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Erste Hilfe Materialien. Foto: Ploegerson auf Unsplash
06. Feb 2024 - 6 min Lesezeit

Notfall Alpin (6/9): Erste-Hilfe-Material zur Blutstillung.

In seinem Beitrag zur Blutung nach einem Spaltensturz (gleiche Ausgabe) haben wir bereits die Arbeit mit Notverband und Tourniquet thematisiert. Da diese beiden Tools unter Bergsteigern eher unbekannt sind, haben wir Philipp gebeten, die Vorteile und grundlegenden Anwendungen nochmals extra zu beschreiben.

alle Artikel der Serie: Notfall Alpin

Die Mitnahme eines Notverbandes im alpinen Bereich empfehlen wir jederfrau uneingeschränkt. Auch vor dem Tourniquet muss man nicht wirklich Angst haben: wer die korrekte Bedienung trainiert hat, kann damit lebensbedrohliche Blutungen an den Extremitäten durch das Abbinden der Arterien schnell stoppen – auch oder v.a., wenn ein Druck- bzw- Notfallverband die Blutung nicht stillen kann oder aufgrund der exponierten Situation nicht durchführbar ist.

Tourniquet – bei (stärksten) Blutungen an den Extremitäten

erste Hilfe am Berg Tourniquet
Abb. 1 Tourniquet anlegen. Das zusammengefaltete (-geklettete) Tourniquet wird geöffnet und das Klettband eine Handbreite neben der Blutungsquelle zum Körperstamm hin (proximal) um die Haut (oder wenn es nicht anders möglich ist Kleidung) von Arm oder Bein gelegt. Es darf nicht auf Gelenke, Fremdkörper oder offene Frakturen gelegt werden – im Zweifel oberhalb davon bzw. so proximal (nah zum Körperstamm) als möglich.
Tourniquet anlegen
Abb. 2a/b Klettverschluss fest zuziehen. Das Klettband wird 90° zur Extremität (nicht schräg) so fest als möglich zugezogen und der Klettverschluss gut zusammengedrückt.

Das Tourniquet , frz. Drehkreuz, wird als Mittel zur Blutstillung an den Extremitäten in den ERC (European Resuscitation Council)- Guidelines von 2015 ausdrücklich für „Erst-Helferinnen“ empfohlen. Dem zugrunde liegen folgende Prinzipien:

  • Gegenüber althergebrachter Meinung soll die blutende Extremität nicht mehr oberhalb der Blutung „händisch“ abgedrückt werden und nicht wie bekannt nach oben angehoben bzw. gehalten werden.
  • „Jeder Ery(throzyt) zählt!“ Sofort Druck auf die Wunde ausüben (mit oder ohne Verband) und versuchen, dadurch die Blutung zu stoppen.
  • Ist die Blutung durch direkten Druck auf die Wunde stillbar, kommt ein Druckverband zum Einsatz. Da dieser nicht immer einfach und erfolgreich anzulegen ist, bietet sich die Zuhilfenahme eines Notfallverbandes (s.u.) an.
  • Bei ausbleibendem Erfolg oder Blutung trotz Druck(verband) auf die Wunde, kommt das Tourniquet zum Einsatz – es wird also eskalierend vorgegangen.
  • Die richtige Anlage sowie entsprechendes Training sind für den Erfolg der Maßnahme essentiell.
  • Primär, also sofort, sollte das Tourniquet verwendet werden, bei:
    • weiteren kritischen Blutungsquellen an derselben Extremität
    • fehlender Erreichbarkeit der Blutung
    • bei lebensbedrohlichen A, B, C Problemen (z.B. CPR)
    • erheblichem Risiko an der Unfallstelle
    • schwierigen Umgebungsfaktoren (z.B. Steilwand, Spalte, etc.) Die richtige Bedienung eines Tourniquet (abgebildet Modell CAT; bitte die jeweilige Bedienungsanleitung studieren) zeigen die Abbildungen 1-4.
Mit Knebel von Tourniquet Druck erhöhen und Blutung stillen.
Abb. 3a/b Knebel drehen. Der Kunststoffhebel wird so lange gedreht – und damit der Druck erhöht – bis die Blutung stoppt, d.h. die Arterie abgedrückt ist.
Knebel von Tourniquet sichern
Abb. 4a/b Knebel sichern. Steht die Blutung wird der Knebel „eingehängt“, d.h. arretiert und mit einem (hier weißen) Klettband gesichert. Darauf wird die Zeit notiert.

Das Tourniquet verursacht starke bis stärkste Schmerzen. Der Schmerz darf aber nicht dazu führen, dass Tourniquet nur „ein bisschen“ zuzudrehen – in jedem Fall muss die Anlage so erfolgen, dass die Blutung steht! Jede starke Blutung muss unbedingt gestillt werden, da sie als Hauptverursacher für „vermeidbare Todesfälle im Rettungsdienst“ gilt (ERC 2015 Leitlinien, S. 291).

