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27. Jun 2022 - 9 min Lesezeit

Tourengruppen mit Ski & Snowboard: Ein Teambuildingversuch

Ski und Snowboards gemeinsam in einer Gruppe. Sicher, genussvoll und konfliktlos – wie soll das funktionieren? Im ersten Teil der Artikelserie wurden Tourenauswahl und -planung besprochen sowie Tipps und Tricks für den Aufstieg vorgestellt. Der zweite und letzte Teil dreht sich um die Abfahrt und darum, wie sich beide Seiten dabei unterstützen können.

Zum ersten Teil der Serie.


In tief verschneiten Hängen zeigen Snowboards ihre Stärken: Lange Radien, hohe Geschwindigkeit, das Brett schwimmt auf wie ein Surfboard in der Welle. Aber wie sieht es bei problematischen Stellen aus? Wie können Querungen und Flachstücke gemeistert werden? Wie kann sich die Fahrgemeinschaft aus Skiern und Snowboards dabei gegenseitig unterstützen? Ob im Touren- oder im Variantenbereich: Es ergeben sich einige Fragen, wie die Abfahrt einer gemischten Gruppe organisiert werden kann. Noch mehr als im Aufstieg sind die hier vorgestellten Methoden, Tipps und Tricks keine allgemeingültigen Empfehlungen. Vielmehr sind sie als ein Werkzeugkasten zu verstehen, aus dem man je nach Ausgangslage und Ziel die passenden Werkzeuge auswählen kann.

Querungen

Querungen sind eine der Problemstellen für gemischte Gruppen. Mit dem Snowboard ist es wesentlich schwieriger in einer Traverse die Höhe zu halten. Die Stöcke fehlen zum Anschieben und kurze Seitschritte sind während der Fahrt unmöglich. Wer einmal nach unten abrutscht, gelangt nur schwer in die Spur zurück. Es gibt aber Methoden, Querungen besser zu meistern.

  • Fahrtechnik. Ausgefahrene Traversen sind oft schnell, wellig und weisen einen Versatz zwischen den Spuren des Berg- und Talskis auf. Um die Spur zu halten, müssen Unebenheiten und Schläge ausgeglichen werden. Wichtig ist dafür eine solide Snowboardtechnik mit Körperspannung und aktivem Beugen und Strecken des Sprung-, Knie- und Hüftgelenks. Hilfreich sind Tipps zum Erhöhen des Aufkantwinkels: Tiefe Position, Hochziehen der Zehen auf der Backsidekante und Drücken der Knie zum Hang sowie Hinunterdrücken der Zehen auf der Frontsidekante.
  • Spuranlage. Querungen für gemischte Gruppen so anzulegen, dass sie weder zu schnell noch zu langsam sind, ist eine Kunst für sich und verlangt viel Erfahrung. Beim Anspuren Stockschübe und Seitschritte reduzieren (Ausnahme im sehr tiefen Schnee)! Im Zweifelsfall ist es auch möglich, die Snowboarder*innen vorauszuschicken, um eine fahrbare Spur zu ziehen.
  • Gruppe teilen. Wenn trotz vorausschauen- der Spuranlage eine ebene oder leicht bergauf führende Traverse nötig ist, kann es sinn- voll sein, eine alternative Spur anzulegen. Eventuell am Ende der Traverse abschnallen und bergauf stapfen oder bereits am Beginn der Traverse höher starten und mit mehr Schwung in die Traverse einfahren. Große Zusatzbelastung beim Stapfen beachten!
  • Stockeinsatz. Ob von anderen Gruppenmitgliedern ausgeborgt oder selbst mitgebracht, mit zwei Stöcken kann man gut anschieben. Ein Stock ist sinnlos, dabei ist ein Verdrehen und Abrutschen aus der Spur vorprogrammiert. Je steiler der zu querende Hang, umso schwieriger.
  • Queren auf der Frontsidekante. Vorteile: Es ist leichter möglich, bergauf zu springen, mit den Händen anzutauchen und mit höherem Aufkantwinkel zu fahren (Abrutschen aus der Spur wird unwahrscheinlicher). Nachteile: Die Wadenmuskulatur wird stark beansprucht, Ungeübte brauchen bei langen Querungen Pausen. Auf der Frontsidekante zu queren, kann bedeuten, dass man dafür switch (rückwärts) fahren muss, je nachdem ob man regular oder goofy fährt (beim Kennenlernen der Gruppe erfragen!). Technik und Übung im Switchfahren vorausgesetzt, ist es oft die beste Option, besonders für Spuren, die stark die Höhe halten, leicht bergauf führen oder steile Hänge queren.
Abb. 1 Abrutschen extrem steiler Passagen besser auf der Frontsidekante, auch wenn das wie hier bedeutet, switch zu fahren. Ein Pickel in der hinteren Hand erhöht die physische und psychische Sicherheit. Foto: Martin Maurer

