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Notfall Alpin|||Pros und Cons von guter Team||Nonverbale Kommunikation Foto: Peter Plattner||Der PDCA-Zyklus
01. Apr 2020 - 19 min Lesezeit

Notfall Alpin

Eine Frage der Kommunikation?

Vorab: Resilienz und ihre Gemeinsamkeit mit einem Bergseil

23. Jänner: Ein traumhafter Wintertag, strahlender Sonnenschein, Neuschnee, optimale Temperaturen. Meine Gäste und ich genießen das Panorama und ich erkläre ihnen die umliegenden Gipfel. Unser Gipfelglück ist perfekt. Der Aufstieg im Pulverschnee war nicht zu anstrengend, das Tempo moderat, die Spur genau passend, der Rucksack nicht zu schwer, die Proviantdose gefüllt mit köstlichem Speck, Bergkäse, Vinschgerlen und geschnittenen Karotten. Der heiße Tee wärmt angenehm. Wir sind aber nicht die Einzigen hier oben, einige andere Gruppen und Alleingeher nutzten die Nordströmung und entschieden sich für Skitouren südlich des Hauptkammes. Das Wetter in den vergangenen Tagen war bescheiden, Südstau, Schneefall mit viel Wind, schlechte Sicht, widrige Verhältnisse. Somit ist die heutige Tour das Highlight unserer Tourenwoche und die Belohnung für die eingeschränkten Tourenmöglichkeiten der letzten Tage. Auf uns wartet eine Abfahrt über schöne, unberührte Tiefschneehänge. Vor dem Start – erneuter LVS Check und wir besprechen alle Standards nochmal: Abfahrtslinie, Reihenfolgen, Abstände, Korridore, Sammelpunkte. Alles gut. Freude ist uns fünf ins Gesicht geschrieben.

Hinter der nächsten Kuppe erwartet uns eine komplett andere Situation. Lautes Geschrei, einige Leute laufen offensichtlich planlos über einen großen Lawinenkegel, Material liegt verstreut im Schnee. Jetzt heißt es umschalten: Notfall Lawine. Und wir sind vorbereitet: Infos einholen, einteilen und helfen. Nach kurzer Zeit können wir den Verschütteten orten und ausgraben. Die weitere Erste Hilfe läuft wie einstudiert.

Was liegt dahinter? Wie haben wir die bedrohliche und plötzlich eingetretene Situation erfolgreich bewältigt? Abgesehen von den Fakten und den Ursachen für den Lawinenabgang möchte ich unser Handeln etwas genauer beleuchten:

Der (kleine) Rucksack von uns Bergführern beinhaltet sowohl Ausrüstungsteile als auch viel Wissen, Erfahrung, persönliche und soziale Ressourcen. Wir sind nicht nur gerüstet, um Menschen ihre Bergträume zu erfüllen, sondern auch um in Notsituationen entsprechend zu reagieren. Die hohen Anforderungen und die Dynamik in extremen Lagen lassen uns auf ein gewisses Potenzial von Krisenkompetenz, Widerstandsfähigkeit und Anpassungsniveau zurückgreifen. In kritischen Situationen sind Kreativität, Elastizität und Flexibilität gefragt. Diese positive Anpassung trotz vorhandener Risikofaktoren ist vergleichbar mit einem Bergseil, welches unter allen möglichen Umständen eine gewisse Elastizität mitbringt, um Seilpartner zurück in die ursprüngliche Lage zu bringen.

Auch die Resilienz von Menschen bezeichnet diese innere Stärke und Widerstandskraft, Extremsituationen wie Konflikte, Niederlagen, Lebenskrisen, schwere Erkrankungen, Schicksalsschläge oder traumatische Erfahrungen zu meistern. Krisenhafte Zustände und hohe Belastungen werden zusätzlich aufgrund von psychischer Stärke bewältigt.