Daher ist es notwendig, so schnell als möglich – ohne die Blutstillung zu verzögern – einen Notruf abzusetzen. Die Profis können dann die Analgesie (Schmerztherapie) durchführen. Ebenso unter ärztlicher Kontrolle soll das Tourniquet nach max. zwei Stunden geöffnet werden. Je nach Situation kann es auch länger am Patienten bleiben, dann steigt allerdings die Gefahr von und Nerven- und Gewebeschäden. Details dazu lernt man in der entsprechenden Ausbildung, die wir sehr empfehlen!

Mithilfe des Tourniquet steht uns ein Mittel zur Verfügung, welches starke Blutungen an den Extremitäten schnell und sicher stillt. Damit wird die Überlebenswahrscheinlichkeit deutlich gesteigert. Gerade in exponiertem Gelände ist dies eine hervorragende Option. Besteht allerdings die Hoffnung, mit Hilfe eines Not- bzw. Druckverbandes die Blutung zu stillen, soll dies zuerst versucht werden (s.o.):

Notverband

Notverband FCP03-Bandage
Der Notverband wurde in den 1990er-Jahren von Bernard Bar-Natan in Israel entwickelt und dann von seiner Firma First Care Products Ltd. produziert, die inzwischen in US-amerikanischem Besitz ist – für diesen Notverband, den es heute in verschiedenen Varianten gibt (abgebildet ist die FCP03-Bandage), ist der Beiname „Israeli Bandage“ geblieben. Die abgebildeten Produkte haben sich in der Praxis bewährt und werden in Österreich und Deutschland von Medical Sales Consultants vertrieben, einem bewährten Partner von bergundsteigen.

Im Gegensatz zu den in den Erste-Hilfe-Päckchen üblichen Schnellverbänden (Mullbinden mit einer Wundauflage) ist ein Notfallverband dazu geeignet, unmittelbar nach dem Auspacken und ohne Zuhilfenahme weiterer Utensilien sofort als zuverlässiger Druckverband eingesetzt zu werden. Die elastische Binde ist mit einer Wundauflage versehen, die auf die Blutung gedrückt wird und auf deren anderen Seite ein Kunststoff- Druckbügel eingearbeitet ist.

Notverband
Abb. 5 Notverband aufreißen.
Anlegen Notverband
Abb. 6 Wundauflage direkt auf Blutung legen. Der Druckbügel liegt ebenso darüber.

Dieser Bügel erzeugt dann bei der folgenden Umwicklung den notwendigen Druck direkt auf die Wundauflage. Außerdem benötigt man zum Fixieren des Verbandes kein Tape o.Ä., weil am Ende eine Kunststoffklammer angebracht ist, die einfach im Verband eingehängt werden kann. Das abgebildete Modell verfügt außerdem über einen eingenähten Faden, der die ganze Rolle zusammenhält, aber beim Umwickeln leicht aufreißt – so kann auch in exponierten Situationen nichts „wegrollen“.

Wenn man also in seinem Rucksack etwas Potentes zur schnellen und einfachen Blutstillung dabeihaben möchte, dann bietet sich ein solcher Notverband an. Er kann nicht nur an den Extremitäten, sondern überall am Körper, inkl. Kopf und Hals angelegt werden. Der Notverband hat außerdem den erheblichen Vorteil, dass er keine zusätzlichen Schmerzen verursacht und dass er quasi „unbegrenzt“ lang verwendet werden kann.

Das Tourniquet sollte – wie oben erwähnt – nur maximal zwei Stunden angelegt bleiben (siehe Herstellerhinweise). Unter Umständen ist es aber auch möglich/sinnvoll, nach der Rettung aus dem Gefahrenbereich „downzugraden“ und das Tourniquet – das schnell über der Bekleidung für die Blutstillung zur Bergung aus dem Gefahrenbereich angelegt wurde – durch einen Notverband zu ersetzen – das ist aber Inhalt von seriösen Erste-Hilfe-Ausbildungen (Cave: Rhabdomyolyse/Crush Syndrom).

Fakt ist aber auch, dass Schwerverletzte innerhalb der ersten 60 Minuten in einen Schockraum (Krankenhaus) eingeliefert werden sollten. Dies zeigt hier nochmal, wie wichtig der richtige und schnelle Notruf ist. Wie der Notverband richtig angelegt wird, zeigen die Abbildungen 5 bis 9.

Druckbügel von Notverband
Abb. 7 Einmal umwickeln, in den Druckbügel einhängen und festziehen.
Notverband anlegen
Abb. 8a/b/c In Gegenrichtung (U-Turn) weiter fest um Druckbügel herumwickeln bis das Ende erreicht ist. Ein eingenähter Faden – der leicht reißt (Abb. 8c) verhindert das ungewollte Abrollen während der Anlage.
Fixierklemme Notverband
Abb. 9a/b Fixierklemme einhängen.

Fotos: Max Largo

Zum Teil 5 der Serie Notfall Alpin: Kritische Blutung stoppen

Zum Teil 7 der Serie Notfall Alpin: neurologisches Problem

Erschienen in der
Ausgabe #103