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Hannes Lemayr im Vorstieg in der fragilen Eissäule. Wenige Stunden nach der Begehung kollabierte die Eissäule. Foto: Daniel Ladurner
21. Feb 2023 - 3 min Lesezeit

Verhauer Eisklettern: Kollaps einer Eissäule

Beim Bergsteigen passieren ständig Fehler, die beinahe zu Unfällen führen. Niemand spricht gerne darüber. Wir schon! Daniel Ladurner über das Risiko einer einstürzenden Eissäule beim Eisklettern.

Nachdem ich eine Woche zuvor erfahren hatte, dass der Hoher-Tobel-Eisfall (Einstiegshöhe 1200 m, Länge 190 m, WI6) bei Rein in Taufers in Südtirol geklettert worden war, entschied ich mich mit meinem Seilpartner Hannes Lemayr – trotz angestiegener Temperaturen am Vortag (Plusgrade untertags, wobei es im Tal des Eisfalls immer einige Grade kälter sein dürfte)–, am 19.02.2022 einen Versuch zu wagen.

Der Tobel-Wasserfall ist bekannt für seine heimtückische, 45 Meter hohe Säule, die oft ohne jegliche Vorankündigung plötzlich den Weg nach unten antritt. Der Tobel-Eisfall steht nur alle paar Jahre und wurde erst im Jahr 2000 von Kurt Astner und Christoph Hainz erstbegangen. Der untere Teil des Falls (ca. 130 m, WI3 bis WI4+) ist relativ einfach und bildet sich fast in jedem Winter zu Eis aus.

kollabierte Eissäule am Tobel-Eisfall
Kollabierte Eissäule am Tobel-Eisfall (siehe Kreis). Foto: Daniel Ladurner

Solide oder nicht?

Die Säule baut sich auf einer schrägen Granitplatte auf und machte am Tag meines Versuchs einen soliden Eindruck. Womöglich jedoch sinkt der Sockel auf der Platte durch Unterspülung ab und somit verliert die Säule an Stabilität und bricht irgendwann ab. Am Einstieg des Wasserfalls hatte es um 7:30 Uhr null Grad Celsius, in der Nacht lagen die Temperaturen laut Wetterstation maximal drei bis vier Grad unter null. Eigentlich keine schlechten Verhältnisse, möchte man meinen.

„Das Risiko beim Klettern von Eissäulen ist einfach grundsätzlich schwer kalkulierbar und sehr hoch.“

Jedoch falsch gedacht! Die ersten 140 Meter kletterten wir zügig bis zum Stand links unter der Säule. Diese tropfte ein wenig an den Seiten, aber eine richtige Dusche kam uns nicht entgegen. Hannes stieg das filigrane Gebilde souverän nach oben, ohne das Eis durch zu grobes „Hacken“ übermäßig zu beanspruchen. Nach knapp 60 Metern hatte Hannes Stand im fast flachen, soliden Eis.

Ich stieg vorsichtig nach und nutzte die Eisstruktur und seine „Hooks“, um so sachte wie möglich unterwegs zu sein. Fast am Ende der Säule fiel mir auf, dass das Eis nicht mehr ganz so dick war und dahinter etwas Wasser floss. Somit war mir klar, dass ich umso vorsichtiger klettern musste. Oben angekommen seilten wir an Abalakov-Eisuhren von einer vorherigen Begehung zweimal ab und querten im unteren Teil des Wasserfalls über ein Band hinaus, um zu Fuß zum Einstieg zu gelangen.

Eisklettern Daniel Ladurner
Hannes Lemayr im Vorstieg in der fragilen Eissäule. Wenige Stunden nach der Begehung kollabierte die Eissäule. Foto: Daniel Ladurner

Am Auto angekommen war es noch nicht Mittagszeit, also beschlossen wir, nach Rein in Taufers zu fahren, um dort eine Kleinigkeit zu Essen und noch eine gemütliche Eislinie zu klettern. Als wir am späten Nachmittag wieder talauswärts unterwegs waren: welch ein Schock! Die Säule, die wir einige Stunden vorher durchstiegen hatten, war kollabiert. Abends erfuhr ich, dass Anwohner gegen 15 Uhr den Eissturz beobachtet hatten. Glück gehabt!

Fazit

Freistehende Säulen reagieren auf zahlreiche Faktoren wie Temperaturveränderungen (Vielleicht war es am Vortag schon zu warm?), auf Wind oder auch auf das Schmelzwasser, welches in ihnen und um sie herum abfließt, und können plötzlich zum Einsturz kommen.

Erschienen in der
Ausgabe #121 (Winter 22-23)

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