Resilienz bei Teamleitern

Natürlich ist nicht nur Bergführern ein hohes Maß an Resilienz zugeschrieben, selbstverständlich auch TourenleiterInnen in alpinen Vereinigungen, professionellen terrestrischen oder luftgebundenen Rettungsteams, Verantwortlichen in Krisenstäben, Führungskräften in Unternehmen. Hier bedarf es auch Handlungskraft trotz schwieriger Umstände und teilweise schwerer Krisen zu bewahren. Die Fähigkeit, flexibel und angemessen zu reagieren und somit erfolgreich mit belastenden Lebensumständen und negativen Folgen von Stress umzugehen, ist eine dieser persönlichen und sozialen Ressourcen, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens erweitern und immer mehr ausprägen kann.

Entsprechende Vorbereitung für Notsituationen

In diesem Zusammenhang und in Verbindung mit dem oben beschriebenen Lawinenunfall ist ein entsprechendes Maß an Wissen und Vorbereitung unabdingbar. Wesentliche Voraussetzungen für sicheres und nachhaltiges Handeln sind, dass verschiedene Aspekte einer Situation korrekt wahrgenommen, zutreffend interpretiert und daraus eine adäquate Handlung generiert werden. Dies beinhaltet den aktuellen Zustand sowie die möglichen Veränderungen und Prognosen über die Entwicklung der Situation. Diese Fähigkeit wird als Situationsbewusstsein, Situation(al) Awareness, beschrieben. Im Safety-, Risiko- und Krisenmanagement gilt folgendes Statement:

„What you need to know, not to be surprised“
(vgl. Jeannot, Kelly & Thompson, 2003, S.22)

Wir sind also vorbereitet, um in bestimmten (komplexen) Situationen nicht überfordert zu sein und setzen am Berg präventive Maßnahmen, um idealerweise gar nicht erst reagieren zu müssen. Wir nützen unsere menschlichen und technischen Kapazitäten, um anspruchsvolle Szenarien optimal, effizient und sicher zu lösen. Somit ist es unbedingt notwendig, für jegliche Notfälle in den Bergen jederzeit gerüstet zu sein. Ob Navigation mit Karte und Bussole, Erste Hilfe nach Absturz, bei Höhenkrankheit oder bei internen Notfällen, LVS-Suche, Sondieren und Ausgraben, Seil- und Rettungstechnik. Je nach Bergsportdisziplin liegt es in unserem eigenen Interesse und in der Verantwortung anderen gegenüber, für Notfälle vorbereitet zu sein.

Unsere Skitourengruppe hatte wirklich „leichtes Spiel“. Die Tage vor der eingangs beschriebenen Tour wurden genutzt, um sich intensiv mit dem Thema Schnee und Lawine auseinanderzusetzen. Wir trainierten Basics und alle Elemente für den Notfall: Koordination und Kommunikation bei einem Lawinenunfall, die Suche mittels LVS- Gerät, das Ausgraben und natürlich auch Patientenversorgung. Vom einfach angelegten Druckverband nach Schnitt mit Ski-Kante bis zur herausfordernden Reanimation nach Lawinenverschüttung reichte unser Repertoire. Ständiger Begleiter war natürlich das Wärmemanagement für alle Beteiligten.

Wir waren also für den Fall der Fälle perfekt abgestimmt und setzten das Erlernte erfolgreich in der Praxis um. Wir konnten aufgrund dieser Grundlage unsere Handlungskraft bewahren, sogar in dieser ernsten Lage verstärken. Vielleicht auch ein Zufall oder Glück oder doch Professionalität?

