (rent.vaude.com). Bei den teuren und schnellebigen Alpinskiern gehen viele Menschen schon dazu über, für den einmal jährlichen Pistenurlaub einfach das neueste Modell auszuleihen, statt die Latten das ganze Jahr im Keller zu haben; die Leihski sind dann nach einer Verleihsaison ausgiebig genutzt. Beim Seil würde man sich bestimmt auch über ein regelmäßiges, geschmeidiges Neuexemplar freuen – nur: freut sich der dritte oder fünfte Nutzer auch noch? Oder man selbst, wenn man Nummer drei oder fünf ist? Und wie wird die Performance sichergestellt?

Sicher unterscheiden sich Ausrüstungsstücke in ihrer Eignung für Verleih oder Secondhand: Zelte gehen besser als Unterhosen. Oft braucht es aber auch nur ein bisschen Mut von Verbraucherseite, die Bereitschaft, sich auf Veränderung einzulassen, mal etwas auszuprobieren. Wenn die gesellschaftlichen Geleise geradeaus zeigen, auf Wachstum, Besitz und Wegwerfen, muss man „out of the box“ springen, um den Dreh zur Kreislaufwirtschaft zu kriegen.

Hat Christoph Driever recht mit seinem Verdacht? „Die Verbraucher wollen ein Umwelt-Wellbeing mitkaufen, die eigene Verantwortung für Nutzung, Pflege, Reparatur und gute Entsorgung wird ignoriert – mit dem „richtigen“ Kauf alleine soll schon der Fußabdruck minimal sein.“ Oder kommt die Zukunft zumindest mit der neuen Generation? So hat der Händler Bergzeit 2023 in seiner Re-Use-Studie 1407 Antworten ausgewertet und zumindest eine große Akzeptanz für Secondhand festgestellt: „Mit 57 Prozent kauft und verkauft mehr als jeder zweite Befragte unter 20 Jahren seine Bergsportprodukte über Online-Plattformen.“

Wir Kunden müssen mitspielen, damit sich Kreise schließen, die Hersteller haben ihren Anteil beizutragen und das System muss sich optimieren. Da kann man Hilke Patzwall von Vaude nur recht geben mit ihrem bescheidenen und gleichzeitig anspruchsvollen Wunsch: „Wir dürfen die Verantwortung nicht abwälzen auf einzelne Seiten; alle sind gefragt, zusammenzuarbeiten für funktionierende Kreislaufsysteme. Es sollte logistisch so einfach wie möglich gemacht werden, dass man Sachen nicht in den Restmüll gibt.“