Im Steilen

Steile und unwegsame Passagen abzurutschen kann mit dem Snowboard auf zwei Arten geschehen.

  • Auf der Backsidekante. Muskulär weniger anstrengend und intuitiver, der Blick ist in Fahrtrichtung gerichtet. Auf der Piste und im Gelände bremsen die meisten Snowboarder*innen instinktiv auf der Backsidekante. Auch im Snowboardlehrplan wird das Abrutschen zuerst auf der Backsidekante erlernt.
  • Auf der Frontsidekante. Im extrem steilen oder absturzgefährdeten Gelände. Wie bei Querungen ist es einfacher, einen hohen Aufkantwinkel zu erzeugen, außerdem können die Hände als Stütze eingesetzt werden. Für viele Snowboarderinnen wirkt das auf den ersten Blick kontraintuitiv, die Wadenmuskulatur wird stark beansprucht und der Oberkörper muss verdreht werden, um den Blick nach unten zu richten. Die Vorteile überwiegen aber. Faustregel: Spätestens wenn mit Skiern die Jägerstocktechnik (berg- seitiges Abstützen mit beiden Stöcken) angewandt wird, sollte mit dem Snowboard auf der Frontsidekante abgerutscht werden (Abb. 1).
  • Abfahren mit Pickel ist beim Skifahren nur im extremen Steilwandfahren üblich und wird nur im Worst Case eingesetzt. Mit dem Snowboard ist ein Pickel im steilen Gelände mehr als die letzte Hoffnung im Fall des Sturzes: Er dient als Stütze, Dreh- und Bremshilfe in der Kurveninnenseite, ermöglicht das seitliche Manövrieren oder Abschnallen und erhöht das Sicherheitsgefühl. Auch im flachen Gelände ist es kaum störend, einen Pickel in der hinteren Hand (oder zwei) mitzuführen, er kann gut als Stock an der Schneeoberfläche mitgeschliffen werden.

Im Flachen

Flachstücke und Gegenanstiege sind der Erzfeind des Snowboards. Wer sich wegen des Bewegungsgefühls beim Abfahren für das Snowboard entscheidet, muss manch mühsame Passage in Kauf nehmen und hin und wieder abschnallen, stapfen oder anschieben. Trotzdem gibt es Wege, Flachstücke schneller zu bewältigen.

  • Vorausschauende Spuranlage. Oft können zeitraubende Passagen von Vornherein vermieden werden: Mehr Schwung holen, früher bzw. höher ausqueren, Sammelpunkte geeignet wählen.
  • Spur ausfahren. Häufig ist es sehr effektiv, Skifahrerinnen vorauszuschicken und eine Spur auszufahren. Dabei die Spur breiter ausfahren (seitlich versetzt) und Skier eng führen, damit zwischen den Spuren kein bremsender Steg bestehen bleibt (vor allem bei Harsch).
  • Belgischer Kreisel/überschlagen fahren. Die Gruppe fährt mit großen Abständen eine Spur im Tiefschnee heraus. Die erste Person spurt bis sie stecken bleibt und steigt zur Seite, damit der/die Nächste mit viel Schwung die Spurarbeit übernehmen kann. Beim nächsten Stillstand wiederholt sich der Wechsel.
  • Stockeinsatz. Auch beim Variantenfahren lohnt es sich, Stöcke mitzuführen. Moderne snowboardgeeignete Stöcke (mit drei Segmenten oder wie eine Lawinensonde aufgebaut) haben ein kleines Packmaß und können leicht am Rucksack montiert werden. Unbedingt zwei Stöcke pro Person; Anschieben mit einem Stock ist ineffizient und wenn nur auf präparierten Ziehwegen sinnvoll.
Abb. 2 Als Skifahrerin einem Snowboarder die Stöcke zu leihen ist nicht nur ein edler und selbstloser Zug, sondern macht die Gruppe insgesamt schneller. Foto: Martin Maurer