Pros und Cons von guter Teamarbeit

PROs

  • Akzeptanz von Können, Wissen und Grenzen
  • entsprechende Aufteilung der Aufgaben
  • klare und offene Kommunikation
  • ein Teammitglied übernimmt das Kommando 
  • laufende Evaluierung der Situation
  • Prioritäten zielorientiert setzen

CONs

  • Stress
  • Selbstgefälligkeit
  • soziale Normen
  • Mangel an Aufmerksamkeit
  • Ablenkung (durch private Probleme, suboptimale Arbeitsumgebung,…)
  • Mangelan Können und Wissen

Anhand dieses Fallbeispiels von Florian konnten wir wichtige Punkte aus den Bereichen Kommunikation, Resilienz und den allgemeinen Softskills plastisch aufzeigen. Freilich mit einer normativen Perspektive, am Soll-Zustand orientiert – oder anders ausgedrückt: so wie wir es uns wünschen würden. Ganz entscheidend dabei war neben dem vorangegangenen praktischen und handlungsorientierten Training sicherlich auch die Kommunikation. Im Folgenden möchten wir nun auf einige Punkte genauer eingehen; am Beispiel der eben geschilderten dynamischen und komplexen Situation (Notfall Lawine) sollen Tipps und Hilfestellungen angeboten werden:

  • Zuerst will sich der Beitrag mit dem Bereich Faktor-Mensch auseinandersetzen. Dabei nähern wir uns dem Thema mithilfe der notwendigen Kompetenzen an und richten den Blick auf die „große Schwester“ der Ersten Hilfe, die professionellen Rettungsteams. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn die Rettungskette mit ihren ineinandergreifenden Gliedern gelebt werden soll.
  • Im zweiten Abschnitt schließt ein explizierter Teil zum Thema Kommunikation an. Neben der Teamleistung legen wir den Fokus auch auf die Interaktion mit Verletzten oder Betroffenen.
  • In Fazit & Empfehlungen beschreiben wir drei elementare Werkzeuge für euren Notfall.
  • Letztendlich haben wir noch alpine Rettungsprofis um ihre Statements zum Thema bzw. um ihre Take Home Message gebeten.
Abb. 1 „Mir geht’s gut.“ Es sind also ausreichend „grüne Kügelchen“ und somit Ressourcen für die nächste Herausforderung vorhanden. Klassische „grüne Kügelchen Killer“ sind Stress und Angst (Emotion), Schlafmangel und Erkrankung (körperlich) schlechte Teamarbeit und mangelnde Skills (Rahmenbedingungen).
Foto: Archiv Amon

# Faktor Mensch

Um zu wissen, wie eigentlich „gute“ Erste Hilfe aussieht, lohnt sich ein Blick auf die professionellen Rettungsteams. Vereinfacht gesprochen sind sie eine komprimierte und somit reduzierte Versorgung aus dem Krankenhaus heraus, quasi auf „die Straße“ angepasst. In der Regel kommen hier Advanced Life Support (ALS)-Maßnahmen zur Stabilisierung und erste Therapien der Patienten zum Einsatz. Diesen Gedanken aufgreifend ist die Erste Hilfe eine weitere Reduzierung auf das Notwendige und Zumutbare für die Ersthelfer/in. Entsprechende Fachgesellschaften wie bspw. das European Resuscitation Council (ERC) empfehlen hier allen voran Basismaßnahmen – Basic Life Support (BLS). Wie gut eine verletzte Person einen Unfall übersteht (Outcome), hängt deutlich von einem effektiven und somit reibungslosen Ineinandergreifen der einzelnen Glieder ab (siehe #101). Im Idealfall werden die eingeleiteten BLS-Maßnahmen (Ersthelfer/in) durch die Profis um ALS erweitert, sodass schnellstmöglich die empfohlene Versorgung und Therapie beginnen kann (siehe #110). Im Zuge der in den letzten Jahren erfolgten Professionalisierung vieler Rettungsteam-Qualifikationen haben sich dabei folgende Schwerpunkte ergeben:

Fachkompetenz
Grundvoraussetzung zum Durchführen einer Aufgabe oder Beheben eines Problems ist das nötige Fachwissen. Faktoren wie schulische Ausbildung, berufliche Aus- und Weiterbildung, Qualifikation, aber auch Allgemeinbildung und Hintergrundwissen spielen in der Fachkompetenz eine wichtige Rolle. Für die Erste Hilfe sind das unter anderem die in der bergundsteigen Notfall Alpin-Serie bearbeiteten Themen aus den Richtlinien und Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften, bspw. FAST-Schema beim Schlaganfall oder 30:2 bei der CPR.Sozialkompetenz
Kooperatives Teamwork, Empathie und prosoziales Verhalten sowie sprachliche Ausdrucksfähigkeit und kommunikatives Teamwork sind eine weitere Voraussetzung, um in einem Team erfolgreich Stress- situationen abarbeiten zu können, wobei es dabei zwei Faktoren gibt:

  • Selbstkompetenz: Für die Selbstkompetenz werden verschiedene Fähigkeiten benötigt, z.B. Reflexionsfähigkeit, Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen, Kritikfähigkeit, Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Erfahrungen zu reflektieren ist wichtig für die (Weiter-)Entwicklung aller Kompetenzen, aber insbesondere der Selbstkompetenz.
  • Persönliche Kompetenz: Persönliche Kompetenz oder auch menschliche Faktoren beeinflussen maßgeblich die Qualität menschlicher Leistungsfähigkeit. Dazu zählen unsere Persönlichkeit, die Einstellung gegenüber Situationen oder Personen, unsere Wahrnehmung, Kommunikation und Risikobereitschaft.

Ziel aller Kompetenzen ist die Sicherheit des Patienten zu garantieren. Dies setzt ebenfalls die Sicherheit des eigenen Teams (Eigenschutz), als auch Dritter (Betroffene, weitere Helfer usw.) voraus. Somit ist die eigene Sicherheit auch immer die Sicherheit des Patienten und daher als Voraussetzung zu verstehen.Motivation
Mit diesem Einblick in den Mindset von professionellen Rettungsteams lassen sich Teile der Fragen zur guten Ersten Hilfe beantworten. Die persönliche Motivation ist im Kontext „Faktor-Mensch“ gerade am Berg von entscheidender Bedeutung. In Anlehnung an das Modell der „kognitiven Ressourcen“ von A. Richter haben unsere eigenen Reserven in Form von „grünen Kügelchen“ einen erheblichen Einfluss auf unseren Stress und somit auf unsere Performance in (Not-) Situationen (Abb. 1). Solche fiktiven „grünen Kügelchen“ können wir uns selbst geben, wenn „alles passt“, wenn wir gut drauf sind, keinen persönlichen Stress mitbringen und „gut funktionieren“. Rote Kügelchen geben wir uns dann, wenn irgendetwas nicht passt, wenn wir uns nicht konzentrieren und fokussieren können – egal ob aus physischen oder psychischen Gründen. Natürlich kann man mit entsprechendem Training, Können & Wissen Routinesituationen auch mit weniger grünen Kügelchen auf seinem Konto abarbeiten, konfrontiert mit unerwarteten Aufgaben können diese aber schnell verpuffen. Neben den zuvor erwähnten Punkten der persönlichen Kompetenz setzen wir für gute Erste Hilfe eine vernünftige Motivation voraus. Neben der richtigen Einstellung (An-/Erkennen der Notwendigkeit) sind es gerade auch Motivlagen, welche die Ergebnisse beeinflussen. Einen passenden Sager teilte zuletzt ein Kollege aus dem professionellen Rettungsteam mit:

„Erste Hilfe und Rettung sind kein Selbstzweck. Es geht nicht um dich oder mich, sondern um den Patienten. Dafür bin ich da, dafür ist der Helikopter da und das ist, was unterm Strich zählt!“ (ein Rettungshubschrauberpilot)

Abb. 3 Nonverbale Kommunikation, nicht nur beim Einweisen des Helikopters notwendig … Foto: Peter Plattner

Literatur

  • Badke-Schaub,Hofinger,Lauche(2012),Human Factors, Berlin, Springer Verlag
  • Endsley(2011), Designing for Situational Awareness, London, CRC Press
  • Heringer(2007), Interkulturelle Kommunikation, Tübingen, Francke UTB
  • Jeannot, Kelly & Thompson, (2003), The Development of Situationin ATM Systems, Brüssel
  • Flentje M et al. Simulation als Fortbildungsmethode… Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2018; 53:20–33
  • M.Ralletal,CRM-der Faktor Mensch in der Akutmedizin, Notfall Rettungsmed2010
  • D.Marx, Faktor Mensch, 2017
  • Ausbildungsunterlagen: Inpass Basic Kurs, M.Rall (Stand2017)
  • S. Oppermannetal, Praxishandbuch Qualitäts- und Risikomanagement, 2012

# Kommunikation

Kommunikation dient dazu, Informationen von einer Person an eine oder mehrere andere weiterzugeben. In der heutigen Zeit kann dies auf unterschiedlichste Art und Weise erfolgen. Weder die alltägliche Massenkommunikation mithilfe von klassischen Medien, als auch die computervermittelte Kommunikation sollen in diesem Artikel Betrachtung finden. Wir sprechen über die „face to face“ Kommunikation in Notsituationen. In Situationen, die für die meisten Men- schen nicht zur Tagesroutine gehören. In Situationen, in welchen man Hilfe benötigt oder Hilfe leistet. Situationen, die nach realer zwischenmenschlicher Kommunikation verlangen.

„Man kann nicht nicht kommunizieren.“ (Paul Watzlawick)

Dieser Leitsatz ist vermutlich jedem, der sich mit dem Thema Kommunikation beschäftigt, schon einmal untergekommen. Aber stimmt das wirklich? Immerhin unterhält sich niemand rund um die Uhr mit allen Leuten, die ihn oder sie umgeben. Oder kann Kommunikation auch ohne gesprochene Worte funktionieren? Um diese Fragen zu beantworten, ist es nötig sich vor Augen zu führen, was Kommunikation ist und wie die menschliche Kommunikation mit all ihren Facetten funktioniert.

Am geläufigsten ist uns die verbale Form der Kommunikation: Informationen werden durch gesprochene Worte kundgetan und können von Personen, die das Gesagte hören, verarbeitet werden.

Nonverbale Kommunikation kann dagegen in einem verbalen Dialog unterstützend oder alleinstehend zur Verständigung genutzt werden. Es handelt sich um wortlose Kommunikation, besser bekannt als Gestik und Mimik, unsere Körpersprache. Das bedeutet, dass jemand, der seine Informationen nicht in Worte fasst, dennoch mit seiner Umwelt kommuniziert (Abb. 3). Die Frau, die im Wartezimmer auf den Boden starrt, muss genau so wenig wie der Mann, der in der U-Bahn seine Zeitung liest, verbalisieren, dass sie mit niemandem reden möchte. Ihre Körpersprache ist hierfür ausreichend.

Meist unterbewusst, aber genauso alltäglich verwenden wir Menschen die paraverbale Kommunikation. Der Ton macht die Musik, wie es so schön heißt. Durch das Variieren von Lautstärke, Tonhöhe, Betonungen, Sprechgeschwindigkeit und so weiter sind wir in der Lage, einer Nachricht den von uns gewollten Charakter zu verleihen.