Hilfestellung (Abb. 2). Es gibt zahlreiche Methoden der gegenseitigen Hilfestellung innerhalb der Gruppe. Die Bandbreite reicht von sinnvoll und bewährt (Skistöcke ausborgen, Snowboarderinnen anschieben und ziehen) bis kreativ und hochriskant (Schleudergriffe, Transport der Snowboarderinnen auf den Skienden).

One-Footed. Ähnlich wie beim Skateboarden oder Schleppliftfahren den hinteren Fuß abschnallen und anschieben, Schwung holen und den Fuß wieder aufs Brett stellen. Voraussetzung dafür sind Fahrkönnen und eine Schneeoberfläche, auf der mit einem Fuß angeschoben werden kann.

Splitboard im Ski-Modus. Wenn am Ende einer Tour lange flache Passagen (Talböden, Langlaufloipen etc.) warten, können Splitboards auch geteilt wie Skier benützt werden. Bei manchen Splitboardbindungen kann dazu die Bindung fixiert werden (Heel-Lock). Eventuell kann auch Ähnliches mit Zurrgurten oder einem Ski-Fix improvisiert werden (Steighilfe mit der Bindung im Fersenbereich verbinden). Vorsicht: keine Sicherheitsbindung!

Für gemischte Ski-Snowboard-Gruppen ist es sehr hilfreich, im Vorhinein zu besprechen, welche dieser Tricks und Tipps wann und wie eingesetzt werden können. Insbesondere die Methoden der gegenseitigen Hilfe können – geübt und richtig angewandt – enorm zeitsparend wirken.

Stärken des Snowboards

Beim Anpassen der Tour sollten nicht nur die Schwächen des Snowboards beachtet werden. In der Abfahrt spielen sie oft ihre Stärken aus.

Schlechtschnee. Mit dem Ski gefürchtete, schwierig zu fahrende Schneearten sind mit dem Snowboard weniger problematisch. Nassschnee, Wind- und Bruchharsch sind meist noch gut befahrbar. „Hängenbleiben“ wie mit einem Ski im Bruchharsch und entsprechende Knieverletzungen sind unwahrscheinlich.

Sicherheitsbindung. Weil beide Füße fix mit dem Brett verbunden sind und sich nicht zueinander verdrehen können, haben Snowboards keine Sicherheitsbindung. Eine zeitraubende Suche des im Schnee verschwundenen Skis entfällt damit.

Material. Die Geländetauglichkeit auf Skiern hängt davon ab, ob ein Pisten-, Touren- oder Freerideski gefahren wird. Bei Snowboards ist eine vergleichbare Unterscheidung weniger relevant. Grundsätzlich sind handelsübliche Snow- und Splitboards für die Abfahrt im Gelände geeignet und bieten selbst nach starken Neuschneefällen ausreichend Fläche, um auf der Schneeoberfläche zu schwimmen. Nur spezialisierte Freestyle-Boards (Twintips) sind wegen fehlender Setbacks* schlechter geeignet.