Sender – Empfänger
Soweit so gut. Klingt, als wäre Kommunikation gar nicht so schwer. Immerhin wird sie tagtäglich von jedem verwendet. Aus welchem Grund sollte man sich nun mit den Grundlagen der Kommunikation vertraut machen, wenn es hier doch eigentlich um Notfallsituationen gehen soll? Warum sollte man sich nun Gedanken über gelingende Kommunikation in Notsituationen machen? Denn wenn es jemandem schlecht geht, versuche ich einfach zu helfen, und bereits im Erste-Hilfe-Kurs wird behauptet, man kann nichts falsch machen. Die Hauptsache ist doch, man ist da und steht der verunfallten bzw. erkrankten Person zur Seite. Dies mag einfach klingen und dennoch entstehen aufgrund schlechter – oder keiner – Kommunikation vor allem in ungewohnten Situationen schnell Missverständnisse. Es gibt verschiedene Gründe für eine solche fehlerhafte Kommunikation. Eines der bekanntesten Kommunikationsmodelle hierzu haben Claude E. Shannon und Warren Weaver in den 1940er-Jahren entwikkelt: das Sender-Empfänger-Modell. Dieses beschreibt die einzelnen Schritte, die nötig sind, um eine Nachricht von einer Person erfolgreich an die nächste weiterzugeben und was dabei schief gehen kann. Zunächst einmal muss es einen Sender und einen Empfänger geben. Die zu übertragenden Informationen müssen durch den Sender codiert werden. Anschließend durchläuft die Nachricht den sogenannten Übertragungskanal, welcher sich unmittelbar zwischen den beiden beteiligten Parteien befindet. Damit die Nachricht im letzten Schritt von dem Empfänger verstanden werden kann, muss dieser in der Lage sein, sie zu decodieren. An diesem Punkt befindet sich die erste mögliche Ursache für das Misslingen von Kommunikation. Betrachtet man den Vorgang rückwärts wird schnell klar, dass eine Informationsweitergabe scheitern muss, wenn der Empfänger nicht in der Lage ist die Nachricht zu entschlüsseln.

Auf den Alltag bezogen ist das einfachste Beispiel hierfür eine Fremdsprache. Im medizinischen Bereich ist das oft gewählte Fachchinesisch hiermit gleichzustellen. Einer Person ohne fachlichen Bezug wird es schwer fallen, dem Kontext zu folgen. Es ist also grundsätzlich erforderlich, eine Sprache bzw. eine Ausdrucksweise zu finden, welche von beiden Parteien beherrscht und verstanden wird. Der zweite große Abschnitt, der Übertragungskanal, beschreibt die Faktoren, die von außen Einfluss auf eine Unterhaltung nehmen. Vereinfacht kann man sich hierfür ein Telefonat vorstellen. Das Gespräch muss über das Telefonnetz von einem mobilen Endgerät zum anderen übertragen werden. Besteht nun schlechter Empfang, kann man seinen Gesprächspartner nur schlecht oder überhaupt nicht verstehen.

Notfallkommunikation
Betrachtet man eine Notfallsituation, gibt es verschiedene Perspektiven, aus welchen Kommunikation betrieben wird. Um im Team eine zielführende Herangehensweise zu finden, muss man sich vor Augen führen, welche Arten von Teams in solchen Situationen aufeinandertreffen. Auf der einen Seite gibt es feste Konstellationen, wie auf einem Rettungswagen. Hier kennen sich die Akteure meist schon etwas länger und haben gelernt, wie sie sich am effektivsten verständigen. Sie arbeiten unter ähnlichen Rahmenbedingungen (SOPs etc.), kennen die gewählte Ausdrucksform und haben sich an Verhaltensweisen des jeweils anderen gewöhnt. Anders ist dies bei ad hoc Teams. Hier bildet sich das Kollektiv bei Bedarf und für einen bestimmten Zeitraum, um gemeinsam eine Aufgabe zu bearbeiten oder ein Problem zu lösen. Um auch in solch ungewohnten Konstellationen erfolgreich zusammen arbeiten zu können, gilt es für jeden Einzelnen, aktiv auf eine gelingende Kommunikation zu achten.

Kommunikation im Team
Generell gelten für das gesamte Team einige Grundsätze in der Gesprächsführung. Alle Beteiligten sollten sicher und effektiv kommunizieren. Das bedeutet, dass jede nützliche Information laut kommuniziert werden soll. Im Zweifel lieber einen weniger wichtigen Aspekt verbalisieren, als eine wichtige Auskunft aufgrund von Unsicherheit verschweigen. Um die Wahrscheinlichkeit zu maximieren, dass die Botschaft an den richtigen Adressaten vermittelt wird, sollte im Vorhinein immer dessen Name genannt werden. Anweisungen sollten also spezifisch und nicht generell gegeben werden. Darüber hinaus sollten erhaltene Informationen durch das Wiederholen dieser bestätigt werden (closed loop). So kann sichergestellt werden, dass alles richtig verstanden wurde und Verzögerungen durch Unklarheiten vermieden werden. Der Teamleader, also derjenige, der die Versorgung der in Not geratenen Person leitet, wird initial die Gesprächsführung innehaben. So hat er zum einen mit dem Patienten empathisch, zum anderen mit seinem Team effizient zu interagieren. Um für alle Beteiligten ein angenehmes Setting zu schaffen, sollte er versuchen, sein persönliches Stressniveau niedrig zu halten. Eine Person, die in schwierigen Situationen Ruhe verbreitet, ist sowohl für die Kollegen, aber insbesondere für die Patienten Gold wert. Hierbei helfen ein ruhiger Tonfall und eine langsame, klare Sprechweise.

Besondere Situationen
Auch Menschen, die nicht unmittelbar von Unfällen betroffen sind, sie jedoch beobachtet haben, brauchen ab und zu Unterstützung bei der Verarbeitung. Hat man gerade beobachtet, wie Personen durch eine Lawine verschüttet worden sind, kann der Schock zur vollkommenen Handlungsunfähigkeit führen. Eine der anspruchsvollsten Aufgaben ist es, diesen Personen beizustehen.

Nicht umsonst werden die Mitglieder sogenannter Kriseninterventionsteams (KIT) speziell geschult. Diese Ausbildung umfasst mindestens 60 Stunden theoretischen Unterricht, gefolgt von mehreren Einsätzen, in denen sie in Begleitung eines voll ausgebildeten Helfers lernen und arbeiten (vgl. Gemeinsame Qualitätsstandards und Leitlinien zur psychosozialen Notfallversorgung für Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene, Zeugen und/oder Vermissende im Bereich der psychosozialen Akuthilfe). Dennoch gibt es ein paar Tipps, die Ersthelfern in solchen Situationen helfen sollen:

  • Sag, dass du da bist! Gebe der zu betreuenden Person zuverstehen, dass er oder sie nicht alleine ist.
  • Hörezu! Der erste Schritt, Dinge zuverarbeiten, ist über sie zu sprechen. Lass den Betroffenen das Erlebte aus seiner Sicht schildern, ohne ihn oder sie zu unterbrechen. Jeder Mensch braucht Wertschätzung in schwierigen Situationen.
  • Erkläre das Geschehen! Beantworte die Fragen des Betroffenen und erkläre das Vorgehen der Einsatzkräfte.
  • Vermeide Floskeln! „Das wird schon wieder“, „das ist doch nicht so schlimm“ oder „Zeit heilt alle Wunden“. Alles Aussagen, die vermutlich zum Teil zutreffen und trotzdem möchte niemand sie hören. Betroffene können und sollen sich nicht damit beschäftigen, wie die Zukunft aussehen könnte. Sie brauchen nicht unbedingt jemanden, der versteht, wie sich die Situation anfühlt, aber jemanden, der akzeptiert, dass es schrecklich ist.

# Fazit & Empfehlungen

„Gute“ Erste Hilfe lässt sich auf die folgenden zwei Aspekte zusammenfassen:

  • Aktuelles Fachwissen (Hardskills) z.B. richtiges Durchführen von Thorax Kompressionen, Blutstillung, ABCDE-Schema usw.
  • Zielgerichtete Kommunikation und Entscheidungsfindung (Softskills) z.B. das Erkennen, Benennen und entsprechende Entscheiden über Gefahren an der Unfallstelle, z.B. Steinschlag und die Priorisierung der Maßnahmen (10 für 10 usw.)