Gruppendynamik

Häufig kennen sich gemischte Gruppen untereinander bereits und sind es gewohnt, sich gegenseitig zu unterstützen. Bei Gruppen, die sich nicht kennen, muss kein Bewusstsein für Snowboard-unfreundliche Passagen und Methoden der gegenseitigen Unterstützung vorhanden sein. In jedem Fall lohnt sich eine Vorbesprechung der Tour hinsichtlich der Stärken und Schwächen gemischter Gruppen. Dies sollte nicht im Sinne des Abwertens der Snowboarder*innen geschehen, sondern im Sinne des offenen und unterstützenden Ansprechens von Möglichkeiten der Hilfestellung und von Szenarien unterschiedlicher Vorgangsweisen für beide Seiten (z. B.: getrennte Spuranlage).

Mir selbst sind einige negative wie positive Beispiele bekannt. In einem Fall wurden im Rahmen eines Lawinen-Ausbildungskurses mehrmals offensichtlich schlecht geeignete Sammelpunkte gewählt, Flachstücke durch wenig vorausschauende Fahrweise unnötig verlängert und die einzige Snowboarderin dabei nicht unterstützt. Das Ergebnis war eine lange wartende Gruppe, eine erschöpfte Snowboarderin die sich im Stich gelassen fühlte, und länger dauernde Abfahrten für alle. Auf der anderen Seite gibt es viele Positiv- Beispiele, wo in gemischten Gruppen eine Kultur der Unterstützung und gegenseitigen Rücksichtnahme etabliert wurde. Oft entsteht dabei ein regelrechter Wettbewerb unter Skifahrerinnen, wer als nächstes die Snowboarderinnen ziehen darf.

Auch beim Getränk danach ist auf eine respektvolle Atmosphäre zu achten. Witze und Sticheleien zwischen beiden Seiten gehören dazu, dabei sollte nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden. Getreu dem Sprichwort „Was sich liebt, das neckt sich“ sollten diese aber innerhalb eines wertschätzenden Rahmens bleiben. Fingerspitzengefühl für die Grenze zwischen Spaß und Ernst ist nötig.

Ski und Snowboards in einer Gruppe stellen den Guide vor besondere Herausforderungen, die jedoch zu meistern sind. Gemeinsames Cruisen am Arlberg. Foto: Andreas Vigl

Fazit

Besonders in den letzten Jahren hat sich der Tourensport stärker differenziert. Die Ottonormalgruppe existiert nicht, ganz unterschiedliche Motive und Vorlieben können im Vordergrund stehen: Genießen der Natur, Maximieren der Höhenmeter, Sammeln von Gipfeln oder die Suche nach unverspurten Abfahrten. Tourenauswahl und Führungsverhalten an diese Vorlieben anzupassen, ist eine Selbstverständlichkeit und das tägliche Brot von Guides.

Ebenso selbstverständlich sollte es sein, sich über die Anforderungen von gemischten Ski-Snowboard-Gruppen Gedanken zu machen. Das setzt Know-how über Snowboard-Ausrüstung sowie Aufstiegs- und Abfahrtstechniken voraus. Wer das berücksichtigt, gelangt schneller, sicherer und genussreicher wieder ins Tal. Die Snowboardwelt wird dankbar sein.

Martin Maurer stellt in der Ausgabe 118 unter der Rubrik „Lehrer Lämpel“ noch vor, wie Snowboards zur Rettung verwendet werden können.

Glossar

  • Frontsidekante: Zehenkante; auch Toeside
  • Backsidekante: Fersenkante; auch Heelside
  • Switch: mit dem Tail (Boardende) voraus fahren, „rückwärts“
  • Natural: mit der Nose (Boardspitze) voraus fahren, „vorwärts“
  • Regular: Bindungsposition mit linkem Bein vorne, Natural-Querungen nach rechts auf der FS-Kante möglich
  • Goofy: Bindungsposition mit rechtem Bein vorne, Natural-Querungen nach links auf der FS-Kante möglich
  • Belgischer Kreisel: Technik aus dem Rennradsport, wo der Windschatten ausgenützt wird, damit die ganze Gruppe schneller fahren kann
  • Full Send: „Vollgas!“, Ausdruck großer Risikobereitschaft

Erschienen in der
Ausgabe #118 (Frühling 22)

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