In der Regel ist Fachwissen durch entsprechende Kurse, Training und Literaturstudium gut und relativ einfach zu konsumieren. Wichtig hierbei ist allerdings das Abrufen und Anwenden dieses Wissen zur richtigen Zeit, durch die richtigen Personen und in der richtigen Reihenfolge. Wir sind also mittendrin in den sogenannten Sozial-Kom- petenzen, den Softskills. Im Rahmen von Notfall Alpin wollen wir euch daher abschließend drei wichtige und effektive „Werkzeuge“ an die Hand geben, um sicherer und zielgerichteter zu agieren:

#1 PDCA-Zyklus
In jeder Notsituation profitiert man von Organisation und Struktur. Diese erreicht man, indem eine Person aus der Gruppe die Leader- Rolle übernimmt und transparent kommuniziert wird. Dabei sollen Gefahren, Sorgen und Bedenken aktiv angesprochen werden, wobei die Kooperation des Teams Voraussetzung ist. Der in Abb. 4 dargestellte PDCA-Zyklus (Plan-Do-Check-Act) kann bei der Entscheidungsfindung helfen; er kommt ursprünglich aus dem Qualitätsmanagement von Unternehmen. Dabei dient er als Grundlage für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Aus dieser Faktensammlung (Rahmenbedingungen wie bspw. steiles Gelände) lassen sich dann Risiken (bspw. Absturzgefahr) ableiten. Als nächster Schritt erfolgt dann die Entscheidung (bspw. Rettung nur durch Profis oder mit entsprechender Seilsicherung).

Abb. 4 Der PDCA-Zyklus, auch Deming- Kreis genannt, kann aber auch äquivalent als Tool zur Entscheidungsfindung in kriti- schen Situationen und zur wiederkehrenden Revalvation genutzt werden.

#2 10 für 10
Fehler entstehen vor allem in dynamischen und komplexen Situationen. In solchen Situationen werden unter anderem durch das Stresshormon Adrenalin Notlagen unterschätzt oder als solche verkannt. Ein prominenter Vertreter möglicher Fehler ist hierbei der „Fixierungsfehler“. Der Fokus wird sehr eng und manifestiert sich im Tunnelblick. Man verwendet jeden „Grashalm“ als Hoffnungsschimmer und schätzt die Lage nicht mehr realistisch ein. Versuch einen Überblick zu gewinnen. Bewerte sachlich die Lage. Atme dazu ein paarmal tief durch. Wende das 10 für 10 Prinzip aus Abb. 5 an.

Im Rahmen der Ersten Hilfe – gerade am Berg gilt:

fordere Hilfe an, lieber früh als spät. Motto: im Zweifel wähle den Notruf und schildere den Rettern deine Lage.

Abb. 5 Das 10 Sekunden für 10 Minuten Prinzip empfehlen wir im Rahmen der Ersten Hilfe und bei Notlagen allgemein – investiere kurz Zeit, um einen Plan zu erstellen und führe ihn dann aus. Motto: Langsam, es eilt.

#3 ABCDE-Schema
Setze Prioritäten dynamisch und zielgerichtet. Mit Hilfe des ABCDE- Schemas kannst du das größte Problem des Verletzten oder Erkrankten gut erkennen. Lass dich nicht ablenken und bleib in der Struktur. Ohne A kein B und ohne B kein C. Wenn sich die Lage am Patienten ändert, starte wieder bei A. Wenn sich die Lage an der Unfallstelle wie bspw. Uhrzeit, Witterung, Ressourcen verändert, beurteile die Sicherheit und Situation neu. Auch hier bietet sich ein 10 für 10 an, um die neue Lage zu erkennen und auch entsprechend zu agieren. Teile deine Information dabei mit den anderen Helferinnen.

Kommunizieren ist Entscheiden.
Motto: „Treat first what kills first“

Erschienen in der
Ausgabe #113 (Winter 20-21)